Sie fühlte sich ganz schön lang an, die Zeit, in der ich klein genug war, um bei Schuheinkäufen den Satz „Da wächst du schon noch hinein“ zu hören. Und wie nett war die damalige Vorstellung, irgendwann groß genug zu sein, um nie mehr in irgendwas hineinwachsen zu müssen. Dachte ja niemand daran, darauf hinzuweisen, in was man dann für den Rest seines Lebens trotz erreichter maximaler Körperhöhe hineinwachsen muss. In den eigenen Körper zum Beispiel, die Bauchfalten und Cellulite, die Stirnfalten und Muttermale. Reinwachsen, einziehen, dann im Idealfall mit der Selbstverständlichkeit eines Eigentümers mit abbezahltem Kredit drin wohnen. In die eigenen Wünsche hineinwachsen, die oft viel zu groß scheinen und dann halb versteckt werden, weil man denkt, andere könnten sie ja blöd finden. Wie ein extravaganter Hut, den man lange ganz hinten im Schrank in der Originalverpackung liegen hat, bis er plötzlich gar nicht mehr so verrückt wirkt. Dann geht man damit aus und alle sagen: „Super Hut, ein bisschen komisch, aber du bist eh auch komisch, find ich gut!“ Reingewachsen! Ich bin in den letzten Jahren in Wünsche hineingewachsen, in Bühnenoutfits und Haarschnitte. Momentan ist zuunterst in meinem Stapel an zu ändernden Kleidungsstücken ein grünes, bodenlanges Kleid, das mir zu klein ist und in das ich hineinwachsen muss. Weil es meiner Schwägerin gehörte, die, bevor ich sie kennenlernen hätte können, schon nicht mehr am Leben war, und die in solchen Elfenkleidern mit großen Blumen im Haar auf Bühnen stand und Lieder sang, die nicht ganz von dieser Welt waren, fühlt es sich sehr, sehr groß an.
Dieses Jahr bin ich in Sounds hineingewachsen, und sie wohnen nun in meinen neuen Liedern wie Details einer aufwändigen Wohnungseinrichtung. Vor einem Monat waren sie noch Dekorationsstücke, heute sind sie schon Tischbeine, Schranktüren, Treppengeländer. Egal, ob man Musik oder sonst was macht: Die Zukunft sieht oft viel zu groß aus. Aber ich glaube, da wachsen wir schon noch hinein.
Anna Kohlweis verabschiedet sich hiermit aus der bonustrack-Kolumne und dankt allerherzlichst fürs Lesen.