Könnte ein Roboter deine Arbeit erledigen? Eine Frage, die Ottonie von Roeder und Viktoria Lea Heinrich in ihrem künstlerischen Versuchslabor gestellt haben. Clementine Engler hat mit den beiden über die Zukunft der Arbeit und das Potenzial von Automatisierungen gesprochen.
an.schläge: In eurem Projekt „From Labour to Work – IDRV meets Post-Labouratory“, das im Rahmen der Vienna Design Week 2018 stattfand, habt ihr über die Automatisierung von Arbeitsprozessen nachgedacht. Wie könnte die „Neue Arbeit“ aussehen?
Viktoria Lea Heinrich: Die Theorien des österreichisch-US-amerikanischen Sozialphilosophen Frithjof Bergmann zur „Neuen Arbeit“ sind seit Jahren zentral für die Auseinandersetzung mit zukünftigen Arbeitsweisen des Institute of Design Research Vienna (IDRV), dessen Teil ich 2018 war. Die „Neue Arbeit“ sollte sich zusammensetzen aus einem Drittel Erwerbsarbeit, einem Drittel Selbstversorgung und einem Drittel das tun, was wir wirklich tun wollen. In unserer Zusammenarbeit während der Vienna Design Week haben Ottonie und ich uns ebenfalls auf Bergmanns Konzepte bezogen.
Ottonie von Roeder: Wenn Menschen nach ihren langfristigen Wünschen befragt werden, dann fällt es ihnen schwer, sich gedanklich von ihrer Arbeit zu lösen. Eine gesellschaftliche Krankheit, meint Bergmann. Meine Idee war es, einen Ort zum Umlernen zu gestalten, denn gesellschaftlicher Wandel passiert nicht von allein und überfordert oftmals. Im Post-Labouratory können Menschen mit der Hilfe von Ingenieur:innen, Designer:innen, aber auch Psycholog:innen und Sozialwissenschaftler:innen eine Automatisierung für ihre eigene Arbeit entwickeln. Sie selbst sind die Gestalter:innen, und die Objekte der Automatisierung werden zu ihren Lehrlingen. Ein wichtiger Teil des Gestaltungsprozesses ist die Auseinandersetzung mit der neu gewonnenen Zeit durch Automatisierung. Spekulative Fragen waren der Leitfaden für den gedanklichen Prozess: Was wäre, wenn ein Roboter deine Arbeit ausführen könnte? Was würdest du tun, wenn du nicht mehr für ein Einkommen arbeiten müsstest? Und wie würde die Automatisierung deiner Arbeit aussehen?
Welchen Wert besitzt Arbeit in unserer Gesellschaft?
VH: Arbeit oder das, was wir heute unter dem Begriff verstehen – Erwerbsarbeit und Vollbeschäftigung –, ist ein ganz essenzieller Teil unseres gesellschaftlichen Lebens. Erst durch unsere Arbeit gelten wir als vermeintlich vollwertiger Teil der Gesellschaft. Arbeit ist identitätsstiftend. Ein simples Beispiel dafür ist die Frage: Was möchtest du mal werden? Oder was machst du? Gleichzeitig gibt es Ansätze jenseits von Vollbeschäftigung und Lohnarbeit, die Mitgestaltung fordern, die nach dem Sinn oder Motivation einer Tätigkeit fragen.
OvR: Wir tendieren dazu, Arbeit auf die Erwerbsarbeit zu reduzieren. Das heißt, all jene Arbeit, die drumherum geschieht und anders motiviert ist, wird häufig nicht als Arbeit wahrgenommen. In unserem jetzigen System zahlen wir Steuern für unser Einkommen aus Erwerbsarbeit. Dadurch tragen wir finanziell zu unserer Gemeinschaft bei. Die Tatsache, dass Erwerbsarbeit so eine wichtige Rolle für unseren Platz in der Gesellschaft spielt, hat in der Vergangenheit beispielsweise dazu geführt, dass Frauen für das Recht, arbeiten gehen zu dürfen, gekämpft haben. Damals und auch heute ist es wichtig, dass jede:r die Möglichkeit bekommt zu arbeiten. Erwerbsarbeit sollte allerdings nicht die einzige Möglichkeit sein, wie wir uns als gleichberechtigter Teil der Gesellschaft wahrnehmen.
Unbezahlte Pflege- und Sorgearbeit, die hauptsächlich von Frauen verrichtet wird, ist ein Grundpfeiler des Kapitalismus. Wie sollte diese Form der Arbeit neu bewertet werden?
OvR: Für mich ist die Entlohnung der bisher unbezahlten Tätigkeiten eine Entwicklung in die falsche Richtung. Wir sollten uns davon lösen, Arbeit über finanzielle Grundabsicherung zu bewerten, und stattdessen jede Tätigkeit gleichermaßen wertschätzen. Bezahlung sollte unabhängig von der Tätigkeit geschehen. Das ist meines Erachtens genau die Falle des Kapitalismus, aus der wir uns befreien sollten.
Selbstbedienungskassen im Supermarkt oder Onlinebanking, viele Arbeitsprozesse werden bereits automatisiert. Aber damit ist für viele auch die Angst verbunden, den Job zu verlieren. Wie beurteilt ihr diese Ambivalenz?
OvR: Insgesamt ist es wichtig, die Potenziale zu sehen, aber sich nicht blenden zu lassen. Essenziell ist für mich die feministische Forderung nach Mitbestimmung und Teilhabe. Automatisierung darf kein Prozess sein, der uns von oben herab übergestülpt wird. Arbeitnehmer:innen müssen aktiv mitsprechen dürfen, wie sich ihr Arbeitsplatz verändert. Wir wollen mit unserem Projekt zeigen, dass technologischer Wandel gesellschaftlich gestaltbar sein kann und Automatisierung positiv besetzen.
