Die Kuratorinnen NORA STERNFELD und LUISA ZIAJA haben mit dem Buch „Fotografie und Wahrheit” einen interessanten transdisziplinären Einwurf in die Debatte um das Medium Fotografie in Ausstellungen vorgelegt. Im Interview mit SYLVI KÖCHL sprechen sie über Möglichkeiten des kritischen Umgangs mit fotografischen Bildern.
an.schläge: Der Titel eures Buches, „Fotografie und Wahrheit“, meint mit Wahrheit nicht etwas Absolutes oder Authentisches, sondern mit Michel Foucault die „Politik der Wahrheit“. Wie funktioniert denn die Produktion von Wahrheit durch das Medium der Fotografie?
Nora Sternfeld, Luisa Ziaja: Ja, genau. Für uns ging es darum zu fragen, in welches Verhältnis sich Fotografie in Ausstellungen zur gesellschaftlichen Produktion von Wahrheit stellen kann. Da gibt es dieses Zitat in „Was ist Kritik?” von Focault: „In dem Spiel, das man die Politik der Wahrheit nennen könnte, hat die Kritik die Funktion der Entunterwerfung.” Uns geht es also vielleicht mehr um die Frage danach, inwieweit sich Fotografie auch als Kritik einmischen kann, inwieweit sie Möglichkeiten und Wirklichkeiten produzieren kann, als darum, wie sie Wirklichkeit abbildet.
„Fotos schaffen Fakten. Schaffen Fotos Fakten?“, hieß eine Tagung von euch 2008, deren Ergebnisse mit die Grundlage dieses Buches bilden. Welche Antworten habt ihr gefunden?
Sternfeld, Ziaja: Die Tagung haben wir im Rahmen der Plattform schnittpunkt. ausstellungstheorie & praxis gemeinsam mit unserer Kollegin Monika Sommer konzipiert und organisiert. Ziel war es, die Frage nach der Konstruiertheit von Faktizität durch Fotografie – eine Frage, die in den letzten 30 Jahren in zahlreichen Disziplinen wichtig wurde und diese verändert hat –, vor dem Hintergrund der Ausstellungstheorie transdisziplinär zu diskutieren. Wir wollten also kuratorische und ausstellungstheoretische Erfahrungen aus unterschiedlichen Bereichen gemeinsam behandeln und sehen, was wir von den jeweils anderen für unsere Praxis lernen könnten. Das Wichtigste, das uns dabei bei aller Heterogenität klar wurde, war eigentlich, wie selten die Debatten zwischen Kulturgeschichte, Zeitgeschichte, Aktivismus und kritischem theorieaffinen Kunstfeld gemeinsam geführt wurden. Das ist schade, denn gerade im Ausstellungsbereich konnten wir davon profitieren, hier Erkenntnisse und Zweifel zusammenzuführen. Das Buch, das neben den überarbeiteten Vorträgen auch neue und ergänzende Beiträge umfasst, gibt entsprechend vielfältige Antworten auf die Ausgangsfrage. Als roter Faden lässt sich aber sicherlich das Eintreten für ein reflexives, differenzierendes und kontextualisierendes Verhandeln und Ausstellen von Fotografie identifizieren.
Gerade bei historischen Fotos ist es schwer, sich der Faszination zu entziehen, dass ich hier sehen kann, wie etwas „wirklich“ war. Allerdings stellt sich die Frage: Geht es darum, was sichtbar ist oder nicht auch um das, was eben nicht dargestellt wurde oder werden konnte? Wie können KuratorInnen angesichts dieser Wirkmächtigkeit einen Kontext schaffen, der mich als Betrachterin kritikfähig macht?
Ziaja: Es geht eben, wie du sagst, auch um die Produktions- und Entstehungsbedingungen von Fotografien. Diese nicht zu nennen, reduziert Fotografien oft zu Illustrationen. Unsere These besteht darin, dass die Widersprüche und notwendigen Lücken, die sich auch immer in Fotografien befinden, sie nicht mangelhaft machen, sondern vielmehr zu ernstzunehmenden Dokumenten. Ein solcher reflexiver kuratorischer Zugang ermöglicht eine Auseinandersetzung mit historischen Fotografien, die diese weder auf ihre Faktizität reduziert noch ihr Verhältnis zur Wirklichkeit völlig außer Acht lässt. Die Macht des Faktischen etwa gegen Geschichtsleugnung ins Treffen zu führen, scheint uns nämlich immer noch ein adäquates engagiertes kuratorisches Mittel zu sein. Bloß sind die Fotos eben kein direkter, sondern ein gestalteter Zugang zur Wirklichkeit. In ihren Produktionsbedingungen und vor dem Hintergrund ihrer AutorInnenschaft sollten wir sie also eher ernster nehmen als bisher.
