Toxische Pommes legt mit ihren satirischen TikTok-Videos den Finger in die Wunde. Fiona Sara Schmidt hat sie nach Humor und Verfassung gefragt.
„Hat Bundespräsident Van der Bellen recht damit, dass die Ibiza-Affäre die Schönheit der österreichischen Verfassung offenbart hat?“ Mit dieser Frage beginne ich das an.schläge-Gespräch mit TikTok-Sensation Toxische Pommes. Die Social-Media-Satirikerin heißt Irina und ist im Brotberuf Verfassungsjuristin: „Für Jurist*innen war die Regierungskrise nach Ibiza ein Lehrbuchfall, in den man sich wunderbar hinein-nerden konnte. Die Verfassung hält gute Instrumentarien bereit und die Expert*innenregierung war wie ein Ausflug in eine Utopie“, sagt Irina. Es gebe aber gravierende soziale Ungleichheiten, die nicht zuletzt Corona offengelegt hat. „Da stellt sich schon die Frage, ob unser gesamtes Rechtssystem so toll ist, wie wir glauben.“
Balkankinder. Um gesellschaftliche Bruchlinien geht es auch oft in den kurzen Videos, die Irina als Toxische Pommes seit Sommer 2020 produziert. Auslöser war das Ende einer toxischen Beziehung, Irina meldete sich zur Aufheiterung auf TikTok an und begann bald selbst damit, kleine Szenen zu drehen. In Miniaturen oder kurzen Dialogen mit mehreren Rollen schafft sie es in wenigen Sekunden, ganze Milieus treffend unters Mikroskop zu bringen. Es geht in ihren unglaublich lustigen Kleinoden um Vorurteile von „Švabos“ (Deutschsprachigen) gegenüber „dem Balkan“, um Kindererziehung, Workaholics, Homofeindlichkeit, die Doppelmoral von Linken, Rassismus und um Klassismus im Alltag.
Als Kleinkind mit den Eltern aus Ex-Jugoslawien geflüchtet und in Wiener Neustadt aufgewachsen, war Irina als Kind eher konformistisch, erzählt sie. In der Familie wurde zwar ausschließlich BKS (Bosnisch/Kroatisch/Serbisch) gesprochen, zum Selbstbewusstsein im Hinblick auf ihre Wurzeln habe sie aber erst in Wien gefunden, erzählt Irina. Die selbstironischen Jugo-Videos zählen zu den beliebtesten von Toxische Pommes, viele Diaspora-Kids könnten sich damit identifizieren. Manchmal muss sie die Videos aber auch als „Satire“ kennzeichnen: „Wenn die Leute nur ein Video von mir sehen, verstehen sie es falsch. Ich überspitze und pauschalisiere oft sehr, das kann man ohne Kontext schnell missverstehen.“ Mit jeweils rund 30.000 Followern auf TikTok und Instagram macht sich Irina heute mehr Druck. Mit dem Job lässt sich TikTok trotzdem vereinbaren: „Pro Video wende ich nicht mehr als zehn Minuten auf, ich kann inzwischen meine Messages auch ohne viel Verkleidungen und mit weniger Personen und Schnitten rüberbringen.“
Toxisches Dating. Der Humor von Toxische Pommes tritt nicht nur nach oben, sondern zielt auch auf ihr eigenes Milieu: „Ich mache mich ja auch über mich selbst lustig und urgerne Beamte nach.“ Ihr Freundeskreis bestehe aus Feminist*innen und vielen LGBTIQs, erzählt Irina, als Teil einer Szene sieht sie sich jedoch nicht.
Regelmäßig postet Toxische Pommes auch Datingprofile von seltsamen Typen. Viele linke Männer würden sich mit feministischen Themen sehr oberflächlich auseinandersetzen, kritisiert Irina, Rückschlüsse auf eigenes Verhalten gebe es kaum. „Patriarchale Verhaltensweisen verteidigen sie dann mit dem Instrumentarium feministischer Literatur, die sie konsumiert haben, und checken ihre eigenen Privilegien nicht.“ Ihr wiederkehrender Charakter Lorenz ist dieser typische linke Bobo, „der denkt, dass er mit dem Kauf von Bio und Fairtrade den Klimawandel stoppen kann, er wird jedoch leider nicht in Karenz gehen, weil er gerade eine Stelle hat, die er nicht so leicht wiederbekommt“.
Next Generation. Feministische Themen wie Bodyshaming, die Toxische Pommes verarbeitet, wären früher nicht so massenkompatibel gewesen. „Obviously haben wir noch urviel Scheiße zu erledigen, aber die Themen haben sich geändert und Feminismus ist viel mehr im Mainstream präsent, es gibt eine neue Generation kritischer junger Menschen.“
Es bleibt spannend, welches Projekt Toxische Pommes als Nächstes anpackt: den lang gehegten Traum vom Stand-up, das begonnene Buch oder doch „ein sechsstündiges Burgtheater-Stück“.
Fiona Sara Schmidt ist freie Lektorin und Redakteurin in Wien und mag eigentlich keine Comedy.
1 Kommentar zu „Ein Stachel im woken System“
Was für eine schöne Frau ! Sie benennt nur Wahrheiten und das ist gut so ! Alles , alles Liebe für Sie Irina !