Natürlich gibt es Tätigkeiten, die für unsere Gesellschaft wichtig sind, die einfach passieren müssen, die sich aber (teilweise) nicht automatisieren lassen – z. B. in der Pflege. Hier geht es nicht nur um die praktische Versorgung, sondern auch um Fürsorge, die für uns Menschen ganz wichtig ist. Dabei kann Automatisierung höchstens als Unterstützung dienen. Solche Tätigkeiten brauchen aber zwangsläufig eine andere Wertigkeit.
VH: Es braucht einen Paradigmenwechsel, wie Automatisierung bewertet, aber auch wie Arbeit definiert wird. Automatisierung wird oft als (politisches) Druckmittel in Form eines Schreckgespensts instrumentalisiert und das ist höchst problematisch. Ich sehe nicht, dass ein Roboter einen Menschen ersetzen kann. Ganz im Gegenteil: Sinnvoll wäre eine Art von Kooperation zwischen Mensch und Technologie – Automatisierung als Werkzeug. Wir nutzen Design, um diese Utopie zu denken und zu gestalten.
In eurem temporären Büro konnte hinterfragt werden, welche Teile einer Arbeit in Zukunft ausgeführt werden wollen. Wie lässt sich Arbeit differenzieren?
VH: Im Englischen ist es einfacher, verschiedene Arbeitsformen zu unterscheiden, als das in der deutschen Sprache möglich ist. Hannah Arendt hat theoretisch zwischen „labour“ und „work“ differenziert.
OvR: Ich verstehe Arendts Unterscheidung so, dass zu „labour“ jene Tätigkeiten gehören, die aus einer extrinsischen Motivation heraus getan werden. Ein einfaches Beispiel ist Erwerb, das Arbeiten, um Geld zu verdienen. Weiters können gesellschaftliche Erwartungen oder die kulturelle Erziehung solche extrinsischen Motivatoren sein. „Work“ hingegen wird aus einer intrinsischen Motivation heraus ausgeübt. Das hat viel mit Kreativität und Kollaboration zu tun, der Wunsch, etwas Nachhaltiges auf der Welt zu hinterlassen. Entscheidend ist nicht nur die Tätigkeit, sondern vielmehr die Rahmenbedingungen: Für wen wird gearbeitet? Für welchen Lohn? Wofür und mit wem? Besteht ein Zwang oder freie Entscheidung? „Labour“ und „work“ lassen sich auch nicht vollständig voneinander trennen. Das ist ein utopischer Gedanke. Egal, wie viel Freude eine Tätigkeit macht, jede Arbeit besteht aus beidem. Unser Projekt hatte zum Ziel, durch die Automatisierung der „Labour“-Anteile einer Tätigkeit so viel Raum für work zu gewinnen wie möglich.
Lässt sich eine Utopie ohne „Labour“-Arbeit imaginieren?
OvR: Ein Design-Festival besucht ein eher privilegiertes Klientel. Unser Projekt kann deshalb nicht repräsentativ für die Gesellschaft stehen. Dennoch war interessant zu beobachten, wie die Besucher:innen, die aus dem Kulturbereich kommen oder sich explizit dafür interessieren, tendenziell von dem künstlerischen Ansatz angeregt waren, aber es ihnen schwerfiel, Automatisierung auf ihre eigenen Tätigkeiten zu beziehen. Zuerst wurde oft klischeehaft an monotone Arbeitsprozesse gedacht.
VH: Viele haben gesagt, dass sie Hausarbeiten z. B. an einen Putzroboter abgeben würden. Die Automatisierung von wenig komplexen Tätigkeiten oder aber organisatorischer und struktureller Arbeit ist vorstellbar. Sonst fehlt die Imagination in der Arbeitsverteilung und das Verständnis, was Arbeit sein kann. Hier wird die Hierarchie schon mitgedacht.
Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich und Initiativen zum bedingungslosen Grundeinkommen – steht euer Projekt in Verbindung zu solchen gesellschaftlichen Debatten?
OvR: Unsere Ergebnisse decken sich größtenteils mit den Umfragen von Initiativen zum Grundeinkommen. Viele Menschen sagen, dass sie tendenziell mehr Bildung wollen, mehr Lernen. Bei mehr Freiheit im Arbeitsalltag könnte das integriert werden. Mehr Zeit mit Familie und Freund:innen. Mehr Freizeitaktivitäten, mehr Reisen. Den Erfahrungshorizont erweitern.
Eine überraschende Erkenntnis aus den Projekten mit zeitintensiverem Austausch ist, dass die aktuelle Tätigkeit der Personen häufig Teil ihrer Zukunftsbeschreibung war. Z. B. hat sich eine Putzhilfe eine Weltreise vorgestellt, das Putzen als Tätigkeit kam allerdings trotzdem vor. Das fand ich sehr schön, weil es durch die veränderten Bedingungen eine neue Wertigkeit bekommen hat. Unser Konzept funktioniert nicht ohne eine Umgestaltung der Art und Weise, wie wir unser Leben finanzieren. •
Viktoria Lea Heinrich ist Designwissenschaftlerin am Archiv der ehemaligen Hochschule für Gestaltung Ulm.
Ottonie von Roeder ist selbstständig als Designerin im Feld zwischen kritischer und spekulativer Gestaltung, Designforschung und -vermittlung in Leipzig tätig.