Soziale Netzwerke sind zu einer bedeutsamen Repräsentationsform zeitgenössischer Mutterschaft geworden. Das wirft Fragen nach dem Schutz der Privatsphäre von Kindern auf. Von Cornelia Grobner
Das Private ist politisch, haben sie gesagt. Müde mit plärrendem Neugeborenen im Arm und einem Rucksack voll neuer Rollenerwartungen ist das Private für Mütter zuallererst einmal recht fordernd. Überfordernd vielleicht. Gesellschaftliche Türen, die eben noch sperrangelweit offen waren, sind plötzlich zu. Aus Alleinsein wird Einsamkeit. Dank Smartphone und Social Media sind Leidensgenoss*innen glücklicherweise nur einen Handgriff entfernt.
In den 1970er-Jahren bei Tee und Kerzenlicht zelebriert, wird auch die feministische Praxis der Selbsterfahrung heute vielfach digitalisiert gelebt. Freilich macht der Austausch von persönlichen Erfahrungen in Facebook-Gruppen, in den Kommentarspalten auf Instagram oder beim Hören von Podcasts noch keine Gesellschaftsanalyse, aber es ist ein erster Schritt. Um private Probleme öffentlich diskutieren zu können, müssen sie zuvor bewusst gemacht werden. Geteilte Erfahrungen von Ausgrenzung und Überlastung stärken Eltern als (politische) Gruppe mit gemeinsamen Forderungen. Die Sozialen Netzwerke bieten ein willkommenes Schlupfloch, um die private Sphäre, in die Frauen und ihre Anliegen seit jeher gedrängt werden, in die Öffentlichkeit zu tragen.
Die ersten „Mommyblogs“ starteten vor zwanzig Jahren im angloamerikanischen Raum, um 2010 stieg ihre Zahl auch hierzulande schlagartig an. Heute sind ihre Inhalte auf alle gängigen Plattformen übergeschwappt. In den Beiträgen erzählen Mütter von ihrer Doppel- und Dreifachbelastung, von ihrem Alltag mit Kindern mit Beeinträchtigung, vom Alleinerziehen ohne Partner*in, sie berichten von finanziellen Sorgen, von Elternschaft und psychischer Erkrankung oder von Diskriminierungserfahrungen. Offen ringen sie mit eigenen feministischen Ansprüchen und erleben täglich deren Zerreißprobe. Sie erobern den Rabenmutter-Begriff für sich und schreiben gegen die Idealisierung von Mutterschaft an.
Reuige Mumfluencer*innen. Aber Elternschaft ist keine Insel. Das Kind ist Teil davon. Am Anfang ist das Neugeborene noch die Verlängerung des eigenen Körpers. Vom Baby erzählen, heißt vom Selbst erzählen. Gleichzeitig belohnt die Aufmerksamkeitsökonomie im Internet den Blick durchs Schlüsselloch und in die Abgründe der Seele. Dank vieler Klicks und Likes lässt sich aus Mutterschaft sogar Kapital schlagen und das Private wird monetisierbar. Hurra! Hurra? Mittlerweile sind die ersten „Mommyblog“-Kinder erwachsen geworden und haben mit den Sozialen Netzen selbst ein Sprachrohr gefunden. Doch nicht erst seitdem manche von ihnen nun ihre Eltern dafür kritisieren, ihre Kindheit ins Rampenlicht gestellt zu haben, bereiten die teilweise kommerzialisierten Privaterzählungen und überästhetisierten Familieninszenierungen Unbehagen. Mitunter auch den Akteur*innen selbst.
Der reuige Rückzug einst erfolgreicher „Mumfluencer*innen“ scheint Teil des Spiels: Performance-Zwang und Konkurrenzdruck seien unerträglich geworden, zu viele schöne Momente seien unwiederbringlich ihrer Dokumentation geopfert worden, so der Tenor. Andere sprechen explizit von einem Wunsch nach mehr Privatsphäre für ihre Kinder. Aus diesen generischen Rückzugsstatements sticht der Beitrag der US-amerikanischen Journalistin und Eltern-Bloggerin Darlena Cunha in der „Washington Post“ hervor. Sie schreibt, keine Bedenken zu haben, ihre Kinder und deren Rechte durch Online-Erzählungen zu verletzten, sondern sie sei in Sorge, weil diese das Rampenlicht zu sehr genießen würden und sie selbst es verabsäumt hätte, wichtige Grenzen zu setzen. So hätten ihre Kinder bislang keine Chance gehabt, zu lernen, dass ihre Privatsphäre wertvoll ist und geschützt werden muss.
