Ein Kommentar von KATHARINA FISCHER
Es ist viel faul im Staate Österreich. Das gerät leicht aus dem Blick, denn medial dominiert ganz klar ein Thema: Nicht nur Türkis-Blau und andere rechte und rechtspopulistische Gruppierungen werden nicht müde über Migration zu sprechen, auch auf EU-Ebene hat sie sich zum alles bestimmenden Thema entwickelt. Längst hat sich dabei das Sprechen über Menschen in Mengenangaben gewandelt. Auch von „westlichen Werten“ wird viel gesprochen, während zentrale Menschenrechte missachtet werden. Immer weniger Menschen treten die Reise über das Mittelmeer an und trotzdem steigt die Zahl der Ertrinkenden. Immer mehr Menschen werden in Lagern in Libyen, auf Lesbos und anderswo eingesperrt. Folter, menschenunwürdige Bedingungen, ja selbst Sklavenarbeit werden dabei ignoriert, in Kauf genommen, Hauptsache die Zahl der Asylansuchenden sinkt. Ob eine Partei Erfolg hat, hängt inzwischen beinahe davon ab, wie gut sie gegen jene Personen hetzen kann, die nicht das Privileg haben, EU-Bürger_innen zu sein, und einfach nur in Flugzeuge oder Züge steigen müssen, um sich überall auf der Welt frei zu bewegen. Menschen wird die diffuse Angst eingeredet, sie könnten den Überfluss, den sie haben, verlieren, nur weil andere Menschen auf der Suche nach einem Ort ohne Krieg oder Hunger nach Europa kommen. Und noch etwas kann das viel bemühte Thema Migration: Es beherrscht den politischen Diskurs so sehr, dass viele in Österreich glauben, es sei das einzige Problem dieses Landes, dass Frauen Kopftücher tragen. Was dabei vergessen wird: Nicht mal drei Wochen nach Vorlage des Gesetzesentwurfs wurde der Zwölf-Stunden-Tag und somit eine 60-Stunden-Woche beschlossen. Etwa 100.000 Menschen gingen dagegen auf die Straße, die Gewerkschaft zeigte sich anfangs ungewohnt kämpferisch. Die Regierung beeindruckte das wenig. Angeblich sind die elfte und zwölfte Arbeitsstunde freiwillig, doch was bedeutet diese Freiwilligkeit bei drohendem Jobverlust. Im Eiltempo wurde das Gesetz beschlossen, während medial vor allem interessierte, ob Dreijährige im Kindergarten ein Kopftuch tragen dürfen oder nicht. Sozialabbau, übermäßige Ausgaben für unnötige Polizeipferde und steigende gewalttätige Übergriffe auf Frauen*, die in der Öffentlichkeit Hijab tragen, lassen sich mit dem Sicherheits-Migrations-Mix sehr gut an den diskursiven Rand schieben. Dass es um Menschen geht, dass Menschen, ja alle Menschen, Rechte haben, wird derzeit gerne vergessen.
Auch auf einer anderen Ebene: Denn so schnell die Regierung den 12-Stunden-Tag beschlossen hat, so langsam ist sie mit der Gleichstellung von homosexuellen und heterosexuellen Paaren im Eherecht. Während viele andere EU-Staaten schon längst die Ehe für alle eingeführt haben, musste Österreich sich erst vom VfGH dazu zwingen lassen. Die Eingetragene Partnerschaft, die noch immer zwanzig Unterschiede zur Ehe aufweist, wurde 2010 ebenfalls erst nach einem Rechtsspruch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eingeführt. Und so sitzt die Regierung die Umsetzung der Eherechtsreform nun bis zum 1. Jänner 2019 aus. Doch Menschen sind keine abstrakten Zahlen und auch diejenigen, gegen die gewettert wird, haben Rechte und Gefühle, auch wenn ihnen diese immer mehr abgesprochen werden. Das Argument des Schutzes der Familie beißt sich im faulen Staate Österreich sowieso selbst in den Schwanz, Kürzungen im Bildungsbereich und für Kindergärten, viel zu lange Arbeitstage und die Streichung der Gelder für Krisenpflegefamilien treffen nämlich Kinder, um die es ja angeblich im Interesse des Staates geht. Indessen feiert Kanzler Kurz sich selbst, weil er die EU nun endlich auf den „richtigen Weg“ gebracht hat. Wer in der Asyldebatte auf die Existenz von Menschenrechten verweist, ist in seinen Augen naiv. Das aktuelle Asyltrauerspiel in der Europäischen Union feiert Kurz als seinen Erfolg: „Vor drei Jahren sind meine Gedanken noch als rechtsradikal verurteilt worden, jetzt werden sie immer mehr unterstützt“, sagte er jüngst auf einer Pressekonferenz. Hat die Erosion der Demokratie bereits begonnen?