Der Erfolg von Detox und Clean Eating verdankt sich vor allem der irrwitzigen Vorstellung innerer Verschmutzung. Von LEA SUSEMICHEL
„Black is the new Green“: Der neueste heiße Scheiß sind kohlrabenschwarze Detox-Drinks mit Aktivkohle. Während grüne Smoothies nur tonnenweise Vitamine und Mikronährstoffe versprechen und neben „Energetisierung“ durch die vielen pflanzlichen Antioxidantien sogar „Anti-Aging“ bewirken sollen, will die Kohle im schwarzen Smoothie dabei noch Giftstoffe binden und aus dem Körper leiten. Doch ob Kohle oder nicht: Entschlacken und entgiften sollen freilich sämtliche „Detox“-Maßnahmen, verdankt der Trend, der einen gigantischen Markt der Nahrungs- und Wellnessindustrie geschaffen hat, doch genau diesem Versprechen seinen Namen, denn „Detoxifikation“ bedeutet Entgiftung. Die zugrundeliegende Überzeugung ist, dass sich durch ungesunde Ernährung, industriell verarbeitete Lebensmittel mit vielen Konservierungs- und Zusatzstoffen sowie durch Umweltgifte sogenannte „Schlacken“ in unserem Körper ansammeln, die uns im Laufe der Zeit dick, schlapp und schließlich krank machen. Durch einen Verzicht auf Fleisch, Eier, Milch, Mehl, Alkohol, Kaffee, Zigaretten und Zucker soll unserem Körper eine heilsame Auszeit gegönnt werden, in der er sich – so das vollmundige Versprechen – von allem giftigen Ballast befreien kann. Vom Grundprinzip ist Detoxing also nicht anderes als das altbekannte Heilfasten, das als modifizierte Form des strengen Wasserfastens die Aufnahme moderater Kalorienmengen in Form von Suppen und verdünnten Säften erlaubt.
Healthy und happy. Doch mit völligem Konsumverzicht lässt sich bekanntlich schlecht Geld verdienen und strenge Askese ist wohl für die meisten auch keine ausreichend verlockende Sache, um daraus einen lukrativen Mega-Hype zu entwickeln. Sämige Saftshakes oder Super-Food-Salate sind da schon deutlich attraktiver, und Basenpulver in Mandelmilch kann beinahe als Cocktail durchgehen. Seit der schon vor Jahrzehnten als Turbodiät angepriesenen „Master Cleanse“, bei der es tagein, tagaus nur Limo aus Zitronensaft und Ahornsirup gibt, hat die umtriebige Detox-Industrie inzwischen unzählige solcher „Cleanses“, also „Reinigungen“ hervorgebracht, die nicht nur Glück, Gewichtsverlust und Gesundheit, sondern auch den speziellen „Glow“ versprechen (für angehende Bräute gibt’s sogar ein Detox-Programm für den besonderen „Bridal Glow“ zum Hochzeitstag).
„Detox macht sexy, gesund und happy“, versprechen nicht nur von der Kosmetikindustrie finanzierte Frauenzeitschriften, sondern auch Abertausende Blogs und Instagram-Accounts, die so klingende Namen wie „Healthy-HappySteffi“ haben.
Für alle ist etwas dabei, selbst auf Süßes muss nicht verzichtet werden, denn dafür gibt es Chia-Pudding und zuckerfreie „Nicecream“ statt Eiscreme. Wer etwas Warmes braucht, für die (weit häufiger als für den) gibt es statt „Juicing“ jetzt auch „Souping“, und absolute AnfängerInnen dürfen es derweil auch bloß mit einem Detox-Duschgel oder -Fußbad versuchen. Während sich das Angebot bis vor Kurzem noch auf die Saftkur aus dem Reformhaus beschränkte, schießen jetzt die Anbieter von Detox-Säften und -Suppen aus dem Boden, denn das Geschäft ist lukrativ. So liefert das Münchner Start-up „Detox Delight“ zum Schnäppchenpreis von 400 Euro sieben Tage lang „Cleanse“-Säfte nach Hause.
Verschmutzt und vermüllt. Alles rausgeschmissenes Geld, glaubt man der seriösen Ernährungswissenschaft und der großen Mehrheit der MedizinerInnen. Denn Schlacken gebe es nur in der Schwerindustrie, nicht aber im menschlichen Körper, stattdessen werden schädliche Stoffe von den Entgiftungsorganen wie Niere und Leber ausgeschieden. Wer sich tatsächlich einmal ernsthaft vergiften sollte, greift besser nicht zum Grünkohl-Smoothie, sondern zum Telefon, um den Krankenwagen zu rufen.
„Abwechslungsreiche Ernährung, ausreichend Trinken, Bewegung und es Darm, Nieren und Leber nicht extra schwer machen, ihre Aufgabe als Entgiftungsorgane zu erfüllen. Das reicht“, sagt auch Felice Gallé vom Frauengesundheitszentrum Graz: „Wir sind nämlich nicht ‚innerlich schmutzig‘.“
Doch genau um diese Vorstellung innerer Verschmutzung und Vermüllung scheint es zu gehen, denn der immense Drang nach Reinigung, nach „Purification“, zeigt sich von solchen ExpertInnenmeinungen unbeeindruckt. Neben Detox-Cleanses boomt auch das „Clean Eating“, das die Sauberkeit schon im Namen trägt und bei dem nur unverarbeitete naturbelassene Lebensmittel konsumiert werden. Angeblich hochwertige und sündteure „Super Foods“ wie Gojibeeren oder Chia-Samen werden dafür unter irrsinnigem Energieaufwand um die halbe Welt exportiert, obwohl heimische Beeren und Getreidesorten beim Vitamin- und Mineralstoffgehalt durchaus mithalten können.
