NATALIE ASSMANN inszeniert mit „Lonely For You!“ eine „Super Show!“ über Einsamkeit, in der alle gemeinsam
einsam sein dürfen. Interview: LEA SUSEMICHEL
an.schläge: Was macht Einsamkeit zu einem politischen Thema? Und wie lässt sich das mit einer „Super Show“ bearbeiten?
Natalie Assmann: Für mich ist es definitiv ein politisches Thema, weil wir als Gesellschaft definieren, wer einsam ist bzw. wer „auf dem Weg ist, einsam zu werden“. Es ist nach wie vor tabuisiert, als „vereinsamt“ zu gelten. Die alten Erzählungen von der „einsamen Jungfrau“ oder so ein Mist haben sehr viel mit vordefinierten Lebenswegen und Entscheidungen zu tun, die aus meiner Sicht zu hinterfragen und aufzubrechen sind.
Der Autor Daniel Schreiber sagt z. B. in seinem Essay „Allein“, dass die „Einsamkeitsepidemie“ oft von konservativen Kräften beschworen wird, um nostalgische Bilder von der klassischen Kernfamilie zu propagieren. Und das ist aus queerer Perspektive sehr relevant, wenn wir uns anschauen, wo allerorts Queerfeindlichkeit auch durch solche Argumente in die Regierungsprogramme reinreklamiert wird. Auch während der Pandemie wurde genau definiert, wer dein „engster Kreis“ sein darf. Daher ist es umso wichtiger, eine Vielfalt an Lebensmodellen ökonomisch zu fördern und auch rechtlich stärker abzusichern, wie z. B. gemeinschaftliche Initiativen oder Co-Housing-Projekte.
Im Stück „Lonely For You!“ habe ich nach einer Möglichkeit gesucht, das Thema von einer ganz anderen Seite zu betrachten und eine Form von Leichtigkeit und Verspieltheit in der Umsetzung zu finden. Während meiner Recherchearbeit habe ich mit vielen Menschen gesprochen und sie gefragt, ob sie einen bestimmten Song gerne hören, wenn sie sich besonders einsam fühlen. Daraus hat sich so eine Art Musikarchiv der Einsamkeit geformt. Das Show-Format mit musikalischen Referenzen aus TV- und Popgeschichte ist im Grunde ein Zelebrieren des Zustandes, wenn wir alleine irgendwo sitzen und immer wieder denselben Song anhören.
Einige Feministinnen haben das Alleinsein in Büchern und Essays zuletzt als sehr befreiend und emanzipatorisch gefeiert und klar von Einsamkeit abgegrenzt. Inwiefern spielt diese Unterscheidung auch in deinem Stück eine Rolle?
Ja, ich denke eine Unterscheidung zwischen dem Gefühl der Vereinsamung und dem emanzipatorischen Akt des frei gewählten Alleinseins ist total wichtig, weil sowohl die Gründe dafür als auch das Erleben eine sehr unterschiedliche Beschaffenheit haben. Nicht zu vergessen den Zustand der sozialen Isolation, der oftmals strukturell bedingt ist und bewiesenermaßen krank machen kann.
Mir kommt es allerdings so vor, als ob alle drei Zustände ineinander verwoben sind und auch gleichzeitig fühlbar werden können. Es kann z. B. sein, dass man sich seit geraumer Zeit extrem einsam fühlt, aber trotzdem alle Möglichkeiten, andere Menschen zu treffen, bewusst boykottiert. Es gibt Menschen, die immer in Gesellschaft sein müssen, aber das Gefühl der Isoliertheit nie ablegen können – diese Zwischenräume und Widersprüche interessieren mich inhaltlich und künstlerisch.
Erfahrung von Einsamkeit hat viel mit Marginalisierung zu tun. Welche Menschen haben ein besonders hohes Risiko, zu vereinsamen, und inwiefern ist der Zusammenhang von Diskriminierungserfahrung und Einsamkeit Thema deines Stückes?
