Was Feministinnen längst propagieren, ist in der Pandemie im Mainstream angekommen: der No-Bra-Trend. Doch lebt es sich ohne BH wirklich besser? Ja, findet Alexandra Stanić, die ihre Brüste schon vor Jahren befreit hat. Tamara Tamke hingegen brennt für ihre Bras.
Ich stehe an der Supermarktkasse und spüre den Blick eines Mannes. Er glotzt mich an, als würde ich gerade den Laden ausrauben. Keine Ahnung, was sein Problem ist – bis mir einfällt, dass ich keinen BH trage. Auf dem Weg nach Hause starren mich zwei weitere Männer an. Alltag, seit ich auf BHs verzichte. Trotz der Blicke fühle ich mich freier denn je.
Weg mit dem Teil und weg mit den roten Druckstellen der Träger. Ich habe mich gefangen gefühlt beim Versuch, den gesellschaftlichen Ansprüchen gerecht zu werden. Dabei brauche ich BHs noch nicht einmal aus gesundheitlichen Gründen. Deswegen vor drei Jahren der Entschluss, meinen Brüsten jene Freiheit zu schenken, die sie sich so lange wünschten.
Anfangs schämte ich mich doch irgendwie, das zeigte sich auch an meiner Haltung. Ich machte mich immer ein bisschen kleiner. In der U-Bahn setzte ich die Tasche direkt vors Dekolleté, damit nur keiner auf die Idee kommt, mich zu belästigen. Ich mied enge, weiße oder durchsichtige T-Shirts.
Seit ich ein BH-freies Leben führe, sind die Reaktionen von Männern widerlicher und häufiger – auch jene auf Social Media, wenn ich über sexuelle Belästigung schreibe. Es sind dieselben Leute, die Frauen die Schuld an Übergriffen geben; weil sie einen kurzen Rock oder roten Lippenstift tragen, weil sie betrunken sind, weil sie zu viel lachen. Ergo bin ich selber schuld, wenn ich belästigt werde. Gewisse Körperteile zu zeigen ist nicht in Ordnung, die daraus resultierende sexualisierte Belästigung aber schon, oder wie?
Je mehr Männer glotzen, umso sicherer bin ich in meiner Entscheidung. Jeder dieser Männer radikalisiert mich in meinen politischen Ansichten. Je offensichtlicher der Sexismus, umso offensiver meine Reaktion. Ich werde mich selbst nicht mehr einschränken, nur weil es nicht in die Köpfe mancher passt, dass der Kleidungsstil einer Frau kein Freifahrtschein für sexuelle Belästigung ist. Malo morgen, wie meine bosnischen Landsleute sagen würden, was so viel bedeutet wie: Nie und nimmer.
Alexandra Stanić ist Chefreporterin bei VICE und schreibt über österreichische Politik und intersektionalen Feminismus. Dieser Text ist in längerer Version bei VICE.com erschienen.
Ein BH in Flammen als Zeichen des feministischen Kampfes gegen die Unterdrückung von Frauen – das hatte mich schon als Jugendliche ein bisschen irritiert. Damals trug ich zwar noch niedliche Hello-Kitty-Bustiers, doch auch nach zwanzig Jahren des feministischen Aktivismus mag ich sie noch immer, diese vermaledeite Klamotte.
Warum hänge ich genauso an BHs wie sie an mir? Weil mein Bombenbusen einen Rahmen braucht, am liebsten vergoldet und verglitzert. Meine Büstenhalter müssen gut sitzen und sollen meine stolzen Kurven zur Geltung bringen. Mal schön, mal obszön. Willst du deinen Balkon vermieten?, fragte mich ein Schulkamerad zwinkernd, weil mein Markenzeichen immer schon ein ausladendes Dekolleté war. Wer ordentlich Holz vor der Hütte hat, weiß wie ich, dass es nicht unbedingt angenehm ist, ohne BH zu laufen oder zu hüpfen. Besonders zu schaffen machen mir meine Möpse, wenn ich im Zyklus kurz vor der Regel bin. Dann schmerzt jeder Touch – und das, obwohl meine Brüste so gern berührt werden. In diesen Phasen ohne BH rauszugehen wäre purer Masochismus. Beim Treppensteigen müsste ich meine Brüste vermutlich mit den Händen halten – Self Bra sozusagen. Heißer Scheiß dann im Sommer, denn: unter den Brüsten die Brühe! Und da hilft auch kein Unterleiberl.
Übrigens: Wer gern ein, zwei Nummern größer hätte, gehe in ein gutes Unterwäschefachgeschäft und lasse sich beraten. In den meisten Fällen werden nämlich viel zu kleine BHs gekauft. Vielleicht auch ein Grund, warum für so manche_n der BH zur Qual und somit zum aktivistisch motivierten Brandopfer wird. Ich jedenfalls scheue nicht mehr vor Größe E zurück, wenn’s sein muss. Eine Verkäuferin hat mir einst die Augen geöffnet. Also keine Frage: Bequem muss es sein und passen, das gute Stück! Und wer keinen BH tragen will, der sei’s genauso gegönnt – denn BH-Tragen sollte weder ein gesellschaftlich verordnetes „Must“ noch ein feministischer „Fauxpas“ sein.
Tamara Tamke heißt eigentlich anders. Sie ist Journalistin und lebt in Wien.