Die feministischen Streikbewegungen zum 8. März waren in vielen Ländern gewaltig. Silvia Federici sprach mit der AG Feministischer Streik über die vielversprechenden Strategien feministischer Streiks und ihren antikapitalistischen Charakter.
an.schläge: Ihren Vortrag an der WU Wien nannten Sie vielversprechend „Die unvollendete Revolution“. Sind die weltweiten feministischen Streikbewegungen eine mögliche revolutionäre Perspektive für diese unvollendete Revolution?
Silvia Federici: Ja. Ausgehend von Lateinamerika entwickelte sich das Konzept des feministischen Streiks zu einem sehr nützlichen Werkzeug. Es ist das Werkzeug einer gemeinsamen Aktion. Sehr unterschiedliche Frauen* und feministische Gruppen, die sonst getrennt und gespalten agieren, fingen an, miteinander in Dialog zu treten, eine gemeinsame Basis zu fin- den oder aufzubauen. Nicht der Tag des Streiks ist dabei das Zentrale, son- dern die Organisation des Prozesses selbst. U. a. darin liegt für mich eine Bedeutung des Streiks. Denn dieser Prozess bringt Frauen* zusammen, die gemeinsam diskutieren, welche Forderungen sie haben, ob und wie sie streiken.
Ein weiteres Potenzial besteht darin, dass Frauen*streiks unmittelbar mit der Frage der Reproduktion verknüpft sind. Das regte eine sehr interessante Diskussion an: Wie können Frauen* streiken? Was ist der Unterschied zwischen einem Frauen*streik und einem klassischen, von der Gewerkschaft organisierten Streik?
Es ist leicht, einen Streik auszurufen und die Arbeit niederzulegen, wenn es sich um zu produzierende Autos handelt. Aber wenn kleine Kinder und ihre Fürsorge bestreikt werden sollen, wird die Sache deutlich komplizierter.
Diese Komplexität ist auch für politischen Aktivismus herausfordernd. Welche Möglichkeiten gibt es, feministisch zu streiken?
Beim isländischen Frauen*streik von 1975 in Reykjavík riefen die Frauen* zum Streik auf. Eine Million Frauen* waren auf der Straße und das Land blieb stehen. Sie wollten zeigen, dass sie die Macht haben. Das macht deut- lich, dass es nie einen Generalstreik gab und nie einen geben wird, solange die Frauen* nicht in den Streik treten. Island hat zudem eine sehr wichtige Geschichte der Frauen*räte. In allen Nachbarschaften gibt es einen Ort, wo sich Frauen* treffen. Als sie sich für einen Streik entschieden hatten, war die Organisation durch die Räte sehr einfach. Eine solche Struktur kann und muss überall aufgebaut werden.
Wenn man nicht streiken kann, kann man eine Veranstaltung in der Nachbarschaft abhalten und die Kinder mitbringen, man kann sich einen Film ansehen, eine Diskussion führen. Etwas, das Frauen* zusammenbringt, das den Arbeitsalltag, den man kennt, unterbricht und diese Arbeit politisch betrachtet – das heißt im Hinblick da- rauf betrachtet, wie wir sie verändern können. Die Art und Weise selbst, wie zum Streik aufgerufen wird, ist ein kreativer Akt.
Die Trennung von Produktion und Reproduktion ist für den Kapitalis- mus notwendig und wird in Ihren Texten als zentral analysiert. Ist der Fokus auf die Politisierung von Reproduktion auch für aktuelle komplexere Arbeitsverhältnisse sinnvoll?
