Wer einfach nur pro oder contra Kaiserschnitt argumentiert, verschließt sich der Komplexität des Themas. Bleibt die Frage, wie selbstbestimmt ein Kaiserschnitt sein kann. Eines zeigt sich an ihr deutlich: Es gibt darauf nicht die feministische Antwort. Von BETTINA ENZENHOFER
In Deutschland und Österreich wird heute fast jedes dritte Kind per Kaiserschnitt entbunden. Die Kaiserschnittrate ist in den letzten zwanzig Jahren in den meisten industrialisierten Ländern deutlich angestiegen, in manchen Privatkliniken Brasiliens beträgt sie mehr als achtzig Prozent. Die steigende Kaiserschnittrate wird oft den Frauen selbst angelastet – sie seien von Promi-Kaiserschnitten beeinflusste „Karrieremütter“, die den Zeitpunkt der Geburt bestimmen wollen. Die Ärzt_innen würden demnach nur ausführen, wonach die Frauen verlangen.
Andere hingegen sehen die hohe Kaiserschnittrate einzig und allein durch das medizinische System bedingt und geben damit implizit zu verstehen, dass sich keine Frau freiwillig einer Sectio unterziehen würde, wenn sie nur genügend aufgeklärt sei. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hält einen Kaiserschnitt nur dann für notwendig, wenn Mutter oder Kind Gesundheit oder Leben bei einer vaginalen Geburt aufs Spiel setzen würden – das sei bei zehn bis 15 Prozent aller Geburten der Fall, die Kaiserschnittrate solle deshalb nicht höher liegen.
2012 hat der Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. (AKF) eine Kampagne zur Senkung der Kaiserschnittrate in Deutschland gestartet. Strukturelle, organisatorische und ökonomische Gründe würden die Entscheidung für einen Kaiserschnitt begünstigen, der allerdings ohne eindeutige medizinische Indikation mit höheren Risiken als eine vaginale Geburt verbunden sei, so der AKF. Der Wunsch-Kaiserschnitt sei oft „eine unheilsame Koalition zwischen ärztlicher Präferenz und unzureichendem Wissensstand der Frauen“.
Paternalismus und Pathologisierung. Sonja Eismann sieht das anders: „Viele Frauen wünschen sich einen Kaiserschnitt, das wird in dieser Kampagne aber unsichtbar gemacht. Ich wurde nicht zum Kaiserschnitt verdonnert, sondern es war im Gegenteil sehr schwierig, meinen Wunsch nach einer Sectio durchzubringen. Man wollte mich umstimmen, und ich wurde pathologisiert, weil ich keine Geburtsschmerzen wollte. Ein Arzt verlangte von mir ein psychologisches Attest, da ich ja wohl ohnehin in psychologischer Behandlung sei.“ Hätte es nicht die Möglichkeit eines Kaiserschnitts gegeben, hätte sie nie schwanger werden wollen, sagt Eismann. „Der Gedanke, aus dieser Öffnung einen riesigen Babykopf rauszupressen und stundenlang einem unkontrollierbaren Schmerz ausgesetzt zu sein, machte mir Angst. Ich wollte nicht der Willkür der Natur ausgeliefert sein, sondern genau wissen, was passiert.“
Kontrolle über den Geburtsvorgang haben zu wollen, ist für viele ein zentraler Aspekt. Anja Fellerer trug eineiige Zwillinge in ihrer Gebärmutter: „Mein Arzt riet mir zu einem Kaiserschnitt, auch wenn ich wohl ein Geburtshaus finden würde, in dem ich vaginal gebären könnte. Eine Bekannte von mir hat das gemacht, und diese Geburt war mit Komplikationen für die Kinder verbunden. Deshalb vertraute ich meinem Arzt und wollte einen Kaiserschnitt.“ Wie Eismann ist auch Fellerer zufrieden mit ihrer Entscheidung. Einzig der heftige Wundschmerz nach dieser großen Bauch-Operation hat beide überrascht: „Als ich vaginal gebärende Frauen schreien hörte, fühlte ich mich, als hätte ich den Jackpot, weil mir diese Schmerzen erspart bleiben würden. Das hat sich aber nach der OP relativiert. Ich konnte vor Schmerz drei Tage lang nicht aufstehen“, sagt Fellerer.
