Ein Kommentar von BRIGITTE THEISSL
Türkis-Blau ist Geschichte und mit der neu angelobten Regierung ist ein kollektives Aufatmen zu verspüren bei all jenen, die Innenminister Kickls autoritäre Fantasien als Bedrohung empfanden für den ohnehin bröckelnden menschenrechtlichen Grundkonsens. Türkis-Grün, zumindest eine Regierung ohne die FPÖ, ohne den Geruch von Ibiza.
Für dieses Wagnis erntete man selbst von konservativen Kommentator* innen Applaus, die schon für den türkis-blauen Pakt in die Presche gesprungen waren. Eine Law-and-Order-Politik der Marke Kickl – eben doch verträglicher ohne all die ungustiösen Einzelfälle.
Der türkis-blaue Geist ist indes keineswegs Geschichte. Auch wenn nun kompetente, progressive Politikerinnen wie Alma Zadić und Leonore Gewessler auf grüner Seite in Ministerien eingezogen sind – schon beim ersten gemeinsamen Auftritt machte Sebastian Kurz deutlich, dass er als wiedergewählter Kanzler an das rechtsautoritäre Projekt der Vorgänger-Koalition anknüpft.
Das „Beste aus beiden Welten“ biete das türkis-grüne Programm, man habe bewiesen, dass es möglich sei, „das Klima und die Grenzen zu schützen“. Ein Slogan, der an Zynismus kaum zu überbieten ist angesichts von rund zwanzig Millionen Klima-Flüchtlingen pro Jahr, so Schätzungen von Expert*innen der UNO. Grüner Widerspruch zur Überschrift des Kanzlers blieb aus. Asyl und Migration, eben keine grüne Kernkompetenz, verkündete Kurz schon vor der Angelobung der Regierung vollmundig – eine Prämisse, der sich die Grünen bisher fügten. So ist auch die Haft auf Verdacht („Präventivhaft“) im Regierungsprogramm zu finden, ein Herzensprojekt Kickls, das die Grünen einst heftig kritisiert hatten.
Und Neo-Innenminister Karl Nehammer benötigte beim Antritts-Interview in der „ZIB 2“ lediglich fünf Sekunden, um bei den zentralen Themen anzukommen: dem Kampf gegen die „illegale Migration“ und dem politischen Islam. Dass das Problem immer die anderen sind, demonstrierte die ÖVP auch mit ihrer Entscheidung, die Frauenagenden im türkisen Integrationsministerium anzusiedeln. Im Doppel-Interview mit Vizekanzler Kogler rechtfertigte Sebastian Kurz das mit „Machokulturen“, die zum Teil „importiert wurden“ und dem „falschen Rollenverständnis von manchen Zuwanderern“, die es „nicht so ernst nehmen mit der Gleichstellung“.
Feministische Errungenschaften, sie kommen den Rechtskonservativen immer dann gelegen, wenn es sich zu „schützen“ gilt von einer vermeintlichen Bedrohung jenseits der Grenzen. Im Fall der ÖVP eine ganz besonders perfide Strategie. Ist es doch die Volkspartei, die sich in Österreich seit Jahrzehnten als Bremsklotz progressiver Frauenpolitik geriert. Große Würfe wie die Fristenregelung, die rechtliche Gleichstellung von Frauen in der Ehe und am Arbeitsplatz oder das Gewaltschutzgesetz wurden von einer SPÖ-Alleinregierung verabschiedet oder später mühselig dem christlich- sozialen Koalitionspartner abgerungen. Selbst gegen eine Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe stemmte sich ÖVP-Justizsprecher Michael Graff vehement.
Das hindert Frauen- und Integrationsministerin Susanne Raab freilich nicht daran, vor „patriarchal geprägten Kulturen“ zu warnen und an einem Kopftuchverbot für Lehrerinnen zu basteln (schon das Burkaverbot entstand unter ihrer Feder). Sie selbst habe Sexismus am Arbeitsplatz noch nie erlebt, wie sie der „Heute“ erzählte.
Die Idee einer „Zähmung“ der ÖVP durch eine Koalition mit den Grünen erscheint deshalb mehr unerschütterliche linksliberale Zuversicht denn politische Option zu sein. Denn wohin der türkise Kurs geht, ist klar wie eh und je. Rechtsautoritäre Migrationspolitik soll den Weg ebnen für die eigentlichen Reformen: mehr Macht für Arbeitgeber* innen, mehr Druck auf Arbeitnehmer*innen (wer spricht eigentlich noch über den Zwölf-Stunden-Tag?).
So bleibt es auch fraglich, wie weit sich die ÖVP bei der geplanten CO2-Steuer tatsächlich bewegen wird. Schließlich verkaufte Kurz selbst dringend notwendige Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel als generöses Zugeständnis an den Koalitionspartner.
Für progressive Kräfte im und außerhalb des Parlaments bleibt es indes die zentrale Herausforderung, eine Gegenerzählung zum türkisen Narrativ zu finden. Es sich im rechten Normalzustand gemütlich einzurichten – für Feminist*innen ist das schließlich niemals eine Option.