Ein Kommentar von ANDREA HEINZ
Es gibt sie bereits seit Abertausenden von Jahren auf diesem Planeten – doch erst jetzt, im Jahr 2012, werden sie zum großen und skandalisierten, Plakatwände und Titelseiten füllenden Thema: die nackten Männer. Das Museum Lentos in Linz und das Wiener Leopold Museum haben mit „Der nackte Mann“ bzw. „Nackte Männer“ sehr ähnlich geartete Ausstellungen im Programm. In Linz haben mit Sabine Fellner, Elisabeth Nowak-Thaller und Stella Rollig drei feministische Kuratorinnen die Ausstellung gestaltet, ergänzend dazu gibt es ein kulturwissenschaftliches Symposium. In Wien geben die KuratorInnen Tobias Natter und Elisabeth Leopold einen Überblick über den nackten Mann „von 1800 bis heute“. Auch hier mit üppigem Rahmenprogramm und Themenführung etwa unter dem Titel „Wie sieht die Frau?“.
Bereits im Juli beklagte Elisabeth Raether in einer aufschlussreichen und sehr lesenswerten Geschichte im „ZEITmagazin“ den abwesenden Penis. „Bilder von echten, zeitgenössischen Penissen, aus Fleisch und Blut, nicht pornografisch, nicht abstrahiert, nicht medizinisch, solche Bilder sind schwer zu finden“, heißt es dort. Und weiter: „Es gibt keine Bilder von nackten Männern, auf denen Nacktheit etwas erzählt, ein Ausdruck ist von Intimität, von Verletzlichkeit oder von Schönheit.“ Auch die Wiener Stadtzeitung „Falter“ widmete dem Besten am Mann ein Titelthema: „Die letzte Erregung“. „Die männliche Sexualität wird seit der frühen Neuzeit aus dem Feld der Repräsentation ausgegrenzt“, zitiert Matthias Dusini darin die Kunsthistorikerin Daniela Hammer-Tugendhat. Und ergänzt selbst: „In der Aktmalerei ist die Hauptperson niemals dargestellt worden – der als Mann vorausgesetzte Betrachter vor dem Bild.“
Tatsächlich ist es ein Gemeinplatz, den zu wiederholen fast schon ermüdend ist: Die nackte Frau ist als Bildmotiv allgegenwärtig, den nackten Mann dagegen kriegt man im Regelfall nur im privaten Bereich, als Individuum zu sehen. Es gibt zwar keine Ausstellung mit dem Titel „Die nackte Frau“, zahlreiche Sammlungen großer Museen könnte man aber getrost unter diesem griffigen Titel zusammenfassen. Und auch in der alltäglichen, meist Werbezwecken dienenden Bilderflut ist ein attraktiver Frauenkörper immer gerne gesehen.
Die Frau, oder vielmehr ihr Körper, ist Objekt der Begierde. Der Mann ist das ihr gegenüberstehende Subjekt. Sein (schöpferischer) männlicher Blick weist ihr eine Position zu: als Angeschautes, als Bild. Vor dem Hintergrund dieser, nicht nur feministischen Kunsthistorikerinnen allzu bekannten Dichotomie ist es ein großer und vor allem wichtiger Schritt, männliche Nacktheit öffentlich und sichtbar zu machen. Als nackter Körper vor einem bekleideten Mann (man kennt diese Konstellation auch aus vielen Filmen: die Frau liegt bereits halbnackt auf dem Bett, der Mann könnte – vollständig bekleidet – noch jederzeit hinaus auf die Straße gehen) ist die Frau eindeutig die Unterlegene. Sie verkörpert die Schwäche, die jedem Körper innewohnt. Sie ist bloße Natur, während der Mann die Insignien der Zivilisation, des Geistes trägt: Sakko und Schlips. Oder eben Pinsel und Fotoapparat.
Die Verobjektivierung des männlichen Körpers, das (wenn man das so nennen darf) Öffentlichmachen des Penis wird Vor- und Nachteile haben. Durch allgegenwärtige Vergleichbarkeit beförderte Zweifel, entstehender Druck durch Körpernormierungen (bei Frauen zur Genüge bekannt in Form von Ess-Störungen, Schönheits-OPs, aber auch mangelndem Körpergefühl und Selbstwert) – das alles wird, je mehr der nackte männliche Körper öffentlich zugängliches Bildgut wird, auch zum Problem der Männer werden. Andererseits trägt die Demokratisierung der nackten Körper auf Dauer wohl auch zu einer Demokratisierung der Geschlechterbilder bei. Weil dann nicht mehr automatisch die Frau der schwache, aber schöne Körper sein muss. Und der Mann sich nicht mehr an der (ohnehin heillos idealisierten) Rolle des starken, aktiven Betrachters orientieren muss. Wenn wir in unserem kollektiven imaginären Fundus sowohl nackte Frauen als auch nackte Männer haben, betrachtet von bekleideten Männern und Frauen, verspricht das auf Dauer mehr Freiheit für alle.