Für Überlebende von Krieg und Folter ist die derzeitige globale Situation extrem belastend. Seit 25 Jahren werden sie von den Mitarbeiter_innen von Hemayat professionell begleitet. Kathrin Reisinger hat mit der Psychologin Nora Ramirez Castillo über diese herausfordernde Arbeit gesprochen.
an.schläge: Warum ist es so wichtig, dass Überlebende von Krieg und Folter ihre Erfahrungen aufarbeiten können?
Nora Ramirez Castillo: Krieg, Folter und Verfolgung zwingen Menschen nicht nur zur Flucht, sie hinterlassen auch tiefe Spuren in deren Psyche. Von Durchschlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Entfremdung gegenüber der Familie und psychosomatischen Schmerzattacken bis hin zu Flashbacks reichen die Symptome. Bleiben sie unbehandelt, ist ein normales Alltagsleben und somit die Integration der Flüchtlinge in ihre neuen Heimat nicht möglich.
Was bräuchte es vonseiten der Regierung an Unterstützung, um Ihre Arbeit zu erleichtern?
Wir brauchen eine verlässliche staatliche Basisfinanzierung. Im Jahr 2019 konnten bei Hemayat knapp 1.400 Menschen aus 51 Herkunftsländern behandelt werden. Aber derzeit stehen sechshundert Frauen, Männer und Kinder auf unserer Warteliste, für sie reichen die finanziellen Mittel nicht aus.
Kann die momentane Situation an den europäischen Außengrenzen und auf den griechischen Inseln zu einer Retraumatisierung der Betroffenen führen?
Durch diese Situation werden die Klient_innen von morgen gemacht. Menschen, die aus einer lebensgefährlichen Situation geflohen sind, erleben erneut Zustände, die sie an den Krieg erinnern und dadurch setzt sich der Prozess der Traumatisierung fort. Traumatisierte Menschen brauchen vor allem Sicherheit. Stattdessen bekommen sie Unsicherheit, oder sogar – wie zuletzt die Brände in Moria gezeigt haben – lebensgefährliche Umstände.
Unsere Klient_innen machen sich Sorgen um nahestehende Menschen in Idlib oder an der Grenze. Auch die Bilder in den Nachrichten führen zu Retraumatisierung. Die eigene Flucht, die Angst, die Verzweiflung steigen wieder hoch. Auch ehemalige Klient_innen melden sich wieder bei uns, weil sie von diesen Bildern so belastet sind.
Ist durch die Corona-Krise Ihre Arbeit erschwert worden und wie wirken sich Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen auf eure Klient_innen aus?
Unsicherheit ist ein zentrales Thema für schwertraumatisierte Menschen und löst Verwirrung und Angst aus. Wir bleiben als Einrichtung der Gesundheitsversorgung bis auf Weiteres zu den Öffnungszeiten telefonisch und per Mail erreichbar.
Psychotherapien und Kriseninterventionen finden in dringenden Fällen in Absprache mit den Therapeut_innen und Dolmetscher_innen vor allem telefonisch und online oder im Ausnahmefall persönlich unter Beachtung aller offiziellen Maßnahmen zur Vorsorge und Prävention weiterhin statt. Viele leben als Asylwerber_innen auf engstem Raum und es entstehen diverse Spannungen oder aber sie leben ganz alleine mit ihren traumatischen Erinnerungen und sind in Gefahr zu vereinsamen. In all diesen Situationen werden die vertrauten psychotherapeutischen Gespräche zum Rettungsanker.