Wie lassen sich „weiße“ Privilegien und Normen benennen? VINA YUN sprach mit LANN HORNSCHEIDT, Professx für Gender Studies und Sprachanalyse in Berlin, über die Möglichkeiten antirassistischen sprachlichen Handelns.
Langfassung des Interviews auf www.migrazine.at
an.schläge: In der Auseinandersetzung mit „Weißsein“ geht es immer wieder auch um antirassistische Sprachkritik. Dabei werden zum Beispiel politische Selbstbezeichnungen minoritärer Gruppen wie etwa People of Color in den Vordergrund gerückt. Wie lässt sich jedoch „Weißsein“ – als das Nicht-Benannte, Unsichtbare – thematisieren?
Lann Hornscheidt: Weiß-sein ist nur für Personen mit weißen Privilegien wie mich unsichtbar. Für Personen, die rassistisch diskriminiert sind, ist weiß-sein hingegen kontinuierlich Thema. Hätten Schwarze Personen und People of Color mehr Raum in öffentlichen Diskursen, so wäre es überhaupt keine Frage, ob eine privilegierte weiße Position unbenannt wäre.
Die antirassistischen Selbstbezeichnungen, die Sie ansprechen, sind vor allem Positionierungen von Personen, die durch Rassismus diskriminiert sind und sich damit kritisch auseinandergesetzt haben. Weiß ist aber, im Gegensatz zu Benennungen wie Schwarz und People of Color, keine politische empowernde Selbstbezeichnung, sondern die konkrete Benennung einer privilegierten Positionierung.
Weiße Positionierungen und Normalitäten lassen sich in weiß dominierten Diskursen dadurch wahrnehmbar machen, indem sie benannt werden. Ich würde allerdings nicht von weiß-sein sprechen, sondern von weißen Privilegien und ihren konkreten Effekten. Der Ausdruck weiß-sein essenzialisiert, ebenso wie es der Begriff Schwarz-Sein tut. Ich halte es für wichtig, für jede Situation immer wieder neu zu schauen, wie dort Privilegien wirken, und dies konkret zu benennen. Einem Text oder einer Äußerung eine allgemeine Aussage voranzustellen wie „Ich schreibe diesen Text aus einer weißen Perspektive“ halte ich für wenig sinnvoll, sondern für eine weitere Form, sich gerade nicht mit eigenen Privilegien in Bezug auf Rassismus auseinanderzusetzen. Es ist lediglich eine äußerliche „Entschuldung“, ohne konkret darüber nachzudenken, was Privilegien auf welchen Ebenen alles bedeuten – und was sie tun!
Sie erklären, dass es bei Interventionen in sprachliche Diskriminierungen nicht einfach um die „veränderung einer norm, sondern um die aneignung sprachlicher Handlungsfähigkeit“ (1) geht. Was bedeutet sprachliches Handeln, und wie ist dieses durch „Weißsein“ geprägt?
Es geht nicht nur darum, was ich sage, sondern auch, wie dieses „ich“ positioniert ist: Welchen Positionen wird zugehört, wer wird als Expertx angesehen, wer als Opfer, Betroffene, als zu emotional, zu aggressiv, und welche rassistischen Normen liegen diesen Bewertungen zugrunde? Sprachliches Handeln bedeutet also nicht nur, das zu verändern, was ich sage, sondern zu reflektieren, wie ich positioniert bin in Bezug auf strukturelle Diskriminierung. Es bedeutet, darüber nachzudenken, welche Konsequenzen es hat, was ich wo wie sagen und schreiben kann, und inwiefern ich Gehör finde, ernst genommen werde – oder eben nicht. Darüber hinaus meine ich mit der Aneignung von Handlungsfähigkeit aber auch, dass ich Sprache als etwas wahrnehme, das ich aktiv gestalten und mir auf diese Weise vielleicht auch (wieder) aneignen kann.
Indem ich als weiß privilegierte Person Schwarzen Personen als Expertx zu welchen Themen auch immer zuhöre, schaffe ich auch neue Wahrnehmungen und handle sprachlich anders, wenn ich mich auf ihre Aussagen beziehe. Wenn ich als weiß privilegierte Professx nicht die Stimmen von Schwarzen Personen, die diskriminiert sind, als Forschungsobjekt vereinnahme, sondern als Expertx zitiere, sie als Hauptredn_erinnen auf Konferenzen fordere, handle ich sprachlich. Wenn ich zum Beispiel Gedichte von antirassistischen Aktivistx wie Audre Lorde, Pat Parker, Chrystos und May Ayim in meinen wissenschaftlichen Texten als zentrale Publikationen zu Sprache und Diskriminierung zitiere, verändere ich Genre-Vorstellungen und fordere den Standpunkt, dass Gedichte nicht wissenschaftlich seien, heraus – und handle also sprachlich. So kritisiere ich weiße Normen, ent-normalisiere sie.
Kritische Stimmen meinen, Critical Whiteness habe wenig mit den realen antirassistischen Kämpfen zu tun und bediene nur einen „transnationalen Dialog zwischen akademischen Subkulturen“ (2). Sind Critical Whiteness Studies ein Elitendiskurs?
Es gibt eine starke universitäre Tradition, nur andere akademische Stimmen zu zitieren, politisch-aktivistische Stimmen hingegen höchstens als Forschungsmaterial zu begreifen und nicht weiter auszudifferenzieren. Und immer weniger wird mein akademisches Arbeiten als Teil von politisch-aktivistischen Kämpfen verstanden; es wird höchstens auf Kämpfe an der Universität begrenzt, zum Beispiel für Quotierungen oder für eine Antidiskriminierungsstelle. Aber was darüber hinaus? Mache ich Workshops in autonomen Zusammenhängen, interveniere ich in der U-Bahn in rassistische Situationen? Inwiefern reflektiere ich alles das in meinem akademischen Arbeiten, wie häufig frage ich diejenigen, die durch Rassismus diskriminiert sind, wozu sie welche Analysen brauchen?
