Die Politik gibt sich derzeit äußerst dünnhäutig. Regierungsparteien reagieren auf jede Art von Kritik und Analyse bockig. Auf Social Media holen Kabinettsmitglieder zu Gegenangriffen und Rechtfertigungstiraden aus, um sich über undankbare Bürgerinnen und Journalistinnen zu beschweren. Ganz vorne dabei: ein Innenminister, der ankündigt, eine Privatperson klagen zu wollen, weil ihm ein scharfer Tweet nicht gefallen hat. Es gibt sogar Angriffe auf die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, weil es offenbar nicht geht, dass ein Finanzminister genauso behandelt wird wie der Rest der Bevölkerung, wenn der Verdacht eines Verbrechens im Raum steht.
Größte Mühe wird darauf verwendet, das Image blitzeblank zu halten. Kein „Anpatzen“ erlaubt, wie Sebastian Kurz so schön zu sagen pflegt. Doch Regierungsverantwortung ohne Kritik ist schlicht unmöglich. Wirkliche Demokratie funktioniert nur, wenn verschiedene Meinungen zulässig sind und Entscheidungen permanent auf Zulässigkeit und ihren Nutzen für die Gesellschaft geprüft werden.
Nicht alles, was sich als Meinung tarnt, ist eine Meinung – vor allem wenn es etwa um Diskriminierung geht. Doch solange die Kritik keine Menschen in Gefahr bringt und Machtverhältnisse, Entscheidungen und politische Arbeit hinterfragt werden, muss jede auch noch so scharfe Meinungsäußerung akzeptiert werden. Spoiler: Oft wäre es sogar sinnvoll, sich mit dem Kern der Kritik zu befassen und diese anzunehmen. Ein politisches Credo scheint das jedoch schon lange nicht mehr zu sein. Besonders bitter ist es, wenn ehemalige Kritiker*innen wie die Grünen nun an den Hebeln der Macht sitzen und es nicht aushalten, dort nicht nur Beifall zu bekommen. Oder wie die ÖVP gar die Staatsanwaltschaft frontal angreifen.
In diesem Land einmalig ist auch die absolute Abwehr, eine Fehlerkultur zu etablieren. Fehler können passieren, gerade in einer Pandemie mit offenem Ende. Es würde Vertrauen schaffen, im Rückblick möglicherweise falsch getroffene Entscheidungen einzugestehen und nicht ständig alles, was nicht ideal läuft, zu leugnen. Mit dieser Taktik steht die Politik allerdings nicht alleine da, denn Institutionen und Unternehmen versuchen ebenfalls, ihr Image sauber zu halten und Probleme unter den Teppich zu kehren. Nicht zuletzt liefert diese Praxis den perfekten Boden für Fehlverhalten – was damit enden kann, dass auch Übergriffe oder Verbrechen vertuscht werden. Selbst diskriminierende Strukturen, die längst überwunden sein könnten, bleiben dadurch aufrecht, dass berechtigte Kritik und Verbesserungsvorschläge als Angriffe abgetan werden. Dieser Wille zum Totschweigen erzeugt Probleme, die damit nicht verschwinden, sondern nur zeitverzögert an die Oberfläche kommen.
Mein neues Hobby ist in letzter Zeit, Möbel zu lackieren. Alte Tische, Sessel oder Regale haben oft Risse, Abschürfungen oder sind irgendwo ein wenig verrostet. Mit ein wenig Lack sehen sie wieder wie neu aus. Doch unter dem Lack sind die Risse immer noch vorhanden. Mit ein bisschen gespachtelter Reparaturmasse unter der Farbschicht hält das Möbelstück vielleicht noch ein bisschen länger. Doch wenn immer wieder darübergestrichen wird, merkt man weniger schnell, wenn das Möbelstück bröckelt. Manchmal wäre es ratsamer, sich um die Ursache der Risse zu kümmern oder das ganze Ding neu zu bauen. Sonst besteht die Gefahr, dass es irgendwann in sich zusammenfällt.