Spätestens seit dem aktivistischen Slogan „System Change, not Climate Change“ ist klar, dass alternative Konzepte zu unserer derzeitigen kapitalistischen (Re-)Produktionsweise mehr als Umweltschutz beinhalten müssen. Verena Kettner hat mit der Soziologin Emma Dowling darüber gesprochen, warum wachstumskritische und feministische Perspektiven zusammengehören.
an.schläge: Sie beschäftigen sich in Ihrer derzeitigen Forschung mit Alternativen im Bereich der sozialen und ökologischen Reproduktion. Warum sympathisieren Sie mit Wachstumskritik?
Emma Dowling: Zuerst finde ich den Punkt sehr wichtig, dass Wachstumskritik Selbstverständlichkeiten hinterfragt: Die Selbstverständlichkeit, dass Wirtschaft und damit auch Gesellschaft auf ein konstantes Wachstum ausgerichtet sind. Es ist ein Trugschluss, dass eine Wirtschaft, die immer nur wächst, nicht irgendwann an planetarische Grenzen stößt, das zeigt die Klimakrise. Tief verankert ist außerdem die Vorstellung, dass Wachstum allein ausreicht, um alle Menschen adäquat zu versorgen. Was natürlich nicht stimmt, wenn wir uns die Verteilung von gesellschaftlichem Reichtum ansehen und auch, auf wessen unbezahlter Arbeit dieser Reichtum basiert. Es ist also nicht nur die Ausbeutung natürlicher Ressourcen, auf die Wachstumskritik abzielt. Die Kritik richtet sich auch gegen die Ausbeutung unbezahlter – meist weiblicher – Care-Ressourcen.
Warum denken Sie Wachstumskritik aus einer feministischen Perspektive? Gibt es Zusammenhänge zwischen den Logiken des Wachstumsfetischs und des ‚westlichen‘ Patriarchats?
Dieser Wachstumsimperativ, den wir heute haben, begann in der Nachkriegszeit der 50er-Jahre. Eine feministische Perspektive hat aufgezeigt, dass der Wachstumsimperativ schon damals im Fordismus/Keynesianismus eben auch auf der unbezahlten Arbeit der Hausfrau basierte. Auch heute, in einer neoliberalen Ökonomie, sehen wir, dass es nach wie vor diese unbezahlten Tätigkeiten gibt und zudem eine Hierarchisierung zwischen Frauen stattfindet. Wir sprechen von „Global Care Chains“: Man sieht hier, dass Frauen, die erwerbstätig sind und im Haushalt nicht mehr so viel als Ressource zur Verfügung stehen entweder mit einer Doppelbelastung kämpfen, oder dass migrantische Frauen die Arbeiten im Haushalt übernehmen. Einer Wachstumskritik aus feministischer Perspektive kann es also nicht nur darum gehen, die Reproduktions- oder Carearbeit so zu organisieren, dass Frauen arbeiten und produktiv sein können. Wir brauchen eine andere Organisierung von Arbeit, die alle Frauen entlastet.
Gibt es Modelle, die durchspielen, wie Reproduktionsarbeit anders organisiert werden könnte?
In der Familienpolitik versucht man, mit Modellen wie Elternzeit eine andere Verteilung dieser Sorgetätigkeiten innerhalb von Familien und Beziehungen zu erreichen. Es gibt auch Ideen wie „Caring Masculinities“, die eine Entkoppelung von Fürsorge und Weiblichkeit erreichen wollen. Darüber hinaus gibt es aber auch schon Versuche, ganz aus dem Familienmodell auszubrechen. Die Idee von Commoning weitet Verantwortlichkeit auf ein größeres Umfeld aus, beispielsweise auf die Nachbarschaft oder den Arbeitsplatz. Das Care-Kollektiv in England beschäftigt sich mit solchen Ideen und spricht von einer Erweiterung der „Circles of Care“. Dabei ist Selbstorganisierung in kleinen Kreisen aber keine Rundumlösung, da sie immer wieder instrumentalisiert werden kann. Es muss hier also breitere gesellschaftliche Lösungen geben.
In einem Artikel für „Verso“ haben Sie skizziert, dass Frauen unter dem Vorzeichen der romantischen Liebe viel unbezahlte Arbeit leisten: Sorgearbeit, emotionale Arbeit und sexuelle Arbeit. Denken Sie, dass heteronormativ vergeschlechtlichte Gefühls- und Beziehungsstrukturen auch eine Rolle bei Degrowth spielen oder spielen sollten?