Kontrollieren und intervenieren. Fellerer und Eismann hatten lange Zeit, sich mit der bevorstehenden Operation auseinanderzusetzen. Die Medizin nennt ihren Kaiserschnitt einen „primären“ – also einen, der während der Schwangerschaft oder spätestens mit Beginn der Wehen geplant wurde. Im Diskurs über Selbstbestimmung, Aufklärung und eventuellen Trauerreaktionen der werdenden Mütter sind aber vor allem die „sekundären“ und „Notfall-Kaiserschnitte“ relevant: Diese werden nach Einsetzen der Wehen, also mitten im vaginalen Geburtsvorgang beschlossen. Schlechte Herztöne des Kindes können bspw. einen sekundären Kaiserschnitt indizieren – müssen aber nicht. Auch hier ist Kontrolle ein wesentlicher Aspekt: Die technische Überwachung während einer Klinik-Geburt kann zwar dazu führen, dass Komplikationen früh erkannt werden und somit rasch reagiert werden kann – es kann aber auch sein, dass durch diese Überwachung die Hemmschwelle für Interventionen sinkt, zudem stellen sich alarmierende Herzton-Befunde dann oft als nicht-pathologisch heraus. Und wann sind Herztöne so schwach, dass ein Kaiserschnitt notwendig ist, wer entscheidet darüber und mit welcher Begründung? Auch hier greifen Überlegungen und Wünsche von Mediziner_innen und Eltern ineinander, nicht zuletzt fürchten sich Erstere vor Klagen, weil sie nicht rechtzeitig interveniert hätten. „Zunehmenden Einfluss auf das ärztliche Handeln haben Gerichtsurteile und Gutachterentscheidungen. Wir werden immer mehr in eine Defensivmedizin gedrängt“, sagt Elisabeth Bacher, Gynäkologin im LKH Leoben.
Fremdbestimmte Selbstbestimmung. Zehn Prozent aller Kaiserschnitte werden aufgrund von „absoluten Indikationen“ wie z.B. einer Querlage des Kindes durchgeführt. Neunzig Prozent werden den „relativen Indikationen“ zugerechnet: Hier werden Gewinn und Risiko einer vaginalen Geburt mit denen eines Kaiserschnitts abgewogen. Der sogenannte „Wunsch-Kaiserschnitt“, also einer, der ohne jegliche medizinische Indikation durchgeführt wird, macht nur zwei Prozent aller Kaiserschnitte aus – wobei heute z.B. große Angst vor den Schmerzen immer mehr zu den relativen Indikationen gezählt wird. Gerade bei diesen „weichen“ Indikationen herrscht wiederum Verhandlungsspielraum, wie auch Fellerer mit ihrer Zwillingsschwangerschaft erlebt hat. Für Mehrlingsgeburten lässt sich indes wie auch für die „Beckenendlage“ des Kindes ein sich selbst verstärkendes Phänomen beobachten: Obwohl die Steißlage vaginal entbunden werden kann, wird heute in neunzig Prozent dieser Fälle ein Kaiserschnitt durchgeführt. Ausschlaggebend war eine 2000 publizierte Studie, die mittlerweile wegen methodischer Schwächen aber in der Kritik steht. Doch nun tut sich ein neues Problem auf: Ärzt_innen können heute eine derartige Geburtslage oft nicht mehr vaginal entbinden, weil ihnen mittlerweile schlicht die Übung fehlt; mit dem Kaiserschnitt sind sie auf der sicheren Seite.
Auch andere ärztliche Interessen spielen eine Rolle: Ein geplanter Kaiserschnitt erfordert weniger Personal- und Organisationsaufwand (vor allem in Kliniken mit kleineren geburtshilflichen Abteilungen ein relevanter Faktor) und wird höher vergütet als eine vaginale Geburt – allerdings bleiben Frauen nach einem Kaiserschnitt durchschnittlich länger im Krankenhaus. Die vom AKF kritisierten strukturellen, organisatorischen und ökonomischen Gründe sind also tatsächlich relevant und werfen die Frage auf, inwieweit eine aus diesen Gründen resultierende Sectio eine selbstbestimmte Entscheidung der Gebärenden sein kann. Viele relative Indikationen werden mittlerweile sehr großzügig gestellt, ein Kaiserschnitt wegen einer „protrahierten Geburt“ oder einem „Geburtsstillstand“ kann die logische Folge einer Interventionskette sein, die zuvor medizinisch initiiert wurde; wird die Geburt medikamentös eingeleitet, so steigt die Wahrscheinlichkeit eines Kaiserschnitts. Und noch ein Aspekt muss beachtet werden: „Für viele Frauen sind Mediziner_innen eine Autorität, und sie schaffen es oft nicht, genau nachzufragen. Außerdem gibt es zu wenig Zeit für Kommunikation. Ich finde, in solchen Fällen kann man nicht von einer selbstbestimmten Entscheidung sprechen“, sagt Eva Javorszky, Psychotherapeutin und Geburtsvorbereiterin bei Nanaya, dem Wiener Zentrum für Schwangerschaft, Geburt und Leben mit Kindern.
