Ein Kommentar von GABI HORAK
„Wer hat gewonnen?“, fragte mich meine Tochter am Wahlsonntag, während die bunten Balken am Fernsehschirm in die Höhe wuchsen. Ich habe keine einfache Antwort darauf. Dass die Grünen – noch dazu stärker als je zuvor – wieder im österreichischen Nationalrat vertreten sind, ist aus feministischer Sicht jedenfalls eine gute Nachricht. Sie haben Stimmen gewonnen. Das haben aber auch die rechten Türkisen. Stimmen und damit Macht im Parlament verloren haben die rechtsradikalen Blauen, aber auch die kriselnde Sozialdemokratie. Wer hat also gewonnen? Neoliberalismus und linksliberale Klimapolitik? Rassismus und Antirassismus?
Eines steht fest: Feministische Politik wird auch in der nächsten Regierung keine tragende Rolle spielen. Nicht mit den noch stärker gewordenen Kurz-Türkisen, egal in welcher Konstellation. Schon am Wahlabend wurde vor allem über eine mögliche Koalition von Türkisen und Grünen debattiert, sie scheint vielen am wahrscheinlichsten. Bei aller Anerkennung und positiver Überraschung, dass die Grünen wieder so stark sind, dass das tatsächlich eine Option ist: Wie soll das gehen? Ich kann mir zur Stunde keine Vereinbarung vorstellen, keinen „Kompromiss“, bei dem nicht eine der beiden Parteien in grundsätzlichen, identitätsstiftenden Positionen völlig das Gesicht verliert.
Schon 2003 sind Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und Grünen gescheitert. „Die ÖVP wollte damals Grausamkeiten sondergleichen im Sozialbereich durchsetzen“, wird Karl Öllinger vergangenen Juli im „Falter“ zitiert. Die Schmerzgrenze für Grausamkeiten wurde seither von rechten Regierungen noch mal ein großes Stück nach unten verschoben. Wie soll da linke, soziale, feministische Politik auch nur einen weiteren Millimeter in Richtung Sozialabbau und autoritärer Staat nachgeben können?
Feministische Politik würde bedeuten, einen radikalen Wandel in Richtung Umverteilung anzustoßen: mehr Sozialstaat und nicht weniger, mehr Menschen in das gute Leben integrieren und nicht weniger.
Das betrifft auch die Wahl im engsten Sinne: 6,4 Millionen Menschen waren am 29. September wahlberechtigt. 1,2 Millionen Menschen, die in Österreich leben und oft sogar hier geboren sind, waren es nicht. Das ist nach der Anzahl der Kurz-Wähler*innen die zweitgrößte Gruppe. Es ist ein „zunehmend demokratiepolitisches Problem“, wie Kulturwissenschaftlerin Judith Kohlenberger im „Falter“-Blog schreibt. Eine Reform des Staatsbürgerschaftsgesetzes ist für sie deshalb unumgänglich.
Einstweilen blieb den Nicht-Wahlberechtigten nur die Teilnahme an der symbolischen Pass-Egal-Wahl wenige Tage vor der Nationalratswahl. Es gab Rekordbeteiligung: Mehr als 2900 Menschen ohne österreichischen Pass haben gewählt, dazu kamen tausend Solidaritätsstimmen von Menschen mit österreichischer Staatsbürgerschaft. Die Schlangen vor den Wahllokalen waren lang, mancherorts haben Menschen eine Stunde gewartet, um ihre Stimme abzugeben. Es ist ein Bedürfnis mitzubestimmen bei Entscheidungen, die das Land betreffen, in dem mensch lebt. Und es sollte ein Recht sein, das tun zu dürfen.
Die politischen Mehrheiten in Österreich haben sich nach der Wahl nur marginal verschoben. Ein großer Teil der ehemaligen FPÖ-Wähler*innen hat dieses Mal nicht gewählt. Sie sind das nächste Mal also abrufbar. Bei den jungen Wähler*innen ist Kurz genauso stark wie die Grünen, nur bei gut gebildeten Frauen sind die Grünen auf Platz eins.
„Es gibt immer noch eine rechte Mehrheit in diesem Land“, heißt es in einem Posting der „wiederdonnerstag“-Demo-Organisator*innen. Sie kündigen an, dass weiter demonstriert wird. „Egal, was kommt, das wird nicht unsere Regierung sein. Wenn es keine aufmerksame kritische Zivilgesellschaft gibt, die genau darauf schaut, was bei den kommenden Koalitionsverhandlungen passiert, werden wieder die Anliegen, Bedürfnisse und Sorgen genau derjenigen ignoriert werden, die jetzt schon von dieser Politik am meisten negativ betroffen sind. Denn viele von uns werden die rechte Politik weiterhin zu spüren bekommen, egal mit wem Kurz koaliert – einige später, aber einige auch sofort.“ Dem ist nicht viel hinzuzufügen. Ich hab noch immer keine Antwort darauf, wer bei der Wahl gewonnen hat. Die von der Kürzungspolitik betroffenen Menschen jedenfalls nicht.