Als gelernte Krankenschwester habe ich meine Mutter in ihren letzten Lebensjahren gepflegt. Worauf kann ich mich am Ende des Tages verlassen? Von BÄRBEL DANNEBERG
Noch gestern habe ich meine demenzkranke Mutter gepflegt, von morgens bis abends und in den vielen langen Nächten. Bis zu ihrem Ende. Zwölf Jahre liegen zwischen gestern und heute. Die Vergangenheit verschmilzt mit meiner Zukunft. Habe ich mich am Ende des Tages darum gekümmert, wie mein eigener Lebensabend ausschauen wird? Wann ist es Zeit, sich darüber Gedanken zu machen?
Als meine Mutter auf meine Pflege angewiesen war, habe ich das Thema Altenbetreuung noch von außen betrachtet. Als pflegende Angehörige hatte ich damals feste Vorstellungen davon, was eine gute Versorgung im Alter ausmacht: Raum, Zeit, Geld. Zuwendung und Selbstbestimmung. Die Selbstbestimmtheit meiner Mutter bestand darin, ihren Kindern zu sagen, nie und nimmer in ein Altersheim gehen zu wollen. Um andere Alternativen hatte sich niemand gekümmert. Und so kam es, dass ich als eines von vier Kindern meine hochbetagte Mutter von Berlin nach Wien geholt und sie betreut habe. Ausgesucht hatte ich es mir nicht wirklich. Aber schließlich war ich frisch in Pension und habe früher einmal als Krankenschwester gearbeitet. In dieser Zeit habe ich erlebt, was mit alten Menschen passieren kann. Nicht mit meiner Mama, sagte ich damals. Später habe ich mein Möglichstes getan, ihr die letzten Lebensjahre etwas zu versüßen. Das ist mir gelungen, aber es ging über meine Kräfte.
Frauen sind erpressbar mit ihrer Liebe und Fürsorge für Kinder, PartnerInnen, alte Eltern. Von Frauen wird erwartet zu hegen, zu pflegen, zu sorgen. Aus Liebe.
Aus Liebe zu meinen Kindern habe ich eine PatientInnenverfügung gemacht und ihnen gesagt, dass ich nicht mit ihrer Pflege rechne. Über meine Zukunftsalternativen, die immer kleiner werden, tausche ich mich mit meiner gleichaltrigen besten Freundin aus. So lange wie möglich autonom und selbstbestimmt zu leben, erfordert Gesundheit und finanzielle Ressourcen. Alt werden ist teuer. Am liebsten würde ich, so wie auch damals meine Mutter und die meisten Menschen, zu Hause alt werden. Auch wenn, wie ich auf Lesereise mit meinem Buch gesehen habe, Betreuungseinrichtungen nicht unbedingt den Schrecken haben, der ihnen noch immer anhängt. Doch die Enge in einem Zimmer, dessen Gestaltung auf mein unweigerliches Ende verweist, würde mich bedrücken. Einige meiner Freundinnen haben sich in einem Mehrgenerationenhaus eingekauft. Diese kluge Alternative hatte ich schon vor Jahren nicht nur aus finanziellen Gründen verworfen. Ich habe im Waldviertel ein großes, altes Bauernhaus, das ich aufgeben müsste. Die Vorstellung, meinen Lebensabend dort, umgeben von der Landschaft und den vielen Menschen, die mir zugewachsen sind, zu verbringen, geistert durch meinen Kopf. Was sehr unklug ist, ich wäre aufs Auto angewiesen, und wer weiß, wie lange ich noch fahren kann.
Am Ende des Tages verlasse ich mich auch nicht auf die von der Bundesregierung versprochene „Sicherung der Pflege“ für alle, die den Ruf nach einer privaten Pflicht-Pflegeversicherung vorsausahnen lässt. Die Abkehr von der budgetfinanzierten Grundlage von Pflegedienstleistungen heißt in einem Klima des Sozialabbaus, dass populistische Debatten über Leistungseinschränkungen für pflegebedürftige Personen und ihre Angehörigen losgetreten werden.
Und so komme ich in meinen Überlegungen immer wieder auf meine große, behindertengerechte Wohnung in Wien zurück. Ich könnte sie mit einer Freundin teilen, auch eine Pflegeperson hätte dort Platz. Mit meinen 76 Jahren träume ich von einer solidarischen Gemeinschaft. Ich bin gewohnt, meine Wohnung mit jungen Leuten zu teilen, und der große Altersunterschied hat sich bisher nicht als Problem, sondern als Bereicherung für alle erwiesen. Was wir Frauen in jungen Jahren nicht gelernt haben, nämlich ein solidarisches Miteinander, wird uns am Ende des Tages zum Verhängnis, wenn wir aufeinander angewiesen sind. Im neuen Jahr zieht wieder eine junge Kunststudentin zu mir.
Bärbel Danneberg, Journalistin in Wien, schreibt in der „Volksstimme“ und im „Augustin“.
Bärbel Danneberg: Alter Vogel, flieg! Tagebuch einer pflegenden Tochter
Promedia 2008, 15,90 Euro
