Die geplante Neuregelung der Mindestsicherung wird die Zahl der Armutsbetroffenen weiter erhöhen. Die VerliererInnen des Angriffs auf den Sozialstaat sind vor allem Kinder – und einmal mehr Alleinerziehende. Von GABI HORAK
Wirtschaftlich steht Österreich ziemlich gut da. Und dafür gibt es einen wesentlichen Faktor, der die sogenannte Standortqualität erhöht und die Wirtschaft auch in unsicheren Zeiten stabilisiert. Dieser Faktor bringt große Unternehmen dazu, sich hier anzusiedeln. Er stabilisiert die Gesellschaft und steigert die Kaufkraft der Menschen. Es ist der Faktor Sozialstaat. Das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) belegt in einer aktuellen Studie, dass soziale Sicherungssysteme eine große Bedeutung haben für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes. Empirisch gesehen zeigen Länder mit hohen Abgabequoten und Sozialstandards auch höhere Wettbewerbsfähigkeit. Und je geringer die Einkommensungleichheiten, umso höher das Wirtschaftswachstum. Neu ist dieser Zusammenhang nicht, nur durch eine aktuelle Studie einmal mehr bewiesen. Dass die österreichische Regierung das ignoriert – und ganz im Gegenteil den Sozialstaat vor unseren Augen demontiert –, lässt sich vernünftig kaum erklären. Es regiert der Rechtspopulismus.
Neue Regeln der Mindestsicherung. Ende Mai präsentierte die türkis-blaue Regierung die geplante Neuregelung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung – eine Durchlöcherung des letzten sozialen Netzes. Kommuniziert wird das den WählerInnen als Maßnahme gegen „Zuwanderung in das österreichische Sozialsystem“ und ruft damit rassistische Ressentiments auf. Die gezielte Schlechterstellung von Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft ist an sich ein Skandal. Im Falle der Mindestsicherung ist es aber noch dazu eine Täuschung. Denn die großen VerliererInnen der neuen Regelungen sind Kinder, Alleinerzieherinnen und Familien generell.
Rund 300.000 Menschen beziehen Mindestsicherung. Anspruch haben jene, die sonst nicht genug Einkommen zum Leben haben. Viele sind „AufstockerInnen“, ihr geringes Einkommen aus Arbeit wird also aufgestockt auf Mindestsicherungsniveau. In Wien ist das sogar die größte Gruppe. Voraussetzungen für die Mindestsicherung sind außerdem: Das Vermögen muss bis auf rund 4000 Euro aufgebraucht sein und es muss nachweislich die Bereitschaft zu arbeiten bestehen (ausgenommen etwa PensionistInnen und Mütter von Kindern unter drei Jahren). Bisher waren EU-BürgerInnen, anerkannte Flüchtlinge und subsidär Schutzberechtigte sofort anspruchsberechtigt; Drittstaatsangehörige, wenn sie länger als fünf Jahre in Österreich lebten. Das wird sich ändern. Die fünfjährige Wartefrist soll auch für EU-BürgerInnen gelten und subsidär Schutzberechtigte fallen ganz heraus. Außerdem gibt es neue Anspruchsvoraussetzungen: ein österreichischer Pfl ichtschulabschluss, Deutsch-Sprachniveau B2 oder Englisch-Sprachlevel C1. Wird dies nicht nachgewiesen, reduziert sich die Mindestsicherung um 300 Euro.
863 Euro – davon soll eine alleinstehende Person künftig ein Monat lang leben. Das ist der österreichweite „Maximalwert“. Die Bundesländer können auch weniger auszahlen oder stattdessen Sachleistungen festlegen. Der Staat sagt also „Mindestsicherung“, sorgt aber dann nicht dafür, dass es auch das Mindeste für alle Menschen im Land gibt, sondern definiert im Gegenteil einen Maximalwert, der auch unterschritten werden kann.
