Mit „Burlesque” – featuring Popstars Christina Aguilera und Cher – erreicht das Neo-Burlesque-Revival seinen vorläufigen kommerziellen Höhepunkt. LAURIE PENNY und DENICE FREDRIKSSON waren im Kino und haben noch immer Magenschmerzen.
Laurie Penny: Um subversiv zu sein, braucht es schon mehr als einen Strip und Pailletten. Einst war die Burlesque eine wahrhaft radikale Theaterform für die ArbeiterInnenklasse im 19. Jahrhundert, mit alles andere als feinen Darbietungen, in denen es ebenso um das Spiel mit Geschlechterrollen ging und darum, die Reichen auf die Schippe zu nehmen, wie um
Striptease. Doch heute ist „Burlesque” das Kürzel für eine durch und durch bourgeoise sexuelle Performance, in der die altbekannte Objektivierung von Frauen geschmackvoll in Straußenfedern und teure Korsette neu verpackt wird. „Burlesque”, Hollywoods jüngste Zappel-Orgie mit großem Budget und Christina Aguilera und Cher als Zugpferde, steht für die endgültige Umwandlung einer einst provokativen Kunstform zu einer aalglatten, schlüpfrigen Parade, bei der die Hüllen in Retro-Ästhethik fallen. Als Feministin und ehemalige Burlesque-Künstlerin ärgert mich das total.
Im Finale der Castingshow „X-Factor” rührte Christina Aguilera mit einer Live-Performance für den Film die Werbetrommel, mit Tänzerinnen in knappen, altmodischen Höschen, die sich im Hintergrund räkelten. Eltern aus dem ganzen Land riefen beim Sender an, um sich über die explizite Darstellung im Hauptabendprogramm zu beschweren, auch Elternverbände wie Mumsnet waren brüskiert über die Menge nackter Haut, die gezeigt wurde. Die Tageszeitung „Daily Mail” reagierte, wie zu erwarten, mit einem moralischen Krampfanfall, praktischerweise illustriert mit Bildern von enthaarten, halbnackten 20-Jährigen.
Die Burlesque als Kunstform begann in dem Moment an Undergroud-Credibility zu verlieren, als gutbürgerliche Fitness-Studios Kurse wie „Bleiben Sie in Form mit Burlesque” anboten, doch dieser Film ist nun der endgültige, funkelnde Nagel am Sarg der radikalen Burlesque. Aguilera spielt ein junges, verträumtes Landei, das sich als Kellnerin durchschlägt, bis es Ruhm, Reichtum und persönliche Erfüllung findet, als sie ihr Talent erkennt, sich zum Sound einer Big-Band die Kleider vom Leib zu reißen. So weit, so Hollywood.
Die Macht der Frustration. Ich würde auch nicht wollen, dass sich meine jüngeren Schwestern den Film ansehen, aber nicht, weil ich sie vor sexuellen Inhalten beschützen möchte: Die wirklich gefährliche Botschaft des Films und der Industrie dahinter ist die Vorstellung, dass sich weibliche Selbstbestimmung allein um die „Macht der Verführung” dreht.
„Show a little leg, gotta shimmy your chest”, singt Aguilera in „Express”, dem Promo-Song zum Film: „Can you imagine what would happen if I let you close enough to touch?” Das ist die Schlüsselfrage – oder genauer, die einzige Frage, die der erotische Tanz noch aufwirft, seit er sich zum akzeptablen Aushängeschild der Sex-Industrie für Frauen aus der Mittelschicht gewandelt hat. Es geht um Macht, aber nur in einer sehr beschränkten Form – nämlich die Macht der Imagination und der sexuellen Frustration.
Kaltes Vergnügen. VerfechterInnen schwärmen von der Macht, die sie Frauen verleiht – und tatsächlich, wie ich selbst als Burlesque-Künstlerin erfahren habe, bereitet die Erkenntnis, dass man Männer dazu bringen kann, eine anzusehen und zu begehren, ein gewisses kaltes Vergnügen. Seit jeher wurde Frauen erzählt, dass ihr wichtigster Trumpf die Macht ist, Männern gegenüber Sex anzudeuten und ihn dann vorzuenthalten, indem sie ihr eigenes Verlangen leugnen und das der Männer manipulieren. An dieser Form der Selbstermächtigung ist überhaupt nichts neu, und ich lehne es ab, dass meine kleinen Schwestern im Glauben aufwachsen, dass kunstvoll vorenthaltener Geschlechtsverkehr das Beste ist, was ihnen die Zukunft bringen kann.
