Großeltern sind für viele Mütter und Väter unentbehrlich bei der Kinderbetreuung, weil es an anderen Angeboten fehlt. Was aber, wenn die Oma darauf gar keine Lust hat? Eine Großmutter packt aus – und eine Ökonomin erklärt, was in der Care-Arbeit anders laufen muss. Von Anna Lindemann
Manchmal geht Birgit mit ihren beiden Enkeln auf den Spielplatz und steht dort neben anderen Großmüttern, die ausgelaugt ins Leere schauen, während die Kinder schaukeln, rutschen, im Sand spielen. Das könne sie gut verstehen, erzählt sie am Telefon, als sie zwischen der Enkelbetreuung endlich Zeit für ein Gespräch findet. Auch sie fühle sich oft so: ausgelaugt und erschöpft. „Darüber jammern will dann aber niemand.“ Von den anderen Omas heiße es immer nur, wie toll es sei, Enkelkinder zu haben.
Birgit heißt eigentlich anders, möchte hier aber lieber anonym bleiben. Sie ist 71 Jahre alt und hat in ihrem Leben vier Kinder großgezogen, ihr Mann hat immer gearbeitet. Selbst berufstätig war die Seniorin nie, doch immer, wenn es ging, hat sie Texte geschrieben und damit etwas Geld verdient. Das will sie auch jetzt tun: „Ich träume davon, zu schreiben, zu lesen, mit meinen enkellosen Freundinnen in den Heurigen zu sitzen.“
Die Realität sehe aber oft anders aus. „Viel meiner Zeit wird von meinen beiden Enkeln beschlagnahmt, auf die ich regelmäßig aufpasse“, sagt Birgit und betont gleich im nächsten Satz: „Ich will nicht falsch verstanden werden: Ich liebe meine Enkel.“ Beneiden würde sie ihre Freundinnen auch nicht darum, keine Großmütter zu sein. „Aber manchmal ist es mit der Betreuung einfach zu viel. Ich komme an meine Grenzen.“
Acht bis neun Stunden wöchentlich. In Deutschland passen Großeltern wöchentlich im Schnitt zwischen acht und neun Stunden auf ihre Enkel im Krippenalter auf, bei etwas älteren Kindern sind es sechs bis sieben Stunden. Gemessen hat das eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), an der auch die Ökonomin Mara Barschkett mitgearbeitet hat. „In unserer Studie unterscheiden wir oft nicht zwischen Großvätern und Großmüttern. Klar ist aber: Wenn es um Notfallbetreuung geht, dann springen die Omas öfter ein als die Opas“, so die Ökonomin. Aus der Forschung wisse man außerdem, dass Großmütter insgesamt mehr Zeit mit ihren Enkelkindern verbringen.
In einem eher konservativ geprägten Land wie Österreich sehe es wahrscheinlich ähnlich aus. Dabei komme es durchaus vor, dass Großeltern überlastet sind: „Vor allem dann, wenn sie das Gefühl haben, ohne sie läuft es nicht und es besteht ein Zwang, Betreuung zu übernehmen“, sagt Barschkett im Gespräch mit an.schläge.
Birgit ist sicherlich nicht die einzige Oma, die ihre Enkel manchmal gerne weniger sehen würde. Offen zugeben wollen das aber die wenigsten, das weiß auch die Seniorin. Dabei geht es nicht nur darum, dass Großmütter körperlich überlastet sind. „Omas werden mit jeder Generation fitter, teilweise stecken sie aufgrund des hohen Rentenalters selber noch im Arbeitsleben“, sagt Barschkett.