Natürlich gibt es sie, die Mütter, die ihre Kinder wie Puppen ausstellen, die Elternschaft als hippen Lebensstil samt Babys als Accessoires präsentieren und herausfordernde Situationen ausschweifend und ohne Rücksicht auf gegenwärtige oder zukünftige Gefühle aller Beteiligten vor der anonymen Leser*innenschaft ausbreiten. Doch es greift zu kurz, den Umgang mit der Privatsphäre von Minderjährigen im Netz nur mit Fingerzeig auf „Social-Media-Mütter“ zu debattieren.
Postende Elterngeneration. Wer sich über einen längeren Zeitraum mit der Entwicklung von Elternblogs und Co beschäftigt, kommt nicht umhin festzustellen, dass deren Betreiber*innen mit zunehmendem Alter ihrer Kinder zurückhaltender werden, weniger Anekdoten und Bilder preisgeben. Innerhalb der Community gibt es seit Jahren einen regen Diskurs zum Umgang mit der Privatsphäre des Nachwuchses. Als einen gangbaren Weg zwischen Offenheit und Schutz haben sich flüchtige Formate wie Insta-Stories und (digitale) Vernetzungstreffen oder für Suchmaschinen nicht oder nur bedingt erfassbare Inhalte wie Podcasts und Newsletter bewiesen. Das Gros der Szene ist jedenfalls sensibilisierter, als die von Kritiker*innen nur allzu gerne herausgepickten Negativbeispiele annehmen lassen.
Aber die Gesellschaft ist es gewohnt, Mütter in analogen wie in digitalen Öffentlichkeiten zu maßregeln und ihr Verhalten genüsslich zu sezieren. Das verstellt den Blick auf tatsächliche Streitfragen – etwa den generell nachlässigen Umgang mit der kindlichen Privatsphäre auf Social Media. Sie wird von Erwachsenen in vielerlei Hinsicht zu wenig geschützt: Eltern spionieren die Handys und Browserverläufe ihrer Teens aus, in Klassen-WhatsApp-Gruppen werden ärztliche Diagnosen geteilt, auf Instagram intime Familienmomente. Und auf den Facebook-Seiten der Großeltern tummelt sich bisweilen die gesamte minderjährige Verwandtschaft – vermutlich meist ohne deren explizite Zustimmung.
In der breiten Bevölkerung scheint das Bewusstsein für die Problematik einer jederzeit abrufbaren (foto-)dokumentierten Kindheit völlig zu fehlen. Doch streng genommen verwehrt schon das ungefragte Posten von „niedlichen“ Fotos das Recht der Kinder auf informationelle Selbstbestimmung bzw. Datenschutz. Und nur weil Jugendliche sich selbst oft sehr frei im Netz bewegen, heißt das nicht, dass sie keinen Wert auf ihre Privatsphäre legen würden. Sie definieren diese in den meisten Fällen nur ganz anders als ihre Eltern, wie medienwissenschaftliche Untersuchungen gezeigt haben: Während die Älteren Schutz vor Arbeitgeber*innen und dem Staat suchen, wollen die Jüngeren eigene digitale Räume, in denen sie – außer Sicht- und Reichweite von Eltern und Lehrer*innen – mit der Peergroup in Kontakt treten und sich austauschen können.
Das Private ist politisch, haben sie also gesagt. Eine drängende Frage sollte deshalb auch in feministischen Kontexten sein, wie Soziale Plattformen ihr emanzipatorisches Potenzial für Mütter beibehalten können und wie Selbsterfahrung im Kontext von Elternschaft digital gelebt werden kann, ohne dass Persönlichkeitsrechte von Kindern verletzt werden. Dabei darf es nicht nur um Bilder und Videos gehen, sondern auch um Alltagserzählungen aller Art, die Kinder später ebenso beschämen können, wenn die Anonymität aller Beteiligten nicht gewahrt werden kann – eine Konsequenz der Impressumspflicht übrigens. Plumpes Shaming von Mommyblogger*innen als „digitale Rabenmütter“ ist hingegen kontraproduktiv. Das trifft nicht nur mehrheitlich die Falschen, sondern wird vor allem der Komplexität des elterlichen Social-Media-Dilemmas aus Perspektive des Kinderschutzes nicht gerecht.
Cornelia Grobner ist Journalistin in Wien und hat selbst mehrere Jahre über Elternschaft gebloggt.