Ein Kommentar von IRMI WUTSCHER
Aus mehreren traurigen Anlässen ist sexuelle Gewalt gegen Frauen im öffentlichen Raum hierzulande derzeit breites Medienthema: Einerseits wegen der brutalen Vergewaltigung einer Studentin in Indien, andererseits wegen mehrerer Übergriffe in der Wiener U-Bahn. Am 14. Februar soll nun weltweit auf den Umstand hingewiesen werden, dass wir alle in Gesellschaften leben, in denen Gewalt gegen Frauen alltäglich ist: Durch die Aktion „One Billion Rising“, bei der weltweit eine Milliarde Frauen gegen Gewalt auf die Straße gehen sollen (http://onebillionrising.org).
Wo es sexuelle Übergriffe gibt, sind gutgemeinte Tipps zu ihrer Vermeidung nicht weit. Wir erinnern uns an den Polizisten aus Toronto, der meinte, um Vergewaltigungen zu entgehen, sollten sich Frauen eben nicht so aufreizend anziehen. Er hat die weltweite Protestbewegung der Slutwalks ausgelöst. In Indien hat ein Polizeioffizier aus Thane nun den Vorschlag gemacht, Frauen sollten in Zukunft Chili-Pulver dabei haben, um sich gegen mögliche Angreifer zu wehren. Oder im Dunkeln gleich gar nicht mehr rausgehen. Auch in Wien wurde Frauen von der Polizei empfohlen, nicht mehr alleine mit der U-Bahn zu fahren. Die Wiener Linien hingegen haben beschlossen, die Videoüberwachung für 1,2 Millionen Euro auszubauen (derzeit werden bereits ca. zwei Drittel der U-Bahn-Stationen und die meisten U-Bahn-Züge videoüberwacht, in nächster Zeit sollen Kameras auch in Bussen und Straßenbahnen aufgestockt werden).
Einfache Lösung also: Sollen die Frauen daheim bleiben. Falls sie doch mal rausmüssen, gibt’s für den Ernstfall Überwachungskameras und Chilipulver.
Wie viel sinnvoller ist da eine Liste von Tipps, die auf verschiedenen feministischen Blogs im Internet zirkuliert und von der feministischen Jusprofessorin Ann Bartow stammt. In zehn Punkten geht es darum, die potenziellen Täter daran zu erinnern, dass sie es sind, die ihr Verhalten ändern sollen – um so weg von einer Rape Culture und hin zu einer Gesellschaft zu kommen, in der sich Frauen frei bewegen können.
„Menschen gehen in Waschküchen, um Wäsche zu waschen, nicht, um belästigt zu werden“, ist einer von Bartows Hinweisen. Andere Ratschläge lauten etwa: „Wenn Sie jemanden alleine auf der Straße sehen – lassen Sie sie in Ruhe!“ oder: „Niemals vergessen: Sie dürfen Sex nur mit Menschen haben, die wach sind!“ Diese Liste ließe sich noch beliebig erweitern. Mir fielen da zum Beispiel spontan folgende Punkte ein:
- Bringen Sie Ihren Söhnen von klein auf bei, Frauen zu respektieren. Zur Veranschaulichung könnten Sie mit gutem Beispiel vorangehen.
- Wenn Sie nachts in der U-Bahn mit einer Ihnen unbekannten Frau alleine im Waggon sind: Halten Sie weiträumig Abstand!
- Wenn Sie merken, Sie gehen in die gleiche Richtung nach Hause: Überholen Sie (am besten auf der anderen Straßenseite) oder nehmen Sie einen anderen Weg. Gehen Sie keinesfalls hinter der Frau her!
- Achten Sie auf das Konsensprinzip: Führen Sie nur Handlungen durch, denen alle Beteiligten zugestimmt haben. Das gilt für Sex genauso wie für Gespräche.
- Bedenken Sie: Frauen reicht es beim Ausgehen oft völlig, unter sich zu sein. Sie warten nicht zwingend auf männliche (= Ihre) Gesellschaft.
- Überlegen Sie sich für gefährliche Situationen ein Mantra. Wenn Sie Kleidung sehen, die für Ihren Geschmack oder Ihr Gefühl aufreizend ist, wiederholen Sie innerlich immer wieder: Das ist keine Einladung zum Sex! Das ist keine Einladung zum Sex!