Einsamkeitserfahrungen und soziale Isolation haben sehr viel mit den Lebensumständen zu tun, in denen wir uns befinden. Strukturelle Ausschlussmechanismen wie Armut und Arbeitslosigkeit, chronische Erkrankung, Depressionen, Gewalt- oder Suchterfahrungen, Rassismus und Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung können erwiesenermaßen dazu führen, dass Menschen zurückgezogen leben und von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen sind. Was uns im Stück aber am meisten beschäftigt, ist die Tatsache, dass Einsamkeit auf gewisse Weise vor niemandem Halt macht. Natürlich ist es leichter für jene, Auswege und Vermeidungsstrategien zu finden, die ausreichend finanzielle Mittel haben. Aber Einsamkeit kennt kein Alter, keine Religion und keinen bestimmten Ort, an dem sie zuschlägt. Es ist eine tiefe menschliche Erfahrung, die die meisten von uns machen, auch aufgrund der Leistungs- und Wettbewerbsgesellschaft, in der wir leben und der wir uns nur sehr schwer entziehen können.
Einsamkeit hat jede Menge geschlechtsspezifische Implikationen. Bei Frauen ist sie stark stigmatisiert, bei Männern wird sie als Autonomie und Unabhängigkeit gefeiert, angefangen mit der Figur des Lonesome Cowboys. Brauchen wir auch ein weibliches „Walden“?
Ich würde sogar einen Schritt weitergehen und sagen, wir brauchen geschlechterunspezifische
Einsamkeitsheld*innen. Ich denke das Stigma und die Scham, die einsame Menschen in Zeiten des Spätkapitalismus begleitet, gehen über binäre geschlechtsspezifische Unterscheidungen hinaus. Im Stück wird mit Klischees eher gespielt und sie werden gequeert. Ich bin im Laufe meiner Arbeit bereits auf viele weibliche Rolemodels gestoßen, die das Alleinsein und die kreative Kraft, die darin steckt, kultiviert haben. Angefangen bei der Schriftstellerin Sumana Roy und ihrem Buch „Wie ich ein Baum wurde“, über viele Künstler*innen, die sich in ihrem Schaffensprozess monatelang
zurückziehen, bis hin zu Eartha Kitt, die ihre Einsamkeit in ihren Songs verarbeitet hat. Aber wenn wir von Einsamkeit sprechen, geht es gleichzeitig immer um Gemeinschaft. Deswegen mache ich dieses Stück. Um mich mit meinen eigenen Ängsten zu konfrontieren, die in der Einsamkeit hochkommen und mit der Panik vor dem Gedanken, am Ende meines Lebens ganz allein zu sein. Ich denke, ich bin auf der Suche nach Formen der Gemeinschaft.
Du willst mit deinem Stück den Fokus auch auf queere Utopien gegen Einsamkeit richten. Wie können die aussehen?
Das finden wir gerade heraus, aber für mich sind der Prozess und die kreative Arbeit mit Freund*innen und Weggefährt*innen bereits Teil dessen. Ich liebe es, mich mit älteren und jüngeren Queers über Einsamkeitserfahrungen und Vorstellungen von Familie auszutauschen. Das zu teilen, darüber zu reflektieren und die Wünsche, die daraus entstehen, weiterzuspinnen, ist ziemlich schön. Der Beziehungsstatus einer Person sagt z. B. viel weniger darüber aus, ob eine Person einsam ist oder nicht, als wir glauben. Die Kernfrage von „Lonely For You!“ ist daher, wie wir leben und
lieben wollen. Irgendwo habe ich gelesen, dass das Alleinesein gut für das Leben in Gemeinschaft ist. Diesen Gedanken mag ich sehr.
LEA SUSEMICHEL ist mit Partner, zwei Kindern & zwei Katzen in einer Wohnung mit vielen Durchgangszimmern nur selten einsam. Sie freut sich deshalb meist übers Alleinsein.