Neben der angesprochenen Reduktion zu Illustrationen finden wir insbesondere im Kunstkontext eine Ausstellungspraxis von (auch historischen) Fotografien vor, die diese – quasi diametral – auf ihre ästhetische Qualität reduziert. Durch diesen Fokus auf ihre Gemachtheit gerät ihr Wirklichkeitsbezug aus dem Blick. Wie sich diese weit verbreitete Negierung der Komplexität in einer nivellierenden, dekontextualisierenden und letztlich auch depolitisierenden Präsentationsform von Fotografie niederschlägt, versuche ich in meinem Beitrag herauszuarbeiten.
Ähnlich wie bei Fotos aus einer anderen Zeit ist es bei Fotos aus „einer anderen Welt“, die ich nicht kenne, wo ein kolonialistischer Blick sichtbar gemacht werden muss …
Sternfeld: Das ist ein weiteres wichtiges Thema, das du hier ansprichst: die postkoloniale Situation unseres Blicks. Gerade auch für den Kolonialismus hatte Fotografie ja eine ebenso mächtige Funktion und Gewaltgeschichte der Überwachung, Vermessung und rassistischen Wahrheitsproduktion. Es ist also immer auch etwas von dieser rassistischen Sehgewohnheit mitzubedenken, wenn es im Westen um Fotografie geht. Hier versuche ich in meinem Beitrag über die Möglichkeit eines kuratorischen Umgangs mit Fotografie zu schreiben, der diese Blickregime durchkreuzt, indem die kuratorische Funktion als Gegen-Anordnung verstanden wird. Eine Gegenperspektive, die nicht glaubt, dass sie aus der rassistischen und kolonialistischen Logik herauskommt und einen reinen Blick hat, sondern vielmehr als der Versuch verstanden werden kann, diese Blicke zu reflektieren, zu konfrontieren und durch Zusammenstellung gegeneinander auszuspielen.
Für uns bei den an.schlägen gehört es zur täglichen Arbeit, Texte mit Bildern zu verbinden. Als Feministinnen geht es uns dabei zum einen um engagierte Fotografie bzw. Bildproduktion, zum anderen um die implizite Kritik an Objektivitäts- und Wahrheitsansprüchen, wie sie bürgerlicher Journalismus gerne stellt. Lassen sich eure Erkenntnisse auf den Einsatz der Fotografie in der Nachrichtenproduktion umlegen? Was macht in euren Augen eine kritische Bildpolitik aus?
Sternfeld: Obwohl das ja nicht ganz das Thema unseres Projekts war, können wir schon sagen, dass Fotografien in den Medien eben zumeist als Illustrationen eingesetzt werden. Da geht es gar nicht so sehr um Wahrheit als darum, eine Wirklichkeit zu schaffen. Hier würde ich Pierre Bourdieu abwandelnd sagen: Die Leute glauben weniger an die Wahrheit der Zeitungsfotos, als sie erst glauben, dass etwas überhaupt existiert, wenn es in der Zeitung abgebildet ist.
Ziaja: Eine kritische Bildpolitik wäre vielleicht eine, die die AutorInnenschaft von Bildproduktion und ihren positionierten Charakter ernst nimmt. Es hat lange gedauert, bis Fotografien in historischen Ausstellungen als historische Quellen ernst genommen wurden. Vielleicht geht es nun auch darum, Fotografien als journalistische Aussagen zu begreifen.
Nora Sternfeld und Luisa Ziaja sind Teil des Plattform-Netzwerks schnittpunkt ausstellungstheorie & praxis (www.schnitt.org). Nora Sternfeld ist Kunstvermittlerin und Kuratorin. Luisa Ziaja ist Kuratorin und Kunstkritikerin. Beide sind seit 2006 Teil des Leitungsteams des postgradualen Masterlehrgangs für Ausstellungstheorie und -praxis an der Universität für angewandte Kunst Wien.
Nora Sternfeld, Luisa Ziaja – schnittpunkt (Hg.innen): Fotografie und Wahrheit. Bilddokumente in Ausstellungen, Band 4 der Reihe „Ausstellungstheorie & Praxis”, Turia + Kant 2010