Wenn sich für die moderne Frau von heute Selbstbestimmung in einer ritualisierten Form der Entsagung erschöpft, müssen wir uns ernsthaft fragen, wie weit es mit den sexuellen Politiken nach 50 Jahren Feminismus her ist. Während sich Popstars und Moderatorinnen darum zanken, wer als nächste die Nippel-Quasten anlegen darf, sinniert Business-Woman und Burlesque-Superstar Dita Von Teese über „die Kunst der Verführung”: „Burlesque ist eine Welt der Illusion und Träume und natürlich des Striptease. Als Burlesque-Künstlerin betöre ich mein Publikum, bis seine Gedanken immer mehr um Sex kreisen, und dann – wie jede gute Verführerin – entreiße ich es ihm wieder.”
Ironie? Dass Burlesque-Einlagen dem herkömmlichen Striptease immer ähnlicher werden, entschuldigen ProduzentInnen und KünstlerInnen oft damit, dass diese faden Übungen in sexueller Frustration ironisch und daher nicht ernst gemeint seien. An einer Erektion ist allerdings nichts ironisch – und auch nichts am Gehaltszettel. Vielleicht gibt es ja ein paar Männer, die der Gedanke antörnt, zwischen zwei straffen, wippenden Anführungszeichen rumzufummeln, doch sexuelle Ironie als Kunstform wird niemals wirklich subversiv sein.
Nennen Sie mich eine Feminazi in eisernen Unterhosen, aber ich bin es leid, dass mir lahme, altmodische Frauenfeindlichkeiten als etwas Neues, Ironisches und Selbstermächtigendes verkauft werden. Wenn Sie sich sexy fühlen wollen, dann haben Sie Sex – und wenn Sie mehr Selbstbestimmung wollen, schließen Sie sich einer politischen Bewegung an.
Laurie Penny, Journalistin und feministische Aktivistin aus London. Sie ist ständige Autorin für die englische Wochenzeitung „New Statesman“ und wurde für den prestigereichen Orwell-Preis für politische Literatur nominiert.
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung von Guardian News & Media Ltd. Übersetzung aus dem Englischen: Vina Yun
Denice Fredriksson: Selten habe ich eine derartige Orgie in Fremdschämen erlebt wie letztens im Kino beim Film „Burlesque”. Tiefer und tiefer versank ich mit hochrotem Kopf in meinem Sessel, und immer wenn ich dachte, es ginge nicht mehr schlechter, wurde eine noch peinlichere recycelte Punchline geliefert.
Das Hauptproblem bei „Burlesque” ist aber nicht Chers versteinerte Schauspielerei (oder Gesicht) oder Christina Aguileras schlichtweg fehlende Persönlichkeit, sondern dass das Ganze absolut nichts mit Burlesque als Performancekunst zu tun hat. Ich habe keine Ahnung, welche Burlesque-Aufführungen der Regisseur gesehen oder wo er seine Recherche betrieben hat – Shows in Las Vegas? Springbreak in Florida? Britney Spears’ Worldtour? Das Ensemble ist (mit sehr wenigen Ausnahmen) so langweilig und seelenlos, dass meine Popcorntüte mehr Bühnenpräsenz und Leidenschaft zeigt als die Photoshop-TänzerInnen auf der Leinwand.
Mainstream-Brei. Aber warum rege ich mich dermaßen wegen einer klassischen Hochglanz-null-Tiefe-Hollywood-Kacke auf? Weil ich eine überaus stolze Burlesque-Performerin bin und in mir genau dasselbe Gefühl hochsteigt wie damals, als 1996 die Spice Girls und „Girl Power” der Riot-Grrrl-Bewegung ins Gesicht schissen. Eine für mich sehr feministische und subversive Kunstform wird hier komplett falsch repräsentiert und zu einem sexistischen und homophoben Mainstream-Brei verkocht. Die Körpernormen und Botschaften, die hier präsentiert werden, sind mir so fremd als würde ich bei meiner Performance in einem Stringtanga ins Publikum gehen, Lapdances vorführen und dabei Geldscheine zugesteckt bekommen.
