Ein Kommentar von Verena Kettner
11.000.000.000.000. Eine unaussprechliche Zahl – elf Billionen US-Dollar. Die würde es kosten, wenn alle Frauen weltweit für die Haushalts–, Pflege- und Fürsorgearbeit entlohnt würden, die sie in Familien und Paarbeziehungen als „Arbeit aus Liebe“ unbezahlt leisten. Diese Zahl übersteigt sogar das weltweite Gesamtvermögen der Milliardär*innen, wie in der aktuellen Oxfam-Studie über soziale Ungleichheit zu lesen ist. Was dort ebenfalls zu lesen ist: Das reichste Prozent der Weltbevölkerung besitzt 45 Prozent des weltweiten Reichtums, während jede zehnte Person von weniger als zwei US-Dollar am Tag leben muss. Fast die Hälfte der Weltbevölkerung gilt nach diesen Berechnungen als unter oder an der Armutsgrenze lebend. Und diese Armut betrifft insbesondere Frauen – was keine Überraschung ist angesichts der Tatsache, dass sie täglich weltweit über zwölf Milliarden Stunden Sorgearbeit unbezahlt erledigen.
Natürlich ist die riesige soziale Ungleichheit auf der Welt keine neue Erkenntnis. Feministische Theorien, soziale Bewegungen, antirassistische Forderungen machen unermüdlich auf diese himmelschreiende Ungerechtigkeit aufmerksam. Sie lässt sich in Studien fassen und zu abstrakten Zahlen formen. Doch hinter diesen schwer vorstellbaren Zahlen verbergen sich reale Menschen mit realen Problemen. Diese Probleme unterscheiden sich zwar je nach geographischer Lage, sozialer Stellung und vielen weiteren Umständen, aber sie haben gemeinsam, dass sie vor allem Frauen treffen. In manchen infrastrukturarmen Gegenden des globalen Südens beispielsweise müssen Frauen bis zu 14 Stunden für Haushalts- und Sorgearbeit aufwenden. Zeit für ein eigenes Leben bleibt dabei kaum. Aber auch in Deutschland etwa leisten Frauen 52 Prozent mehr unbezahlte Fürsorgearbeit als Männer und erhalten im Durchschnitt um 53 Prozent niedrigere Pensionen, was weibliche Altersarmut eher zur Regel als zur Ausnahme macht.
Die britische Journalistin Laurie Penny schrieb einmal, dass die Weltwirtschaft über Nacht zusammenbrechen würde, wenn alle Frauen weltweit damit aufhören würden, Beauty-Artikel zu konsumieren. Aber es bräuchte nicht mal Beauty-Boykott, wenn alle Frauen weltweit streiken und eine faire Entlohnung für ihre Arbeit fordern würden. Ohne die unbezahlte Reproduktions- und Sorgearbeit, die eine produzierende Arbeiter*innenschaft erst ermöglicht, gäbe es spürbar weniger Profit und weniger Wachstum. Frauen und ihre Körper wurden auch in feudalistischen Zeiten unterdrückt und ausgebeutet, doch der Kapitalismus als Wirtschafts- und Gesellschaftssystem basiert geradezu auf dieser Ausbeutung. Lohn für Hausarbeit zu fordern, wie es bereits Feminist*innen in den 1970er-Jahren taten, ist eine von vielen Möglichkeiten, Widerstand gegen diese Ausbeutung zu leisten. Aber die Forderung geht nicht weit genug, denn soziale Ungleichheit beruht nicht nur auf unbezahlter Arbeit, sondern auch auf den Chancen und Voraussetzungen für Gleichheit, die Frauen oft verwehrt bleiben. In einem Oxfam-Projekt werden acht Bedingungen erarbeitet, die eine freie Entscheidung über das Maß an Pflege- und Fürsorgearbeit, die jede*r leisten will, ermöglichen sollen. Diese beinhalten unter anderem eine gebührenfreie Schulbildung, Zugang zu Infrastruktur wie sauberem Wasser und Energie, den Ausbau der öffentlichen Pflege und Infrastruktur sowie längere bezahlte Elternzeiten und generell flexiblere Arbeitszeiten – und natürlich auch eine gerecht entlohnte Pflege- und Sorgearbeit. Für all diese Forderungen muss ein Frauenstreik eintreten. Und die unvorstellbare Zahl 11.000.000.000.000 sollte dabei auch eine Rolle spielen.