Gerade heute machen dieselben Frauen*, die zu Hause die Hausarbeit für kein Geld verrichten, diese auch außerhalb des Hauses für wenig Geld – und oft sind es Migrantinnen. Hier gibt es eine Kontinuität. Die beiden Sphären sind getrennt und gehören doch zusammen. Das ist eine politisch schwierige Situation. Die Perspektive auf Reproduktion ist also eine revolutionäre Betrachtungsweise, weil sie das Leben der Menschen nicht trennt. Sie schneidet es nicht in Stücke. Anders als in traditionellen Gewerkschaften ist das eine Perspektive, von der aus gefragt wird: Ist das, was wir produzieren, gut für die Gesundheit der Menschen? Und was ist die Reproduktion? Wir sind nicht bei der Arbeit, und der Rest ist privat. Nein! In jedem Moment müssen alle Bedürfnisse einer Person, der ganzen Person, berücksichtigt werden. Im begrenzten Spektrum der Produk- tion wird ein ganzer Teil des Lebens der Arbeiter*innen privatisiert. Doch er ist nicht privat. Aus feministischer Sicht ist es eine der Aufgaben, diese Trennung wieder zu überwinden und Themen, die als privat angesehen werden, in den Beruf zu tragen. Das ist für mich die Strategie einer gemeinsamen Front. Denn es gibt ein gemeinsames Interesse, das darin besteht, der Abwertung der Reproduktion, also der Abwertung unseres Lebens entgegenzuwirken!
Das Zusammenbringen von ver- schiedenen feministischen, linken Kämpfen ist dabei zentral. Die österreichische feministische Szene ist aber sehr gespalten.
So wie überall! Wir müssen uns fragen, wie wir angesichts der Gewalt der gesellschaftlichen Verhältnisse eine Basis für einen gemeinsamen Kampf schaffen können. Die Erfahrung des feministischen Streiks in Spanien zeigt beispielsweise, dass unterschiedliche Gruppen erkannten, von Gemeinsamkeiten ausgehen zu müssen, als Frauen*, als Feminist*innen, als Antikapitalist*innen.
Da das kapitalistische System sehr anpassungsfähig und flexibel ist, werden subversive Bewegungen und Kämpfe immer wieder von der kapitalistischen Logik kooptiert. Wie können aktuelle Kämpfe das vermeiden?
Die unvollendete Revolution ist die Kritik an der (westlichen) Frauen*bewegung der 1970er-Jahre, die mit einer radikalen Vision begann, in ihrer Übersetzung aber sehr reformistisch endete. Sie hatte keine angemessene Strategie, um das Verhältnis von Frauen* zum Kapitalismus signifikant zu verändern. Ihre Idee lautete: „Befreiung von Unterdrückung durch Arbeit“. Das war wie ein Geschenk für das Kapital. Wenn wir uns aber nicht mit der Reproduktion des täglichen Lebens, der Sorgearbeit, befassen, wird der Gang in die Fabrik unsere Probleme nicht lösen. Man kann den Haushalt nicht hinter sich lassen, man kehrt jeden Tag in ihn zurück.
Können feministische Streiks heute ein wirksames Instrument sein, um eine bessere Strategie zu finden? Und können wir sie als eine Reakti- on auf diese Kooptierung verstehen?
Auf jeden Fall. Vor zehn Jahren hätte ich mich das nicht zu sagen getraut. Es gab eine Abkehr jüngerer Frauen* von der feministischen Bewegung, weil sie im Feminismus nur noch den Staatsfeminismus der Vereinten Nationen sahen.
Jetzt sehen sie „Ni Una Menos“ oder „El violador eres tú“, sie sehen Aktivist*innen auf der Straße. Jetzt hat der Feminismus ein anderes Gesicht, das viele ermächtigt. Es ist zwar ein schlechter Moment auf der Ebene der Politik, die überall faschistischer wird, aber ein guter Moment auf der Ebene der Bewegungen. Es ist ein Moment der Organisation und der Kämpfe – ein sehr politischer Moment. •
Silvia Federici ist eine marxistische Theoretikerin und Aktivistin. In ihrem bekanntesten Buch „Caliban und die Hexe“ zeichnet sie die Bedeutung der Hexenverfolgung und allgemeiner der Kontrolle über weibliche* Körper für die Durchset- zung des Kapitalismus nach. Im Mai erscheint „Jenseits unserer Haut.
Körper als umkämpfter Ort im Kapitalismus“ im Unrast Verlag. Anfang Jänner war sie zu Besuch in Wien, um über die „unvollendete feministische Revolution“ zu sprechen.