Ein zusätzlicher Dorn im Auge ist die Darstellung von Weiblichkeit. Die Burlesque war für mich immer eine Hommage an Selbstständigkeit, ohne sich zu entschuldigen. Mit der frechen, sexy und witzigen Ikone Mae West fand ich eine Inspirationsquelle und ein Vorbild, mit der ich meine Identität als „Femme” nach und nach aufbauen konnte, weit weg vom Weiblichkeits-Maßstab „Heilige/Hure”, den unsere Gesellschaft so fieberhaft reproduziert. In „Burlesque” wird ein Klischee nach dem anderen bedient, da kann selbst der bekannt katastrophale Film „Showgirls” mit vergleichsweise mehr Subversion und Emanzipation aufwarten.
Paintbrush-Orgie. Cher wird als „er” und „Mr.” bezeichnet, wenn sie als Chefin für das Burlesque-Theater agiert (das soll wohl „lustig” sein), Zickenkriege und der klassische „weibliche Neid” spielen natürlich auch eine große Rolle. Wenn die Männer Eyeliner tragen, wird gleich angenommen, sie seien schwul, aber bitte und gottseidank ist der muskulöse Held im Film hetero.
Sämtliche Frauen auf die Bühne haben praktisch die gleichen Körpermaße (sprich schlank bis spindeldürr), und das Paintbrush-Make-up zaubert jeden individuellen Gesichtszug weg, bis alle einfach wie Klone aussehen.
Wider die „Femme“-Norm. Das Schöne an Burlesque ist ja die Vielfalt an Körpern, und um ganz ehrlich zu sein, sehr viele der Burlesque-KünstlerInnen sind einfach wunderschön dick. Ich merke, wie ich im dunklen Kinoraum sitze und fast in Tränen ausbreche, weil ich so dankbar bin, dass meine queere Burlesque-Realität weit, weit weg ist von diesem hetero-verseuchten, langweiligen Albtraum-Leben, in dem mit größter Wahrscheinlichkeit „Femme” bloß Frau auf Französisch bedeutet und mit einer Burlesque-Show darauf abgezielt wird, die Männer im Publikum zu erregen (aber „not too much”, bitte schön). Wenn ich auf die Bühne gehe, tue ich das in dem Bewusstsein, dass das, was ich in meiner Performance und mit meinem Körper und meinen Kostümen darstelle, für viele ungewohnt ist. Für einige ist es sogar unangenehm. Ich entspreche nicht der üblichen Körpernorm, mit der Ausziehen/Nacktheit erlaubt ist. Meine Femme-Inszenierung ist nicht ausschließlich für das „männliche Auge” gedacht, und die Sexualität, mit der ich spiele, ist keine heterosexuelle. Viele Leute, die zum ersten Mal zu einer Vorstellung von CLUB BURLESQUE BRUTAL kommen, sind verwirrt. Wir sind so sehr an den Anblick schlanker Körper, perfekter Haut, Heterosex und „(halb-)nackte Frauen müssen Verletzlichkeit und Lieblichkeit ausstrahlen” gewöhnt, und plötzlich bricht hier vieles die eingepeitschten Regeln.
Als ich das erste Mal eine dicke Frau in Unterwäsche tanzend auf einer Bühne sah, war meine erste (ungewollte) Reaktion Entsetzen und sogar ein bisschen Ekel. Ich selbst spüre noch immer vor jedem Bühnenauftritt die Angst, dass die BeobachterInnen meinen Körper abstoßend finden könnten und/oder dass mein Femme-Sein als normative, dümmliche Feminität interpretiert wird. Aber eine Sache ist klar: Wenn mein Publikum das nächste Mal aus KinobesucherInnen besteht, die sich eine magersüchtige Plastikpuppe in Glitzerbikini und MTV-Choreografie erwarten, werde ich David Geffens ignorantem, frauenverachtendem Ex-Freund (aka der „Filmemacher”, der diesen Kinostreifen verbrochen hat) einen burlesken Haufen Sch**** schicken.
Denice Fredriksson tritt beim CLUB BURLESQUE BRUTAL in Wien auf und würde am allerliebsten auf einer Bühne wohnen.