Natürlich ist es so, dass soziale Bewegungen, ob Degrowth oder auch andere, nie frei von gesellschaftlichen Machtverhältnissen und Subjektivierungsprozessen sind, aus denen sie entspringen. Es ist ja oft ein Thema in Bewegungen, wer die Bewegung reproduziert. Vergeschlechtlichte Annahmen spielen da eine Rolle. Feministische Bewegungen haben aufgezeigt, dass nicht nur diese Ideologien der Sorge, wer für gesellschaftliche Fürsorge verantwortlich ist und von wem diese „Arbeit aus Liebe“ gemacht wird und mit welcher Motivation, sondern auch die Unsichtbarkeit dieser Arbeit problematisch sind. Nicht nur im Haushalt, sondern auch im Alltag – am Arbeitsplatz, in Beziehungen, in politischen Kontexten – werden gewisse Tätigkeiten und vor allem emotionale Arbeit unsichtbar gemacht. Gerade in sozialen Bewegungen wäre es wichtig, das immer wieder zu thematisieren.
Gegen welche Unterdrückungsmechanismen arbeiten feministische und Degrowth-Bewegungen schon gemeinsam und wo müssten Ihrer Meinung nach die Kämpfe noch intersektionaler gedacht und gelebt werden?
Ich denke, dass die Degrowth-Bewegung im deutschsprachigen Raum Care und Care-Arbeit bereits zentral thematisiert. Bei einer Ökonomie, die auf Bedürfnisse ausgerichtet ist und nicht auf Kapital, ist die Frage, wie wir für einander sorgen und unter welchen Bedingungen, ganz zentral. Natürlich ist auch aus einer feministischen Perspektive die Frage nach Intersektionalität, also postkolonialen und antirassistischen Perspektiven, ein ganz entscheidender Punkt. Oft wird das Zusammenwirken der verschiedenen Bewegungen unter dem Begriff der sozial-ökologischen Transformation gefasst. Natürlich muss auch aus dieser feministisch-politisch-ökonomischen Perspektive immer wieder die Frage nicht nur nach den Grenzen des Wachstums gestellt werden, sondern auch nach den ökonomischen Machtverhältnissen, die festlegen, wie produziert und konsumiert wird.
Bewegungen wie Degrowth, die sich mit der Umwelt beschäftigen, wird oft vorgeworfen, sie seien hauptsächlich akademisch und weiß und würden Klassismen reproduzieren. Können Sie an diese Kritik anknüpfen?
Umweltfragen werden oft noch als Luxusproblem gesehen, da es sich vermeintlich vor allem mittelständische Leute „leisten“ können, sich damit zu beschäftigen. Darüber sind wir aber schon lange hinaus, denn es gibt weltweit Bewegungen, die um ihre Lebensgrundlagen kämpfen. Innerhalb dieser Umweltbewegungen gibt es auch die Frage nach Klimagerechtigkeit, die sich mit den ungleichen globalen Auswirkungen des Klimawandels beschäftigt. Hierbei sollten auch ungleiche ökologische Belastungen verschiedener Bevölkerungsgruppen berücksichtigt werden. Auch das ist eine Form von strukturellem Rassismus. Auch eine Degrowth-Bewegung muss sich immer wieder die Frage stellen, was die Bewegung überhaupt mit Alltagserfahrungen von Menschen zu tun hat und wo da Ansatzpunkte sind. Stichwort Braunkohleausstieg: Für Menschen, die im Braunkohleabbau arbeiten, entsteht die Frage, was mit ihrem Arbeitsplatz passiert. Ein anderer Aspekt ist, dass ein nachhaltiger Konsum sehr teuer ist, weil er kapitalistisch organisiert und einer bestimmten Gesellschaftsschicht vorbehalten ist. Das muss sich natürlich ändern. Genauso im Bereich von Care, wenn jemand arbeiten gehen muss und Kinderbetreuung braucht und nicht so viel Zeit hat, sich mit Alternativen zum Bestehenden zu beschäftigen. Fragen danach, wie Bewegungen zugänglich für Menschen mit wenig Zeit und Ressourcen werden und auch danach, wo niedrigschwellige Punkte für ein Engagement sind, ohne dass Menschen gleich komplett eine Ideologie annehmen oder ihr Leben umkrempeln müssen, sind sehr wichtig. In Degrowth- und anderen Klimagerechtigkeits-Bewegungen geht es um die Frage nach dem solidarischen guten Leben als um Verzicht. Aber weil die Reduktion von Produktion und Konsum auch eine Rolle spielt, gelangt man schnell zu der Vorstellung, dass man sich sehr stark einschränken muss. Ein wesentlicher Punkt wäre herauszuarbeiten, was es durch ökologischen Wandel zu gewinnen gibt.
Emma Dowling ist Soziologin mit Arbeitsschwerpunkten zu feministischer politischer Ökonomie, sozialem Wandel und sozialer Reproduktion.