Was macht die feministische Mobilisierung im Iran so erfolgreich – und droht die Bewegung auszubrennen? Ein Gespräch mit Shoura Hashemi über kurdische Selbstbestimmung, „gute Ausländer“ und westliche Solidarität. Von Maryam Al-Mufti und Leyli Nouri
an.schläge: Die feministischen Proteste im Iran haben bei vielen Hoffnungen geweckt. Was muss passieren, damit dieser Funke nicht erlischt?
Shoura Hashemi: Für mich ist die Hoffnung das ganze Jahr hindurch aufrechtgeblieben, weil ich gesehen habe, wie einfach und schnell es gehen kann, Menschen für Aktivismus zu motivieren. Wie viel Potential es gibt, dass Vernetzungen entstehen können, wenn es um ein konkretes Ziel geht. Um nachhaltig Druck aufbauen zu können, sind solche Vernetzungen und vor allem Hartnäckigkeit unerlässlich.
Nach einem Jahr ist dennoch spürbar, wie sich langsam auch Hoffnungslosigkeit breitmacht. Wie kann die Bewegung nach dem Todestag Jina Aminis und all den niederschmetternden Ereignissen, die in der Folge passiert sind, durchhalten?
Das System im Iran ist nicht ewig lebensfähig. Es wird scheitern. Auch wenn wir aufhören auf die Straße zu gehen, wird es scheitern – aber es wird um ein Vielfaches länger dauern. Ich appelliere besonders an junge Menschen, sich nicht einschüchtern zu lassen und weiter zu rebellieren. Ich denke bei den jüngeren Generationen herrscht noch immer Optimismus und Bereitschaft für ihre Zukunft zu kämpfen. Es wird wieder Auslöser geben, die für stärkere Proteste sorgen werden, eventuell sind das auch wirtschaftliche Gründe. Für die Solidarität im Westen muss deutlich gemacht werden, dass ein freier Iran auch für westliche Länder erstrebenswert ist. Wer Fluchtbewegungen verhindern will, muss sich auf die Seite der Iraner*innen stellen und nicht auf die Seite einer Regierung, die für Destabilisierung in der gesamten Region sorgt, Konflikte schürt und finanziert. Das muss man immer wieder so aufzäumen, damit es hier auch tatsächlich verstanden wird.
Der Mord an Jina Amini hat nicht nur eine feministische, sondern auch eine prokurdische Debatte ins Rollen gebracht. Iranische Frauen kämpfen Seite an Seite mit kurdischen Frauen. Gibt es nun auch mehr Solidarität für die kurdische Selbstbestimmung?
Ich denke, dass die Rolle der kurdischen Bevölkerung für diese Aufstände gar nicht groß genug einzuschätzen ist. Ich würde so weit gehen, zu sagen, dass sie der Motor für diese feministische Revolution war. Das kurdische Streben nach Selbstbestimmung finde ich nachvollziehbar, legitim und vor allem machbar. Ich denke in einem modernen Iran kann kurdische Selbstbestimmung und Autonomie durchaus möglich sein. Die Solidarität zwischen den einzelnen Gruppen ist seit den Protesten gewachsen. Was die Bewegung so einzigartig macht, ist, dass sie übergreifend getragen wird von verschiedenen Bevölkerungsgruppen im Iran – von Kurdinnen bis hin zu arabischen Iraner*innen und Belutsch*innen. Das darf nicht unterschätzt werden.
Kurdische Selbstbestimmungskämpfe werden hierzulande in der Linken oft als Vorbild gesehen – und erfahren auch eine gewisse Romantisierung.
Kurdische Kämper*innen machen in meinen Augen das, was man als feministische Außenpolitik bezeichnet. Kurd*innen leben Feminismus, indem sie sich wehren, indem sie sich zusammenschließen, vernetzen und sich Strategien überlegen. Ich denke, dass kurdische Kämpfe tatsächlich in ihrer Organisiertheit, in ihrer Strukturiertheit und auch in den Erfolgen, die sie zu verzeichnen haben, als Vorbild betrachtet werden sollten. Dass es beispielsweise den IS in der Form nicht mehr gibt, haben wir in erster Linie Kurd*innen zu verdanken.