Strukturschuld. Doch auch der Diskurs darüber, unter welchen Folgen Kaiserschnitt-Kinder zu leiden hätten(1), kann sich letztlich negativ auf die Mütter auswirken – sie fühlen sich oft schuldig, vor allem nach sekundären oder Notfall-Kaiserschnitten. Nele Tabler wollte eine möglichst „natürliche“ Geburt, wurde aber letztlich mit Kaiserschnitt entbunden. Damit kann sie leben, allerdings macht sie die Kritik von anderen, insbesondere von Vertreterinnen der „sanften Geburt“ fertig, so Tabler. Von Müttern werde verlangt, „sich gegen Strukturen zu stellen, die mit verantwortlich sind für die vielen Kaiserschnitte. (…) An den Strukturen selbst wird jedoch nichts geändert – trotzdem macht man es den Müttern zum Vorwurf, wenn sie sich diesen schließlich beugen.“(2)
Javorszky kritisiert die derzeitige Debatte aber aus noch einem anderen Grund: Selbstbestimmung sei nur gegeben, wenn alle Informationen gleichwertig kommuniziert, Frauen z.B. über die Möglichkeit einer Hausgeburt ebenso wie über jede andere Geburtsform informiert würden – und jede Geburtsvariante finanziert würde: „Es ist super, dass es den Kaiserschnitt gibt, und ich respektiere jede Frau, die sich gut informiert, reflektiert und selbstbestimmt dafür entscheidet. Es ist ihr gutes Recht! Ich bin aber dagegen, den Kaiserschnitt generell als die beste Geburtsform darzustellen.“
Eines zeigt die Debatte um den Kaiserschnitt also sehr gut: Es kann von feministischer Seite kein klares Pro oder Contra geben. Denn die feministische Forderung „mein Bauch gehört mir“ bedeutet auch, dass es jeder Frau freigestellt sein sollte, sich für oder gegen einen Kaiserschnitt zu entscheiden. Es wäre paternalistisch, die körperliche Selbstermächtigung von Frauen – die sich eben auch pro Sectio äußern kann – nicht ernst zu nehmen.
Andererseits kann argumentiert werden, dass Frauen durch eine forcierte Einwilligung zu einer Sectio Macht abgeben und sich einer Medizin unterwerfen, die sie letztlich auf gewinnbringende Patientinnen reduziert.(3) „Wir holen uns den Körper zurück, gebären natürlich und selbstbestimmt“, kann in diesem Sinn also eine sehr feministische Haltung sein. Problematisch bleibt aber, wenn dabei die vaginale Geburt als eine der ursprünglichsten und natürlichsten „weiblichen“ Erfahrungen propagiert wird und „wahres Frau-Sein“ an dieses Erlebnis gekoppelt wird.
Was bei jeder der beiden Extremposition vergessen wird: Jede Frau trifft die Entscheidung pro/contra Kaiserschnitt vor einem individuellen Hintergrund. Wer also im Sinne „der Frauen“ argumentieren will, muss ihre jeweiligen Bedürfnisse unbedingt ernst nehmen.
Fußnoten
(1) Dass sich eine Sectio negativ auf die Mutter-Kind-Beziehung auswirke, konnte von Studien in den 2000er-Jahren nicht bestätigt werden. Psychotherapeutin Eva Javorszkys Erfahrung nach sind es v.a. die Mütter, die etwaige spätere Probleme auf den Kaiserschnitt rückbeziehen – obwohl niemand wissen kann, ob dieser irgendetwas damit zu tun hat.
Bei sämtlichen aufgelisteten Risiken lohnt es sich, nachzufragen bzw. die Originalstudien zu lesen. Bspw. ist die Müttersterblichkeit in industrialisierten Ländern generell sehr niedrig (1:12.500), wird aber bei einer Sectio im Vergleich zur vaginalen Geburt als „höher“ (um den Faktor drei bis sechs) angegeben. Der ursächliche Zusammenhang mit dem Kaiserschnitt ist aber nur selten untersucht worden.
(2) www.eltern.de/schwangerschaft/geburt/sanfte-geburt.html
(3) Dieses Argument kann aber generell auch bei vaginalen Geburten, die in einer Klinik stattfinden, angeführt werden.
Litaratur
Ulrike Lutz, Petra Kolip: Die GEK-Kaiserschnittstudie. Asgard Verlag 2006
Barbara Katz Rothman: Schöne neue Welt der Fortpflanzung. Texte zu Schwangerschaft, Geburt und Gendiagnostik. Mabuse-Verlag 2012
Paula-Irene Villa, Stephan Moebius, Barbara Thiessen (Hg.): Soziologie der Geburt. Diskurse, Praktiken und Perspektiven. Campus Verlag 2011
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