Unter dem Motto „Detox Your Life“ ist bei Essen und Kosmetik zudem längst nicht Schluss. Die aktuelle Ausgabe des Designmagazins „Home“ etwa empfiehlt „Anti-Age Living“: „Wieder Clean: Warum Weiß jung macht.“ Social-Media-Abstinenz und Zeiten ohne Handy firmieren jetzt unter „Digital Detoxing“, und neben der körperlichen ist auch die seelische und geistige Reinigung etwas, um das man sich tunlichst kümmern sollte. Sogenanntes Detox-Yoga soll nicht nur der physischen, sondern auch der psychischen Entgiftung dienen: Durch bestimmte yogische Drehpositionen sollen Schadstoffe und „schlechte Energien“ aus den Organen förmlich „herausgepresst“ werden.
Läuterung. Fastentraditionen, die mit innerer und äußerer Reinigung assoziiert sind, finden sich in nahezu allen Religionen. Der Drang nach Läuterung und innerer Reinigung scheint also eine gewisse historische Kontinuität zu haben. Während der gesundheitliche Nutzen von Fastenkuren generell nicht unumstritten ist und sie manche ÄrztInnen sogar für sehr schädlich halten, gibt es immer wieder Studien, die positive Auswirkungen auf Blutdruck, Blutzucker- und Blutfettwerte bestätigen und auch Besserung bei psychischen Erkrankungen oder sogar Krebs belegen. Erstaunliche Heilungserfolge zeigte vor allem ein großangelegtes Forschungsprojekt aus den 1950er-Jahren in Russland, wo Fasten eine lange Tradition hat und etablierter Teil der staatlichen Gesundheitsvorsorge ist. Sämtliche Fastenrituale als alternativmedizinische Spinnerei oder bloße Geldmacherei abzutun, zeugt also nicht nur von schulmedizinischer Ignoranz, sondern ist eventuell selbst aus vermeintlich „aufgeklärter“ Perspektive falsch.
Dem gegenwärtigen Clean-Eating-Detox-Superfood-Wahn sollte man aber dennoch kritisch begegnen. Nicht zuletzt deshalb, weil es wieder einmal Frauen sind, die ihre vermeintlich unsauberen Körper in Schuss zu bringen versuchen. Und egal ob beim Nacheifern von Madonnas makrobiotischer Ernährung oder beim Veganismus für die eigene Fitness: Wer aus vermeintlich gesundheitlichen Gründen statt aus politisch-moralischen oder religiösen seine Ernährung umstellt, entwickelt leichter eine Essstörung, sagen Studien. So ist die neue Erkrankung „Orthorexie“ auf dem Vormarsch, eine zwanghafte Fixierung auf gesundes Essen, bei der die Beschäftigung mit dem Thema Ernährung zum zentralen Lebensinhalt und zur Ersatzreligion wird.
„Liebe & Grünkohl“. „Man kann den Detox-Trend als Teil des Schönheitsmythos verstehen, wie ihn Naomi Wolf beschreibt“, sagt Felice Gallé. „Das Entschlacken um jeden Preis ist das Pendant zum Enthaarungszwang. Außen behaart, innen verschlackt – pfui! Außen und innen hui sollen wir werden, es ist ein Teil unserer Selbstoptimierung. Dafür müssen wir arbeiten und investieren. Das nützt auf jeden Fall – nämlich denen, die an Detox-Produkten verdienen.“
Eine von jenen, die viel daran verdienen, ist die 25-jährige Ella Woodward, eine Millionärstochter, die durch ihren Food-Blog „Deliciously Ella“ selbst zu einer unfassbar erfolgreichen Unternehmerin geworden ist, obwohl sie neben Kochbüchern mit Süßkartoffelpuffern und Grünkohl-Avocado-Shakes nur Yoga-Shirts verkauft, auf denen „Peace, Love & Kale“ steht.
„Deliciously Stella“ nennt sich die Parodie auf diese Clean-Eating-Päpstin, die auf Instagram erfreulicherweise ebenfalls ungeheuer populär ist. Statt Nudeln aus Zucchini postet Deliciously Stella aka Bella Younger tausendfach gelikte Bilder von Kinderüberraschungseiern auf Avocado-Toast oder Obstsalat aus Fruchtgummi („Dieser Obstsalat ist so einfach! Er macht fast überhaupt keine Arbeit!“). Younger richtet sich damit vor allem gegen die unkritische und unhinterfragte Verbreitung solcher Ernährungstrends: „Wie lang hast du keine richtige Pizza mehr gegessen, wenn du denkst, Pizza aus Blumenkohlteig sei lecker?“
Damit leistet auch sie einen wichtigen Beitrag für gesunde Ernährung. Denn ständige Selbstkasteiung und fehlender Genuss beim Essen ist auf Dauer wohl ziemlich ungesund. Man könnte auch sagen: geradezu giftig.
1 Kommentar zu „Außen behaart, innen verschlackt“
Schön! Genau das brauchte ich gerade (schnell die “perfekte-Morgenroutine-Pinterest-Seite geschlossen und zum Bäcker gehüpft).
Danke für den starken Text