Ich nehme auch eine immer stärkere Abspaltung von akademischen Wissens-produktionen zu Antirassismus und politischen antirassistischen Kämpfen wahr. Critical Whiteness Studies sind – so wenig sie auch institutionalisiert sind – wenig verankert in sozialen und politischen Bewegungen, und es geht hier kaum darum, akademische Wissensproduktion vor allem als Dialog mit antirassistischen Gruppen zu verstehen.
An den Universitäten im angloamerikanischen Raum spricht man von Critical Race Studies, im deutschsprachigen Raum ist hingegen fast immer von Critical Whiteness Studies die Rede. Hat man hier zu sehr die Frage der eigenen weißen Privilegiertheit im Blick, anstatt darüber zu reden, wie die eigenen sozialen Beziehungen durch Rassismus geformt werden?
Die Frage impliziert bereits, dass die entscheidenden Positionen an deutschsprachigen Universitäten von weiß privilegierten Personen besetzt sind, re_produziert also eine weiße Norm – und dies ist tatsächlich der Fall: Schwarze Personen und People of Color als Professx sind weiterhin die absolute Ausnahme an deutschen Hochschulen, Critical Race Studies ist so gut wie überhaupt nicht institutionalisiert. Und das wiederum hat alles weitreichende Konsequenzen für positionierte antirassistische Wissensbildungen, für mögliche Vorbildfunktionen von Schwarzen Professx an der Universität, Genealogisierungen von antirassistischen Wissensbildungen usw.
Die Frage beinhaltet aber auch etwas anderes: dass Critical Whiteness Studies ein Unterfangen von weiß privilegierten Personen seien. Das ist aber definitiv nicht der Fall: Critical Whiteness Studies sind von Schwarzen Personen und People of Color etabliert worden (3), die sich mit der weiße Normsetzung beschäftigt haben und beschäftigen. Als solches ist Critical Whiteness ein wichtiger theoretischer und analytischer Teil von Critical Race Studies, aber vor allem ein Teil und ganz klar aus einer Schwarzen und People-of-Color-Perspektive!
Eine Fokussierung auf weiße Normen unabhängig von dieser sozialen Positionierung der Forschenden und dieser Genealogie kann dazu führen, dass wiederum weiße Positionierungen und weiß-sein im Mittelpunkt stehen und Schwarze Menschen und People of Color erneut marginalisiert werden.
In den deutschsprachigen Gender Studies hat sich während des letzten Jahrzehnts das Konzept der Intersektionalität durchgesetzt. Welche Rolle spielt „Weißsein“ in den Diskursen zu Intersektionalität?
Diese Frage kann ich nicht umfassend beantworten, ich benenne hier daher nur einige Punkte: Ich trenne zwischen Intersektionalitäts- und Interdependenz-Ansätzen. Erstere gehen häufig von sozialen Kategorien aus, die additiv zueinander und miteinander in Forschungen mehr oder weniger berücksichtigt werden – etwa Gender/Geschlecht und Race. Ich gehe in meiner Forschung hingegen von einem konstruktivistischen Interdependenzverständnis aus, das bei strukturellen Diskriminierungen ansetzt und nicht bei sozialen Kategorien: Es geht also um Sexismus – oder eher Genderismus – statt um Geschlecht, um Rassismus statt um Race oder Rassifizierungen. Setze ich so an, geht es beispielsweise auch um Kriminalisierungen, Gewaltverhältnisse, juristische und medizinische Diskriminierungen oder prekäre Arbeitsverhältnisse.
Was heißt das jetzt für mich, in der unglaublich privilegierten Position Professx zu sein, was ich unter anderem auch durch meine weißen Privilegien habe werden können? Für mich bedeutet das: all dies weiter kritisch zu reflektieren, zu versuchen, immer wieder neue Formen zu finden, um interdependente Diskriminierungen wahrzunehmen und politisch zu bekämpfen, akademische Wissensbildungen zu re-politisieren, zu überlegen, für wex ich das mache und zu wex ich mit dem, was ich tue, eigentlich spreche.
Lann Hornscheidt ist Professx für Gender Studies und Sprachanalyse an der Humboldt-Universität zu Berlin und aktiv in dem Zusammenschluss xart splitta (www.xartsplitta.net), der interdependente trans_x_enden Interventionen in strukturelle Diskriminierungen durchführt, schafft, organisiert, vermittelt.
Fußnoten:
(1) Lann Hornscheidt: feministische w_orte. ein lern-, denk- und handlungsbuch zu sprache und diskriminierung, gender studies und feministischer linguistik, Brandes & Apsel 2012
(2) Siehe Interview mit Vassilis Tsianos in „Jungle World“, 32/2012, http://jungle-world.com/artikel/2012/32/46024.html
(3) Die erste umfassende Publikation zu Critical Whiteness Studies im deutschsprachigen Raum wurde federführend von drei Schwarzen Antirassistinnen herausgegeben, zusammen mit einer weißen Forscherin: Maureen Maisha Eggers, Grada Kilomba, Peggy Piesche, Susan Arndt (Hg.innen): Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland, Unrast Verlag 2005
1 Kommentar zu „Die Normalität entnormalisieren“
Pingback: lann hornscheidt | interview: die normalität entnormalisieren