Die Autorin STEFANIE SARGNAGEL wurde schon mit 29 als „nicht fernsehtauglich“ bezeichnet. Sie freut sich über den „Attraktivitätskommunismus“, den das Alter mit sich bringt. Interview: LEA SUSEMICHEL
an.schläge: „Altern ist Attraktivitätskommunismus“, dieser schöne Satz findet sich in deinem neuen Buch „Iowa“. Würdest du ihn ein bisschen ausführen?
Stefanie Sargnagel: Wie die Umwelt einem begegnet, hängt ja auch davon ab, wie man aussieht: Hautfarbe, Alter, Gewicht, Geschlecht. In der Vergangenheit hatte ich das Gefühl, ich muss meinen blonden, dünnen Freundinnen erklären, dass bestimmte Typen ganz anders zu ihnen sind als zu mir. Ihr Arschlochradar war in manchen Situationen durch ihr Aussehen weniger fein justiert. Jetzt, wo wir auf die Vierzig zugehen, gleicht sich das etwas an und so wird das jetzt weitergehen. Im gemeinsamen Altern gibt’s eine gewisse versöhnliche Gerechtigkeit. Diese wachsende Wurschtigkeit empfinde ich als totale Erlösung.
Auch wenn wir natürlich eh noch halbwegs jung sind. Ein absurder Sachverhalt ist ja, dass viele Frauen am meisten Komplexe in dem Alter haben, in dem sie am besten aussehen.
Das Erstarken der Body-Positivity-Bewegung kann leicht darüber hinwegtäuschen, dass eigentlich vieles immer ärger wird und Schönheitsstandards in vielerlei Hinsicht immer rigider. Würdest du dem zustimmen?
Ich weiß nicht, ob ich da von Täuschung reden würde. Es gibt auch so ein unterschiedliches Verständnis von Body Positivity. Manche sagen, es würde erst recht den Blick auf Äußerlichkeiten richten. So erlebe ich das nicht. In Sozialen Medien Bildern von dicken Frauen anzuschauen, die sich gut anziehen, entspannt mich. Es ist für mich dann weniger die Message „Alle sind schön“, sondern eher „Man muss nicht schön sein, um cool auszusehen.“
Auch viele (Celebrity-)Feministinnen inszenieren sich auf Instagram inzwischen ohne mit der Wimper zu zucken immer modellmäßiger, und Schönheitspflege gilt inzwischen zunehmend auch in feministischen Kontexten als Self Care und Selbstbestimmung. Müssten wir dem Schönheitsterror nicht viel eher „Attraktivitätskommunismus” als politisches Projekt entgegensetzen?
Mein Verhältnis ist ambivalent. Ich fände hässliche Bilder natürlich cooler und Beauty-Influencer oder das Bewerben von Schönheitseingriffen halte ich für eine Verschwendung von Lebenszeit. Das Vorzeigen von Spaß an Mode und Styling, auch wenn man halt irgendwie aus der Norm fällt, das finde ich schon auch ganz gut, das kann Leute schon auch ermutigen. Es gibt ja das Phänomen, dass dicke Frauen ihr ganzes Leben verschieben auf den Zeitpunkt, an dem sie dann mal schlank sind. Das macht depressiv, da muss man schon dagegen arbeiten.
Wenn Frauen im Fernsehen arbeiten, hängt davon halt oft ihre Karriere ab. Mir hat mal ein deutscher Redakteur gesagt, dass er mich vorgeschlagen hätte, aber ich wäre als „nicht fernsehtauglich“ bezeichnet worden. Mit 29.
Wie die meisten Feministinnen, die auf Social Media aktiv sind, hast du sehr viel Hass abbekommen, der oft auch über die Abwertung des Äußeren läuft. Hat sich das im Laufe der Jahre verändert?
Seltsamerweise kommt es kaum noch vor. Die FPÖ aktiviert keine Trollwellen mehr gegen linke Künstlerinnen. Vielleicht sind die Blasen noch stärker gespalten. Telegram-Gruppen sind wichtiger geworden. Manchmal habe ich das Gefühl, ich bin weniger politisch, weil ich weniger mit Dreck beworfen werde, dabei mache ich immer noch dasselbe. Man begegnet sich online nicht mehr.
Unlängst hast du getwittert, dass „bladen Frauen“ das Existenzrecht abgesprochen wird. Was war der Auslöser?
Ich glaub, es war ein Artikel über Body Positivity und dann bin ich in die Untiefen des „Standard“-Forums abgetaucht. Ich finde es furchtbar, wie Leute, die nie Übergewicht hatten, Leute verurteilen. Ich komme aus einer Familie, in der ständig übers Abnehmen geredet wurde, ein halbes Leben wurde Diät gemacht, Kuren, Fastenwochen, lebenslänglich Weight Watchers, Magenverkleinerungen und trotzdem blieben sie dick und kämpften sich täglich daran ab. Und dann kommen Menschen ohne diese Veranlagung und meinen „Warum unternehmen die denn gar nichts dagegen?“ Das macht mich wahnsinnig. Body Positivity ist keine Dickenpropaganda, sondern eine Hilfe zur Selbstakzeptanz, sich nicht völlig auf diesen Lebensaspekt zu fixieren und eine Aufforderung, das Leben jetzt zu genießen, nicht in einer fantasierten dünnen Zukunft.
Bei Übergewichtigen leben ja sogar linke Leute noch unverblümter ihre gruppenspezifischen Gehässigkeiten aus, weil sie angeblich ja selbst schuld sind.
In „Iowa“ gibt es auch die lustige Szene, in der es um die Fotoauswahl von Christiane Rösinger geht und das Kriterium dabei vor allem das Dünnaussehen ist. Und eine andere, die zeigt, wie sehr sie mit dem Altern hadert. Warum ist es offenbar auch für Feministinnen so schwer, einfach glücklich alt und dick zu werden?
Wir sind von Jugend an gehirngewaschen, das ist schwer abzustellen. Man muss sich nur alte Jugendzeitschriften anschauen, das grenzt an Körperverletzung. Und es wird auch total positiv bestärkt, wenn man z. B. durch eine Essstörung Gewicht verliert. Beim Thema Essstörungen fände ich überhaupt mal eine Outingkampagne interessant, wie bei den Abtreibungen in den Siebzigern, das ist ja auch alles total kaputt, wie viele Frauen z. B. heimlich speiben.
Es kann halt so weit gehen, dass man einfach weniger verdient im Beruf, wenn man sich dem nicht unterordnet. Ich persönlich bin ja gut austherapiert und strebe keine Mainstream- TV-Karriere an. Ich habe zwar keine völlige, aber doch eine große Gleichgültigkeit diesbezüglich entwickelt, Christiane ist eher therapieskeptisch.