NINA HÖCHTL und JULIA WIEGER von der Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs (VBKÖ) befragen die Geschichte eines feministischen Kunstraums. Interview: FIONA SARA SCHMIDT
an.schläge: Wie wird die Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs (VBKÖ) finanziert und wie ist sie im Vergleich zu anderen Kunstinstitutionen aufgestellt?
Nina Höchtl & Julia Wieger: Die Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs (VBKÖ) ist ein selbstorganisierter Kunstraum, der vor allem durch ehrenamtliche Arbeit getragen wird. Unser Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm wird zum größten Teil durch einen Jahresförderung der Kunst- und Kulturabteilung des Bundeskanzleramts finanziert, 2016 unterstützt uns auch die Arbeiterkammer Wien. Trotzdem sind unsere Förderungen so niedrig, dass die organisatorische Arbeit rund um das Programm nicht bezahlt werden kann. Das sind zum Beispiel Öffentlichkeitsarbeit, die Instandhaltung der Räume, aber auch das Schreiben von Anträgen.
In der Ausstellung „Die Kunst der Frau“ ging es zuletzt genau darum. Sie ist Teil einer Serie, die sich mit den wirtschaftlichen Verhältnissen von drei historischen Künstler*innenvereinigung auseinandersetzt (Künstlerhaus, Secession und VBKÖ). Obwohl die VBKÖ aus einer ähnlichen Motivation gegründet wurde, nämlich für die künstlerische und ökonomische Förderung von Künstlerinnen in Österreich, ist sie nicht mit den beiden „großen“ Häusern vergleichbar. Während unsere Jahresförderung 24.000 Euro vom Bund und 4.000 Euro von der Stadt beträgt, bekommen Secession (220.000 Euro vom Bund und 310.000 Euro von der Stadt) und Künstlerhaus (180.000 Euro vom Bund und 380.000 Euro von der Stadt) etwa die zwanzigfache Summe an Förderungen.
Für die VBKÖ ist zur Zeit die wichtigste Frage, wie wir es schaffen könnten, eine halbe oder besser eine voll bezahlte Stelle zu finanzieren, die sich um die grundlegende Organisation kümmern kann. Dafür müsste sich unser Jahresbudget jedoch mindestens verdoppeln.
Spiegelt Ihre prekäre Situation strukturelle Schieflagen im Bereich Kunst insgesamt wider? Wie bewerten Sie die Ressourcenverteilung und Repräsentation von Frauen*?
Ja, kein Zweifel! Dazu gibt es auch immer wieder Studien und Statistiken, die die ungleiche Stellung von Frauen im Arbeitsfeld des österreichischen Kunst- und Kulturbetriebs und die Unterrepräsentation von Künstlerinnen bei internationalen Biennalen und in großen Kunstinstitutionen eindeutig aufzeigen. Diese ungleiche Situation wird durch Diskurse und Ökonomien hergestellt, die beeinflussen, welche Positionen un/sichtbar gemacht werden, welche Arbeit (gut) bezahlt wird und wer somit Zugang zu Mitteln hat.
In einer breiteren Öffentlichkeit geht es in Diskussionen über ungleiche Möglichkeiten im Kunst- und Kulturkontext sehr oft „nur“ um das Geschlecht – dabei werden die Bedingungen immer schlechter, wenn eine Person mit mehreren Diskriminierungen konfrontiert ist, wie etwa eine Diversitätsstudie der Stadt New York aufzeigt. In der VBKÖ versuchen wir unsere eigenen Privilegien im Blick zu behalten und darauf zu reagieren, dass die strukturelle Schieflage durch eine ganze Reihe von Diskriminierungen entsteht. Denn auch die Arbeit der VBKÖ ist unweigerlich in einen strukturell klassistischen und rassistischen Alltag eingebettet, mit dem eine*r umgehen muss.
Was bedeutet für Sie, kritisch zu kuratieren?
Eine kritische Reflexion beginnt für uns wahrscheinlich mit der Frage, wie eine*r heute einen feministischen Kunstraum organisieren kann. Wir sind acht bis neun Personen im Vorstand, gemeinsam konzipieren und organisieren wir das Programm. Kritisches arbeiten heißt, die Strukturen und Machtverhältnisse immer mitzudenken – den Kunstmarkt genauso wie die eigenen Strukturen, etwa unsere Einladungspolitik. Dabei sollte die eigene Arbeit immer wieder nach Marginalisierungen befragt werden. Es ist uns zum Beispiel wichtig, dass sich der Vorstand aus Personen mit unterschiedlichen Erfahrungen und Herangehensweisen zusammensetzt, die unterschiedlichen Ideen von queerfeministischer und antirassistischer Arbeit im Kunst- und Kulturfeld haben.
Vom 30.9 bis 18.10. wird in der Hauptbücherei Wien das Projekt „A(r)mando vo(i)ces“ der Künstlerin Verena Melgarejo Weinandt stattfinden. Dort werden Zeichnungen von Gloria Anzaldúa gezeigt, die sie in den 1990er-Jahren in ihren Workshops und Vorträgen anfertigte. Sie bezeichnete sich selbst als „Chicana [eine politische Identitätsbezeichnung für aus Mexiko ab- oder stammenden Menschen, die in den USA leben], tejana [Person aus Texas], Arbeiterin*, dyke-feministische Poetin*, Autorin*-Theoretikerin*“ und navigierte als eine* nepantlera (grob übersetzt: im Zwischenraum Lebende) zwischen Welten, Identitäten, und Arten des Wissens. Anzaldúas Zeichnungen präsentiert Melgarejo Weinandt gemeinsam mit den Ergebnissen mehrerer Workshops und einem Vortrag von Yuderkys Espinosa Miñoso und einer Mini-Bibliothek.