Mit jedem Kind erhöht sich die Mindestsicherung, allerdings degressiv gestaffelt: Für das erste Kind gibt es 25 Prozent Zuschlag (216 Euro), für das zweite 15 Prozent (129 Euro) und ab dem dritten fünf Prozent (43 Euro). Die Kinder-Leistungen sind in den Bundesländern derzeit unterschiedlich geregelt. In Wien etwa bekommt bisher jedes Kind im Rahmen der Mindestsicherung 233 Euro. Das darf in Zukunft nicht mehr sein. Alleinerziehende erhalten im neuen Modell zur Abfederung zusätzlich fürs erste Kind hundert Euro, fürs zweite 75 Euro, fürs dritte fünfzig Euro und ab dem vierten jeweils 25 Euro – alles „maximal“. Können Menschen den geforderten Schulabschluss oder das Deutsch-Niveau nicht nachweisen, gibt es nur 563 Euro. Und auch die prozentuellen Kinderzuschläge fallen entsprechend geringer aus.

Familien in der Armutsfalle. Welche Auswirkungen wird das haben? „Zwei Drittel der Alleinerziehenden-Familien in Mindestsicherung werden noch tiefer in die Armut gedrängt“, sagt Evelyn Martin, stellvertretende Vorsitzende der Österreichischen Plattform für Alleinerziehende (ÖPA). Am schlimmsten werden die Kürzungen für alle Familien mit drei oder mehr Kindern: Sie verlieren mindestens 300 Euro im Monat, ab fünf Kindern schon über 700 Euro. Wenn der bisher zusätzlich ausbezahlte Wohnkostenbeitrag künftig in die Mindestsicherung inkludiert ist, verlieren Alleinerziehenden-Familien in Tirol, Vorarlberg, Salzburg und Wien schon ab dem ersten Kind. Diesen Berechnungen der ÖPA widerspricht die Regierung und behauptet weiterhin, dass Alleinerziehende GewinnerInnen des neuen Modells seien. Doch auch die Stadt Wien hat nachgerechnet und die von der Regierung in Umlauf gebrachten Zahlenbeispiele als falsch bezeichnet. Der Wiener Sozialstadtrat Peter Hacker warnt vor den Folgen der Kürzungen: „Wenn Leute nicht wissen, wie sie ihr Leben bestreiten sollen, riskiert man, dass die Kriminalität steigt.“ Obdachloseneinrichtungen rechnen bereits mit einem massiven Anstieg der Nachfrage. „Die Regierung macht gezielt Stimmung gegen MigrantInnen, um Sozialabbau zu legitimieren. Das hat fatale Folgen für Armutsbetroffene, für die Entwicklungschancen von Kindern und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt insgesamt“, sagte Sonja Ablinger, bis vor Kurzem Vorsitzende des Österreichischen Frauenrings.
Die Neuregelung der Mindestsicherung ist nur die jüngste einer Reihe von Maßnahmen der Bundesregierung, mit denen eine soziale Stütze nach der anderen angesägt wird. Was geht hier verloren? Wer profitiert vom Sozialstaat? Die Antwort ist ganz klar: alle. Wir alle zahlen Steuern: auf Lohn und weniger auf Vermögen, aber auch – und das zahlen wirklich alle – auf Güter und Dienstleistungen. Dafür bekommen wir auch alle etwas, nämlich Dinge, die unseren Lebensstandard erhöhen: Straßen, Schulen, Krankenhäuser, geförderte Mietwohnungen, Arbeitslosen- und Pensionsversicherung. Durch sozialstaatliche Leistungen sinkt die Anzahl der armutsgefährdeten Personen stark. Gäbe es nur das Einkommen aus Arbeit, wären doppelt so viele Menschen von Armut bedroht. Alle jüngeren Wirtschaftsstudien zeigen: Länder mit hohen Sozialstandards stehen insgesamt besser da. Österreich wird in diesen Rankings abrutschen, oder menschlicher ausgedrückt: Die Zahl der Kinder, die in Armut aufwachsen, wird steigen. Und das wird ihre Chancen auf Teilhabe langfristig zerstören.
1 Kommentar zu „Das letzte soziale Netz“
Vielen Dank für diesen Artikel, der auch eine Übersicht der konkreten Folgen liefert.