- Dieses Mantra könnten Sie auch in einer Männergruppe verbalisieren. Manchmal hilft ein schöner Reim, um Dinge besser im Unterbewusstsein zu verankern. Seien Sie kreativ! Anregungen können Sie sich bei feministischen Schlachtgesängen holen. Beispiel: „Whatever we wear, wherever we go – yes means yes and no means no!“
- Vergessen Sie niemals: Die sexuelle Erregung ist Ihr Gefühl und hat nichts mit dem Gegenüber zu tun.
- Falls Sie auf Hardcore-Pornos oder auch Twilight abfahren: Genießen Sie es! Aber führen Sie sich immer wieder vor Augen, dass es sich hier um Erfundenes und Fiktion handelt.
- Setzen Sie Gesehenes oder Gelesenes gerne in die Tat um – aber handeln Sie es vorher mit potenziellen PartnerInnen aus.
Ergänzen Sie nach Belieben weitere Regeln. Und fordern Sie deren Einhaltung ein!
5 Kommentare zu „an.sage: Wie man sexuelle Übergriffe vermeidet“
Pingback: Mädchenmannschaft » Blog Archive » Hater, Trolle, Widerstand und Gottes Segen -kurz verlinkt
“Achten Sie auf das Konsensprinzip: Führen Sie nur Handlungen durch, denen alle Beteiligten zugestimmt haben. Das gilt für Sex genauso wie für Gespräche.”
Ich stimme da der Idee nach natürlich zu, aber an der Formulierung muß da echt grundsätzlich gearbeitet werden, aus diversen Gründen, als Beispiele:
a) Es gibt Situationen, in denen ein Erstkontakt stattfinden muß, um zu wissen, ob der Kontakt erwünscht ist oder nicht. Wenn niemand mehr “hallo” sagt, um rauszufinden, ob eine andere Person an einem Gespräch interessiert ist, dann wird das ganz schwer mit dem Zusammenleben. Aber der Erstkontakt findet denklogisch ohne Consent statt, geht nicht anders. Consent kann ex-post erfolgen, aber nicht ex-ante.
b) Es gibt Situationen, in denen Menschen erst durch Experimentieren herausfinden, was sie wollen, was bedeutet, daß sie nicht in der Lage sind, spezifischen Konsent zu geben. Ganz abgesehen, von dem Problem, daß sie mitunter erst Recht nicht in der Lage sind, zu formulieren, was sie wollen, wenn sie das Wissen, denn dann kommt ja noch die ganze Sache mit der Sozialadäquanz und der anderen Person und ihren Gefühlen ins Spiel.
Das Problem hier ist aus meiner Sicht, daß Consent ein wichtiger Punkt ist, daß aber die Art von ex-ante Consent, von der Feministinnen online immer schwärmen in der Lebensrealität (und oft auch ihrer eigenen) nur für einen Teil menschlicher Aktionen sinnvoll einsetzbar ist. Und es schwächt das eigentlich wichtige Argument enorm, wenn es ausgewalzt wird und für Dinge verwendet wird, für die es schlicht unbrauchbar ist.
Wenn es schon für Dinge wie “hallo sagen” (“Das gilt auch für Gespräche”) verwendet wird, dann sollte das besser so formuliert werden, daß klar ist, daß der Consent eben auch nur “ex-post” herausgefunden werden kann:
“Das gilt auch für Gespräche: lasst doch Leute, von denen Ihr nach den ersten Worten denkt, sie würden gerne in Ruhe gelassen werden, einfach in Ruhe.”
Außerdem sollte sowas wie eine Sliding Scale eingebaut sein: “Mißverständnisse sind immer möglich und auch eigentlich kein Problem für Leute, die sie Vermeiden wollen. Fehler zu machen ist menschlich, und das ist nicht das, worum es uns geht. Nur sollte man, wie überall im Leben, da vorsichtiger sein, wo das Risiko größer ist: je näher man sich kommt, desto weniger Unsicherheit sollte über die gegenseitigen Absichten vorliegen. Sex sollte wirklich niemanden überraschen, ein “Hallo” im Supermarkt dagegen darf das durchaus mal.”
Pingback: wuetend und hungrig also schreiben « grrrlzDaIY
Pingback: Verlinkt • Denkwerkstatt
Pingback: Am 8. März & an allen Tagen: Rape Culture bekämpfen!: (Festival-) Reflexion #7 « HeteroSexismus hacken