Die Revolution im Iran ist im Gegensatz zu anderen feministischen Protestbewegungen stärker im Westen rezipiert worden und hat international viel Aufmerksamkeit bekommen. Afghanische Protestbewegungen wurden hingegen medial kaum thematisiert. Woran liegt das?
Die Frage habe ich mir auch sehr oft gestellt. Zum einen glaube ich, dass die internationale Staatengemeinschaft mit Afghanistan bis zu einem gewissen Grad abgeschlossen hat. Wir haben das zum Beispiel gesehen, als über Nacht die Truppen aus Afghanistan abgezogen wurden. Man hat bei diesem Abzug ganz genau gewusst: Wenn die Truppen weg sind, kommen die Taliban. Und das ist dann auch passiert. Man hat Afghanistan auf brutalste Weise im Stich gelassen. Hinzu kommt, dass die iranische Diaspora mit acht Millionen Iraner*innen zahlenmäßig größer ist als die afghanische und vergleichsweise alteingesessen. Teilweise lebt sie seit mehreren Generationen im Westen, ist gut etabliert und konnte dieses Momentum letztes Jahr gut nutzen, um die gesamte Öffentlichkeitsarbeit dieser feministischen Revolution aus der Diaspora heraus zu übernehmen. Von diesen acht Millionen Menschen sind, egal ob Linke oder Monarchist*innen, die meisten gegen das Regime. Iraner*innen gelten außerdem oft als „gut integriert“ und bekommen die Zuschreibung der „guten Ausländer“, auch das macht einen Unterschied. Wenn wir uns Schlüsselpositionen in westlichen Ländern ansehen, gibt es immer auch Personen iranischer Abstammung, die in politischen Parteien oder anderen Funktionen tätig sind und von dort aus einiges für die Bewegung bewirken können. Wenige ethnische Gruppen haben das in diesem Ausmaß.
Wir erleben momentan auch in Bergkarabach eine Situation, die sich immer weiter zuspitzt. Menschenrechtsorganisationen warnen vor einem erneuten Genozid an Armenier*innen, dennoch scheint sich das Interesse an den Geschehnissen im deutschsprachigen Raum in Grenzen zu halten.
Bergkarabach ist ein Konflikt, den es schon seit Ewigkeiten gibt, und tatsächlich ist es so, dass das öffentliche Interesse daran sehr gering ist. Die UN hat schon seit der Blockade des Lachin-Korridors von einem schleichenden Genozid an den Armeniern in Bergkarabach gesprochen. Damals wurde die Zufuhr von Lebensmitteln und Medikamenten durch Aserbaidschan bewusst blockiert, was zur Folge hatte, dass Armenier*innen in eine Hungersnot geschlittert sind und die Anzahl an Totgeburten angestiegen ist. Kürzlich hat ein Militäreinsatz begonnen, der wenige Tage gedauert hat, bis es zu einem Waffenstillstand gekommen ist. Jetzt ist die Sorge, auch bei mir, dass es zu Vertreibungen und ethnischen Säuberungen kommen könnte. Armenien hat daraufhin eingelenkt und territoriale Ansprüche abgelegt, wenn es im Gegenzug bestimmte Sicherheiten für die armenische Bevölkerung in Bergkarabach gibt. Diese Sicherheiten werden Armenier*innen nicht zugesprochen und deshalb gibt es momentan eine große Angst davor, was nach einer Machtübernahme mit den Armenier*innen passieren wird. Lösen müsste man das auf einer politischen Ebene – es muss Verhandlungen geben, bei denen zumindest Sicherheitsgarantien für die armenische Bevölkerung ausgesprochen werden müssen. •
Shoura Hashemi ist Juristin und hat vor Kurzem die Geschäftsführung von Amnesty Austria übernommen.
Leyli Nouri ist freie*r Journalist*in und Student*in, beschäftigt sich intensiv mit kurdischen, afghanischen und iranischen Protestbewegungen und betätigt sich aktivistisch im Verein Javaneh.
Maryam Al-Mufti ist Politikwissenschaftlerin und quereingestiegene Lehrerin an einer Neuen Mittelschule in Wien.