Die digitale Generation kann viel von analogen feministischen Bibliotheken und Archiven lernen – und umgekehrt genauso. Ein Plädoyer für synergetische Kommunikation von ULLI KOCH und ANNA ZSCHOKKE.
Sie wurden in den 1970ern und 80ern gegründet, die Archive und Bibliotheken, die Aktivitäten, Texte und andere Materialien von Frauen* und Lesben* zu ihrem Sammlungsgegenstand machen, wie etwa das STICHWORT – Archiv der Frauen- und Lesbenbewegung in Wien oder das Spinnboden – Lesbenarchiv und Bibliothek in Berlin. Damit kämpfen sie gegen heterosexistische und sexistische Marginalisierungsprozesse, die von Bibliotheken, Archiven, Universitäten und anderen Bildungsinstitutionen mitverursacht, mitgetragen und verstärkt wurden und werden. Von den Nationalbibliotheken im deutschsprachigen Raum ist die österreichische die einzige, die eine frauen*spezifische Abteilung namens „Ariadne – frauenspezifische Information und Dokumentation“ hat.
Teure Digitalisierung. Die Unabhängigkeit der feministischen/frauen*spezifischen Bibliotheken und Archive ist z. B. bei der Sammlungspolitik – der thematischen Ausrichtung der Bibliothek – und beim Bestandsaufbau – welche Werke oder Quellen angeschafft werden – von entscheidendem Vorteil. Doch bedeutet das Fehlen einer staatlichen Institution als Trägerin eine Abhängigkeit von ehrenamtlicher Arbeit und damit Mangel an Arbeitskräften sowie chronische Unterfinanzierung.
Der Geldmangel ist einer der Faktoren, der die nun immer mehr in den Raum drängende Digitalisierung der Bestände von feministischen/frauen*spezifischen Bibliotheken und Archiven erschwert. In den oben genannten Bildungsinstitutionen ist sie schon längst in den Alltag eingebunden, Arbeitsabläufe haben sich etabliert, Erfahrungen wurden gesammelt. Eine kleine, unabhängige Bibliothek muss zunächst die beste Methode für ihr Budget, ihren Bestand und ihre Struktur finden. Selbst die günstigste Digitalisierungsmethode, nämlich das Abfotografieren mit einer guten Digitalkamera, verursacht Kosten. Die zu digitalisierenden Materialien müssen etwa nach Wichtigkeit oder Zustand ausgewählt werden. Die Rechteinhaber_innen müssen ausgeforscht werden, um mit ihnen über die Zugänglichmachung des Quellenmaterials zu verhandeln – Copyright ist ein weiterer erschwerender Faktor. Die Digitalisierung selbst, die Qualitätskontrolle, Aufbereitung, Speicherung (sowohl kurz-, mittel- als auch langfristig) und Beschlagwortung sowie die Zugänglichmachung der Daten in möglichst benutzer_innenfreundlicher Form – all das erfordert Zeit, Geld und technisches Know-how, das meistens von außen geholt werden muss.
Digitales Vergessen. Diese drei Faktoren sind es auch, die der Speicherung des (queer-)feministischen Internets im Weg stehen.* Denn bisher werden (queer-)feministische digitale Inhalte entweder selektiv und in Privatinitiative oder gänzlich unabsichtlich durch Organisationen und Institutionen, die sich die Speicherung des Internets oder Teile davon zum Ziel gesetzt haben, gespeichert und aufbewahrt. So speichert z. B. die US-amerikanische Library of Congress Twitter und damit auch (queer-)feministische Tweets und die Österreichische Nationalbibliothek speichert alle Webseiten mit der Endung .at – also auch www.anschlaege.at. Das Internet Archive (www.archive.org), das sich um die Speicherung des gesamten Internets bemüht, speichert www.anschlaege.at nicht, da die Seite dies durch eine Sperre verhindert, die die Österreichische Nationalbibliothek wiederum aufgrund ihres gesetzlichen Auftrags ignoriert.
Warum ist es ein Problem, wenn digitale Inhalte nicht gespeichert, analoge Inhalte nicht digitalisiert werden? Im schlimmsten Fall verlieren die analogen feministischen/frauen*spezifischen Bibliotheken und Archive den Anschluss an die digitale Generation und deren Material. Dadurch gehen sie im Gegenzug selbst mit ihren analogen Materialien aus Finanzierungs- und Nachbesetzungsproblemen der digitalen Generation verloren. Denn polemisch und sehr verkürzt lässt sich im Moment eine Kluft zwischen der analogen und der digitalen Generation aufmachen. Auf der analogen Seite gibt es eine gewisse Technikskepsis und allgemeine Scheu, Materialien zu digitalisieren und im Internet zugänglich zu machen bzw. auch eine große Unsicherheit darüber, wie mit den im Internet produzierten Inhalten umgegangen werden soll. Bei der digitalen Generation sind zwei Vorstellungen weit verbreitet, einerseits dass Inhalte aus dem Internet auf ewig bestehen bleiben und andererseits, dass im Internet generierte Inhalte sehr schnell nicht mehr up-to-date sind und es demnach auch nichts ausmacht, wenn vermeintlich Altes nicht mehr auffindbar ist.