Wir machen keine Einzelausstellungen, weil die vor allem der Logik des Kunstmarkts entsprechen. Wir arbeiten gerne mit anderen, wenn möglich kritischen feministischen Organisationen zusammen und finden es wichtig, mit Ausstellungs- und Veranstaltungsformaten offen umzugehen.
Wie wird das Thema Klasse innerhalb der VBKÖ verhandelt?
Klasse war von Anfang an ein Thema, weil ihre Gründerinnen Teil des Adels und der oberen Schichten waren. Das Gebäude, in das sich die VBKÖ 1912 einmietete (und wo sie sich noch heute befindet), gehörte den Schwestern Wittgenstein, die als Stifterinnen der VBKÖ genannt werden. Heute sind Klassen und die Ober- und Unterschichten vielleicht nicht mehr ganz so einfach zu fassen und Ausbeutung hat viele Gesichter.
In unserem Fall können wir von Selbstausbeutung sprechen. Niemand im Vorstand ist finanziell besonders gut abgesichert und manchmal stoßen wir mit der Arbeit für die VBKÖ unsere eigenen Grenzen. Es steht trotzdem die Frage im Raum, wer es sich überhaupt leisten kann, hier unbezahlt zu arbeiten. Wie können wir die Ressourcen der VBKÖ (den tollen Raum, die lange feministische Geschichte, die Netzwerke) solidarisch und verantwortlich anbieten?
Das Sekretariat für Geister, Archivpolitiken und Lücken (SKGAL) kümmert sich um „blinde Flecken“ der eigenen Geschichtsschreibung. Was passiert dabei?
Das SKGAL setzt sich seit vier Jahren mit der*n Geschichte*n und der Geschichtsschreibung der Vereinigung auseinander. Die VBKÖ wurde 1910 gegründet und hat eine lange, komplexe – teilweise sehr problematische – Geschichte. Sie war zu Beginn sehr progressiv und hat sich für die Rechte von Künstlerinnen und Frauen allgemein eingesetzt, die damals weder auf der Akademie studieren noch Mitglieder der Secession werden konnten.
In den späten 1920er-Jahren war die VBKÖ aber schon wesentlich konservativer und hat sich 1938 dazu entschieden, unter dem nationalsozialistischen Regime weiterzuarbeiten. Sie schloss ihre jüdischen Mitglieder aus und passte ihr Programm der Nazi-Ideologie an. Einen richtigen Bruch mit der nationalsozialistischen Periode gab es bis in die 1980er-Jahre eigentlich nicht.
Als Sekretariat arbeiten wir in unterschiedlichen Formaten (Lecture Performances, Workshops, Essay-Film) mit dem Archiv der VBKÖ. Wir setzen uns vor allem mit diesen unheimlichen Kontinuitäten nach 1945 auseinander. Aber auch mit dem Verhältnis zur feministischen Kunst in Wien in den 1960er- und 70er-Jahren – das es so gut wie nicht gegeben hat. Wir wollen uns selbst künstlerisch mit dieser*n Geschichte*n auseinandersetzen. Auch wenn wir uns dezidiert von den Dingen abgrenzen, gehören sie zur Frauen*geschichtsschreibung. Wir lernen mit den Gespenstern zu leben.
Können diese Strategien auch auf größere Institutionen angewandt werden, wird heute feministischer kuratiert?
Feministische Strategien treffen in großen Institutionen wahrscheinlich auf komplett andere Widerstände als wir bei uns. Über die eigenen Strukturen nachzudenken, kann nie schaden – aber davon scheinen die großen Institutionen weit entfernt! Juliane Saupe hat kürzlich die online verfügbare Diskussionsveranstaltung mit den Titel „Feministisches Kuratieren“ organisiert. (1) Ivana Marjanovic und Nataša Mackuljak arbeiten etwa beim Kulturfestival Wienwoche vor allem mit kollektiven und partizipatorischen Projekten (s. S. 17). Dabei ist ihnen wichtig, Orte in Wien mit transnationalem und transkulturellem Wissen zu involvieren.
Nina Höchtl ist Künstlerin und arbeitet häufig mit Künstler*innen zusammen, um Projekte zu realisieren, die versuchen neue Strategien der Kollaboration und der künstlerischen Forschung zu entwickeln.
Julia Wieger ist Architektin, arbeitet an der Akademie der bildenden Künste Wien und in selbstorganisierten, kollektiven Zusammenhängen, in denen sie sich mit den Politiken von Raumproduktion auseinandersetzt.
Im Herbst 2012 gründeten sie die Arbeitsgruppe Sekretariat für Geister, Archivpolitken und Lücken (SKGAL), mit sechs anderen bilden sie den Vorstand der VBKÖ.
(1) Diskussion auf Youtube: Juliane Saupe, Feministisches Kuratieren