Viel Sehenswertes und Erfreuliches bringt das queere Filmfestival identities 2011 für JENNY UNGER.
Wie eine kleine Terrierhündin auf ihren Knochen freut sich eine auf ein Filmfestival, und das, obwohl sie regelmäßig, na fast immer, im Kino schläft. Doch dieses Filmfestival ist nicht irgendeins, sondern das Queer Film Festival „identities“. Auslandsaufenthalte werden verschoben, Menschen von Übersee eingeflogen, Arbeit auf Eis gelegt. „identities“ bedeutet Urlaub in Wien. Den Anfang machte das Filmfestival mit einer filmischen Identity-Tour (trans-X) 1994 im Wiener Filmcasino. Gut, da war ich noch in der Schule und weit weg vom Filmcasino. Aber schon Ende der 1990er streunte ich im Frühsommer um eben jenes Kino, schnupperte die besondere Luft , denn schon damals war „identities“ ein Festival und nicht bloß Film und Kino: also Unterhaltung und Aufregung und Spannung und aufgezwirbelte Stimmung und ganz viel los. Ein „Fixpunkt für die Community“, heißt es im Pressetext. Noch ist es ein Geheimnis, aber ein Festivalcafé ums Eck vom Filmcasino wird heuer wohl auch ein Fixpunkt werden. Fett und zuckrig vielleicht, schick auf jeden Fall (www.fettundzucker.at).
Anfang Juni, genauer gesagt von 2. bis 12. Juni, wird das Queer Cinema wieder in Wien zu Hause sein. Zehn Tage. Rund hundert internationale Produktionen. Drei Kinos. Premieren. Alte und neue Preise. Große und kleine Namen. Gender- und Identitätsvielfalt natürlich inbegriffen. Sehen werden wir auch einen legendären Filmkuss. Spektakuläre drei Minuten und 24 Sekunden dauert er. In Elena Undone wird mit diesem Kuss Elenas bisheriges Leben „undone“. Sie, Mutter und Frau eines homophoben Pfarrers, und Peyton, eine offen lesbisch lebende Autorin, treffen sich zufällig auf einer Veranstaltung. Sie sind komplett gegensätzlich, aber die Funken sprühen. Zwei Publikumspreise, beim Fresno Reel Pride Filmfestival und beim Tampa International Gay & Lesbian Filmfestival, hat der klassisch-altmodische Lesbenfilm mit Happy End schon abgestaubt. Autorin und Regisseurin ist übrigens Nicole Conn, die mit „Claire of the Moon“ (1992) bekannt wurde. Aufregend dürfte der WG-Psychothriller und Debütfilm der Französin Sophie Laloy Je te mangerais / You will be mine werden. Marie, eine Musikstudentin, zieht aus finanziellen Gründen zu Emma, einer Freundin aus Kindheitstagen. Sie haben sich Jahre nicht gesehen, aber schnell lebt ihre Freundinnenschaft wieder auf. Die geheimnisvolle Emma fasziniert Marie, und als Emma Marie Avancen macht, lässt sich Marie darauf ein. Eine Leidenschaft entsteht, die in einer Hölle aus Nähe und Distanz mündet. Die eine verschlingt die andere: Emma kontrolliert Maries Leben, Marie spielt ihre sexuelle Macht aus und demütigt die andere. „Ist dies nun eine Liebesgeschichte? Vielleicht. Jedenfalls aber keine einfache Coming-Out-Geschichte oder eine unglückliche lesbische Love-Story.“ (www.artechock.de) Wer es laut, heiß, kreativ und explizit haben mag, schaut sich die Österreich-Premiere von Too Much Pussy! an, eine Doku über die Sexperformerinnen „feminist sluts“ der „Queer X show“ auf ihrer wilden Europatournee 2009. Und die, die noch mehr zu Kunst-Queer-Feminismus-Pornografie wissen wollen, besuchen den Blog der Filmemacherin Emilie Jouvet (www.emiliejouvet.com).
Von den Macherinnen des vielfach preisgekrönten Films „The Brandon Teena Story“ (1998), Susan Muska und Gréta Ólafsdóttir, gibt es auch wieder vielfach preisgekröntes zu sehen: Edie & Thea: A Very Long Engagement ist eine Doku über eine lesbisches Paar, das 2007 nach 42 Jahren Beziehung in Kanada heiratet. Ihre gemeinsame Geschichte beginnt im New York der 1960er Jahre, vor Stonewall. Mit alten Fotografien, Filmen und Interviews wird das Paar porträtiert, das lange für die gesellschaftliche Anerkennung ihrer Lebensgemeinschaft gekämpft hat.
Sex, Drugs und Rock’n’Roll kurz vor Punk gibt’s in The Runaways, einem Musikfilm über vier minderjährige Mädchen, die Mitte der 1970er Jahre die Rockszene in Los Angeles aufmischten. Besonderes Highlight: Kristen Stewart von „Twilight“ als Joan Jett! Ein spätes Coming-Out hat die Lehrerin Eva im tschechischen Film Soukromé pasti: Jiná láska / A Different Kind of Love, was ihr bisher wohlgeordnetes hetero- sexuelles Leben ziemlich durcheinander bringt.
Aber jetzt genug der Worte: Raus, raus, raus ins Kino – und gute Projektion!