Fundus an Schätzen. Wie können diese beiden Generationen miteinander in einen Dialog treten? Zunächst wäre es wichtig, bei der digitalen Generation ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die von ihnen produzierten Inhalte speicherwürdig sind. Dies betrifft dabei nicht nur Inhalte, die beispielsweise für Blogs oder auf Social-Media-Plattformen produziert werden, sondern auch deren analoge Pendants in Form von Veranstaltungsplakaten, Demonstrationstransparenten, künstlerischen Objekten oder Zines. In „klassischen“ Bibliotheken und Archiven finden diese Materialien nur in Ausnahmefällen Eingang in den Bestand, daher ist es wichtig, sie an dafür spezialisierte Orte zu bringen, die diese Materialien auch entsprechend sensibel beschlagworten. Geschieht dies nicht, geht wertvolles Wissen verloren und die Vielfältigkeit und zunehmende Ausdifferenzierung (queer-)feministischer Bewegungen bleibt unsichtbar.
Von nicht geringerer Relevanz ist die Erinnerung der analogen Generation an eine bereits seit Bestehen der Bibliotheken und Archive zentrale Prämisse, nämlich der Status der Einrichtungen als Informationsschnittstelle. Durch ihre Sammelpolitik, die sowohl aktivistische Materialien als auch theoretische Analysen umfasst, bieten sie eine umfassende Quellenlage zu feministischen Strategien, möglichen Herangehensweisen an Problemstellungen sowie Dokumente des Erfolgs und des Scheiterns. Verstärkt durch Veranstaltungen und Ausstellungen bieten diese Quellen einen Fundus, um nicht zu sagen einen Schatz für (queer-)feministisch bewegte Menschen und deren aktivistische als auch akademisch motivierte Tätigkeiten.
Leerstellen füllen. Dabei geht es nicht darum, mit verklärt-nostalgischem Blick auf vermeintlich bessere Zeiten zurückzublicken, sondern sich kritisch mit den bestehenden Quellen auseinanderzusetzen. Denn auch in feministischen/frauen*spezifischen Bibliotheken und Archiven wurden und werden Ausschlüsse produziert, die dazu beitrugen und beitragen, dass sich in den Quellen längst nicht alle Lebensrealitäten widerspiegeln. Doch genau auf Basis dieser kritischen Beschäftigung mit den feministischen/frauen*spezifischen Institutionen, ihren Sammlungspolitiken und ihren Beständen kann und sollte der Generationendialog entstehen. In diesem Dialog kann es demnach darum gehen, gemeinsam Leerstellen zu füllen, indem etwa der Bestand einer Bibliothek um Bücher und andere Publikationen von People of Color, Trans*gender- und Intersexpersonen ergänzt wird. Es kann darum gehen, Quellen neu zu betrachten, um Identifikationsfiguren zu finden oder Differenzierungen zu setzen. Und neues Wissen zu schaffen und dieses z. B. in Wikipedia einzutragen, um den dortigen antifeministischen Tendenzen und Strukturen entgegenzuwirken, einerseits durch eine Anreicherung der Seite mit Originalbelegen, entsprechendem Bildmaterial und gut recherchierten Texten, andererseits durch die Erstellung von Inhalten, die bis jetzt negiert und verhindert wurden.
Für die feministischen/frauen*spezifischen Bibliotheken und Archive selbst versteckt sich in diesem „Generationendialog“ ein großes Potenzial: Wissensaustausch. Während die digitale Generation über das notwendige technische Know-how verfügt, besitzt die analoge Generation ein fundiertes Wissen über die notwendige inhaltliche Erschließung von Quellenmaterialien, die diese überhaupt erst auffindbar machen. Beides zusammen birgt das Potenzial in sich, (queer-)feministische Inhalte breit, niederschwellig und vor allem vielen Menschen zugänglich zu machen. Dies setzt jedoch nicht nur voraus, dass die digitale Generation sich der Notwendigkeit der Speicherung bewusst wird. Auch vonseiten der Einrichtungen muss eine Öffnung stattfinden, die nicht in der Angst vor Unbekanntem stehen bleibt und sich traut, innovativen, vielleicht auch gewagten Ideen Raum zur Entfaltung zu geben.
Ulli Koch setzt sich in ihren Forschungsarbeiten auf literarischer und praktischer Ebene mit Bibliotheken auseinander. Sie ist im Redaktionskollektiv der Zeitschrift „fiber“.
Anna Zschokke arbeitet am Abschluss ihres Studiums der Bibliotheks- und Informationswissenschaften an der Berliner Humboldt-Universität. Sie twittert und bloggt zu Popkultur, Geschichte, Bibliotheken und Katzen.
* Eine ausführliche Darlegung dieses Problems sowie den Entwurf einer Utopie, die sich der Speicherung von feministischen Internetinhalten verschrieben hat, findet sich im Artikel „Was bleibt? Grenzen und Möglichkeiten eines queer-feministischen Archivs im Internet“ der Autorinnen in „Femina Politica“ 2/2014.
1 Kommentar zu „Digital-analoger Generationenaustausch“
Da es thematisch so schön passt, will ich an dieser Stelle die URL zum META-Katalog Projekt des i.d.a.-Dachverbandes bekannt geben. Unter http://www.meta-katalog.eu ist das Projekt jetzt zu erreichen.
Mit 436.515 Datenstätzen, verteilt auf 16 Dokumenttypen, haben Nutzerinnen Zugang zu den Bestandsdaten aus 29 Lesben-/Frauenbibliotheken und -archive des i.d.a.-Dachverbandes.
Es gibt viele Besonderheiten aber eine der wichtigsten ist wohl die gemeinsame Darstellung von Bibliotheks- und Archivgut rund um Frauenbewegung / Frauengeschichte / Frauenforschung / … in einem Katalog.
So weit.
LG aus Berlin,
das META-Team,
Marius