Yoga ist nicht nur ein unglaublich erfolgreicher Lifestyle-Trend, es kann auch für Self-Empowerment und feministischen Widerstandsgeist praktiziert werden, sagt die Yogalehrerin LISA DALLINGER. Interview von LEA SUSEMICHEL
an.schläge: Häufig wird kritisiert, dass das Bild von Yoga von schlanken, weißen, jungen und hippen Frauen geprägt wird. Es gibt aber auch Yogalehrerinnen wie Jessamyn Stanley, die nicht diesem Bild entsprechen und die Yoga explizit als Möglichkeit für mehr Body Acceptance empfehlen. Hat Yoga dieses Potenzial?
Lisa Dallinger: Ich arbeite in einer feministischen Frauenberatungsstelle und vertrete antisexistische, antirassistische, antikapitalistische und antiklassistische Haltungen. Und ich praktiziere seit zehn Jahren Yoga. Wie das zusammengeht?
Ich gebe Jessamyn absolut recht, in der neoliberalen Verwertung von Yoga wird es auf eine Sportart reduziert und als Instrument gezeigt, heteronormative Standards zu erreichen. Dabei kann Yoga genau das Gegenteil bewirken.
Ich erlebe es so: Durch das Spüren von Körper und Atem entspanne ich mich, kann klarer wahrnehmen, was in mir und um mich vorgeht. Ich höre auf, mich und meinen Körper unter Druck zu setzen. Das ist eine enorme Befreiung.
Die innere und äußere Kraft, die ich beim Yoga aufbaue, hilft mir mit Selbstzweifel, Stress und Verzweiflung über den Zustand der Welt zurechtzukommen, weiterhin widerständig zu sein und für meine Haltungen einzustehen.
Yoga zu praktizieren, so wie ich es verstehe, hat nichts damit zu tun, wie dein Körper aussieht, welche Kleidung du dir leisten kannst oder dir gefällt, wie sportlich und biegsam du bist. Es geht einzig darum, was im Inneren passiert.
Achtsamkeit ist eine wichtige Vokabel im Yoga, die derzeit Hochkonjunktur hat. Was lässt sich diesem Lifestyle-Trend entgegensetzen, bei dem es oft nur um Selbstoptimierung geht? Worum geht es bei Achtsamkeit im Yoga?
Achtsamkeit heißt für mich, generell präsent zu sein, z. B. wenn ich jemandem zuhöre. Wirklich wahrzunehmen, wie es anderen geht, was sie zu sagen haben – anstatt mich in eigenen Geschichten und Verurteilungen zu verstricken. Im Yoga übe ich dieses Präsentsein durch Körperwahrnehmung, Atemwahrnehmung, Konzentration und Meditation.
Durch die Innenschau lerne ich mich, meinen Körper, meine Gedanken besser kennen und akzeptieren. Und ich nehme mich als Teil des Ganzen, als Teil der Gesellschaft wahr.
Verbreitet ist auch der Esoterikvorwurf, zugleich gibt es aber auch die Kritik, Yoga sei eine kulturelle Aneignung durch den Westen, bei der sämtliche spirituellen Wurzeln verlorengingen. Woher rührt deine Leidenschaft für Yoga?
Ich habe aus gesundheitlichen Gründen mit stark körperbetontem Yoga begonnen, aber mittlerweile ist Yoga für mich kein Sport mehr, eher eine Meditation in Bewegung, durch die ich eine Ausgeglichenheit von Körper, Atem und Geist erlebe.
Ich finde es wichtig, sich zu informieren, welche Haltungen hinter Yoga stehen, und sich kritisch mit der Geschichte und der Fortführung von Kolonialisierung und Rassismus auseinanderzusetzen.
Yoga kann öffnend wirken, Mut entstehen lassen, sich selbst kritisch zu hinterfragen: Warum fühle ich mich von Yoga angezogen? Welche Bilder und Vorurteile habe ich dazu im Kopf? Trage ich ein Überlegenheitsdenken weiter?
Es kommen natürlich auch im Yoga dieselben ausgrenzenden und diskriminierenden Mechanismen zum Tragen, wie sie der Gesellschaft immanent sind. Wie überall müssen wir das erkennen, klar dagegen auftreten und Wege finden, sie zu durchbrechen.
Die Tänzerin und Yogalehrerin Sri Louise verknüpft beispielsweise in ihren Workshops Yoga mit Dekolonialisierung, was sehr spannend und empfehlenswert ist.
Obwohl inzwischen auch Männer Yoga entdecken, ist es weiterhin vor allem ein Frauensport. Lässt er sich auch feministisch betreiben?
Ja, es kommen hauptsächlich Frauen* in Yogastunden und ich kann dort als Lehrerin auch eine feministische Haltung teilen.
Ich arbeite auch in der Basisbildung mit Frauen* und ich nehme dasselbe Widerstandspotenzial in Yogagruppen wahr: Es können beides Orte sein, in denen Frauen* sichausprobieren, zur Ruhe kommen, sich austauschen und unterstützen, ohne beurteilt zu werden.
Lisa Dallinger unterrichtet im Verein Peregrina Deutsch in der Basisbildung und im Amazing Yoga Vienna derzeit eine Schwangerenyoga-Gruppe.