Ein Kommentar von ULLI KOCH
Einerseits freue ich mich ja, wenn im Juni in Wien die Straßenbahnen mit Regenbogenfahnen geschmückt sind. Der Pride-Monat hat begonnen. Die Stadt macht Lebensrealitäten sichtbar, die sonst nur durch fragwürdige Ampelpärchen repräsentiert werden. Ich habe das Gefühl, plötzlich in meiner Lebensrealität ein Stückchen mehr wahrgenommen zu werden. Andererseits ärgere ich mich, wenn im Juni in Wien die Straßenbahnen mit Regenbogenfahnen bestückt sind. Warum sind sie nicht das ganze Jahr dort? Warum können nicht auch in den restlichen elf Monaten überall Regenbogenfahnen hängen?
Einerseits freue ich mich, dass in diesem Monat so viel Awareness-Arbeit geleistet wird und ich die Möglichkeit habe, Workshops und Führungen zu besuchen, die mir die Geschichte_n von Lesben und Schwulen näherbringen. Die mich über so wichtige Themen wie Gesundheit und Berufsleben als schwule, lesbische oder bisexuelle Person informieren. Andererseits ärgere ich mich, dass sie nur in diesem Monat stattfinden und ich nur in diesem Monat aus einer durchaus breiten Angebotspalette wählen kann, aus der ich Empowerment und Argumente für meine alltägliche Lebensrealität und jene, für die ich gerne Ally sein möchte, gewinnen kann.
Einerseits freue ich mich ja, dass am Rathausplatz in Wien ein Pride Village aufgebaut ist. Ein Ort im Freien, an dem ich Menschen treffen, mich informieren und Menschen auf der Bühne lauschen kann, die für mich mehr oder weniger relevante Sachen zu sagen haben. Andererseits ärgere ich mich, dass es am Rathausplatz in Wien ein Pride Village gibt. Einen Ort des Konsums, an dem ich mich durch eine saufende Masse schieben muss, inhaltsleere Parteiwerbung in die Hand gedrückt bekomme und die Menschen auf der Bühne wegen des Trubels akustisch nicht verstehe. Mit Workshops und Diskussionen, deren Zeit zu knapp bemessen ist und die es nicht ermöglichen, in die Tiefe zu gehen und Verbündete für politische Aktionen zu finden.
Einerseits freue ich mich ja, dass in diesem Pride Village seit 2017 ein Frauen*Lesben*Feminist*innen-Zelt eingerichtet ist. Hier kann ich mich mit interessanten Frauen* vernetzen, mich über ihre Arbeit informieren und so etwas wie einen Safer Space genießen. Auch freue ich mich, die an.schläge dort zu vertreten und Menschen unsere Arbeit näherzubringen. Andererseits frage ich mich, warum es in diesem Pride Village erst seit 2017 ein Frauen*Lesben*Feminist*innen-Zelt gibt. Hier muss ich mich mit interessanten Frauen* in ein kleines Zelt quetschen, um zu versuchen, so etwas wie gesellschaftspolitische Diskussionen anzuzetteln und einen Safer Space für jene zu generieren, die sich von der Konsumwelt draußen genauso wenig angesprochen fühlen wie ich. Um zu diskutieren, warum Trans*, Inter* und Non Binary mal wieder nicht so präsent vertreten sind. Und warum findet überhaupt nur in diesem Zelt ein so breites, gesellschaftspolitisches Diskussionsangebot statt?
Einerseits freue ich mich ja, dass ich jedes Jahr an der Regenbogenparade teilnehmen kann. Ich erlebe hier Momente der Solidarität, des Feierns, der Freude, des Austauschs und der ganz großen Sichtbarkeit. Ich sehe Menschen, die teilweise zum ersten Mal an so einer Parade teilnehmen können, und welche Gefühle das in ihnen auslöst. Andererseits ärgere ich mich, dass ich jedes Jahr wieder zur Regenbogenparade gehe. Ich erlebe hier Momente des Konsumterrors, der Ausgrenzung, des Feierns während der Schweigeminute und des ganz großen Angeglotztwerdens. Ich sehe Menschen, die den politischen Hintergrund dieser Parade scheinbar vergessen haben.
Einerseits freue ich mich, dass jedes Jahr im Juni der Pride-Monat gefeiert wird. Andererseits müssen wir an dessen politischer Ausrichtung jedes Jahr aufs Neue arbeiten. Vor allem angesichts dessen, dass genau in diesem Monat auch die Männerfußball-WM in zwei Ländern über die Bühne geht, in denen Privilegien wie Fahnen, Workshops, Bühnen, Zelte und Paraden mit LGBTI-Kontext schlichtweg lebensgefährlich sind.