Vielmehr scheint es älteren Frauen darum zu gehen, ihre Zeit selber gestalten zu wollen. Auf dem Elternblog „Stadt Land Mama“ gibt eine Großmutter zu: „Ich lasse mir mein Leben nicht von den Kindern und Enkeln diktieren oder terminieren. Ich habe noch ein eigenes, aktives Leben, das ich gerne leben möchte.“ Und auch Birgit sagt: „Ich habe schon meine Kinder großgezogen und würde mich nun selbst gerne mehr in den Mittelpunkt stellen.“
Viele Eltern erwarten allerdings etwas anderes – zum Teil sind sie auch darauf angewiesen, insbesondere Alleinerziehende. „Die Zeit, die Großeltern mit ihren Enkeln verbringen, hat sich trotz der Kita-Erweiterung in den vergangenen Jahren nicht groß verringert“, sagt Barschkett. Vor allem zu Randzeiten – nach Kita-Schluss und vor dem Feierabend – würden Omas und Opas häufig einspringen, da die Betreuung anders nicht zu organisieren sei. Großeltern sind vor allem für die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit von Müttern mit sehr jungen Kindern oft unentbehrlich. Das sei eine Verantwortung, die Großeltern nicht haben sollten, findet die Ökonomin.
Druck von Müttern. Birgit trägt sie trotzdem. Sie beschreibt den großen Druck, den sie empfindet – und eine Erwartungshaltung, die auch ihre Töchter an sie haben. „In den Vorstellungen meiner Kinder bin ich die, die immer da ist und alles auffangen kann, die kein eigenes Leben hat. Ich bin aber nicht so eine. Ich kann und will das nicht.“
In Internetforen sind es vor allem Mütter, die darüber klagen, wenn ihre Mütter wiederum kein Interesse am Oma-Sein haben. Und auch die DIW-Studie zeigt: Passen Großeltern gar nicht oder nur selten auf ihre Enkel auf, erhoffen sich die Eltern der Kinder oft eine größere Einbindung. Birgit hält dagegen, dass die Arbeit, die Großeltern leisten, oft als selbstverständlich gilt und deshalb nicht ausreichend anerkannt wird.
Das sei nicht richtig so, sagt Barschkett. „Wenn Großeltern viel unbezahlte Care-Arbeit leisten, sollte das auch wahrgenommen werden.“ Aber wie? Ein Ansatzpunkt seien finanzielle Unterstützungen von Großeltern, die Betreuung übernehmen, zum Beispiel in Form eines „Großelterngelds“. Auch über „Großelternzeit“ werde immer mal wieder diskutiert. Diese Ideen seien allerdings nicht unproblematisch, sagt Barschkett. „Die Vorschläge könnten den Großeltern auch eine Last auferlegen und sie vielleicht zu stark in die Verantwortung ziehen.“
Stattdessen fordert sie mehr institutionelle Betreuung: „Wir brauchen noch immer viel mehr Kitaplätze und Ganztagsschulen.“ Außerdem müsse es flexiblere Arbeitsmodelle geben, so dass Eltern ihre Familie und Erwerbstätigkeit besser vereinbaren können.
Rollenerwartungen. Das reiche allerdings nicht – denn eine Ursache des Problems hat mit unseren Rollenbildern von Männern und Frauen zu tun. „In unserer Gesellschaft sind es nach wie vor Frauen, die den Großteil unbezahlter Care-Arbeit übernehmen“, sagt Barschkett.
Selbst wenn beide Elternteile Vollzeit arbeiten, kümmern sich die Mütter mehr um ihre Kinder als die Väter. Sie sind es außerdem, die oft den Großteil der Elternzeit übernehmen. Die Großelternstudie des DIWs zeigt außerdem: Mütter sind es, deren Zufriedenheit deutlicher wächst, wenn die Omas und Opas bei der Betreuung unter die Arme greifen können. Bei Vätern hingegen, deren Belastung meist moderater ist, ist das nicht so deutlich messbar.
Es würde also unter Umständen auch den Großeltern zugutekommen, wenn die Sorgearbeit unter den Eltern gerechter aufgeteilt wird, sagt Barschkett. Denn die Zeit, die Omas und Opas mit ihren Enkelkindern verbringen, sollte kein Ersatz für institutionelle Betreuungsmöglichkeiten sein, also nichts, worauf Eltern angewiesen sind. „Dann kann die gemeinsame Zeit etwas sein, wovon alle profitieren.“ Das wünscht sich auch Birgit. Oma sei sie gerne – nicht aber „eine unsichtbare Diensthabende“. •
Anna Lindemann ist Sozialwissenschaftlerin und Enkelin – aus dem Bekanntenkreis ihrer Oma wollte aber niemand über das Thema sprechen.