Ein Kommentar von FIONA SARA SCHMIDT
„Sind alle Männer Tiere?“, fragte das Nachrichtenmagazin „Profil“ neulich auf dem Titel und versprach eine Reflexion „über die Grenze von Kompliment und sexueller Belästigung“. Diese Grenze ist in Wahrheit nur in den seltensten Fällen unscharf. Es sind vor allem mächtige Männer, die sich daran berauschen, diese Grenze zu überschreiten und dafür keine Konsequenzen befürchten zu müssen. Der dazugehörige Artikel fasst lesenswert Positionen und Analysen zusammen, die an.schläge-Leser_innen vermutlich bekannt sind. Dass es bei #metoo (siehe hier) nicht um sogenannte Sexskandale oder „Sex im Job“ (so ein Aufmacher des Boulevardblatts „Österreich“) geht, sollten eigentlich auch die Mainstream-Medien längst verstanden haben. Doch es braucht offenbar auch in Qualitätsmedien nach wie vor solche Überschriften, um ein so unsexy Thema wie Gewalt gegen Frauen zu verkaufen.
#aufschrei hat nachhaltig dazu beigetragen, uns allen die Augen zu öffnen und jene zu empowern, die Sexismus und sexualisierte Gewalt erfahren haben (also alle Frauen*). Allerorts wird nun erneut kritisiert, dass #metoo zu vieles in einen Topf werfe und damit relativiere. Doch die seit Wochen anhaltende Debatte hat den Hashtag inzwischen überholt, er war nur die Initialzündung für eine längst überfällige internationale gesellschaftliche Auseinandersetzung.
Es knirscht hörbar im Gebälk der heimischen Medienhäuser, manche der Zeilen hätten sich die Herren auch schenken können: „Falter“-Herausgeber Armin Thurnher konnte sich kürzlich erstmals zu einem Binnen-I durchringen, als er die Niederlage der Grünen bei der Nationalratswahl mit ihrem „gendergetriebenen WapplerInnentum“ begründete. Seine Redaktion wurde übrigens 2017 mit dem Medienlöwen für die feministische Kampagne „Uns reicht’s“ gegen Gewalt im Netz ausgezeichnet. Aber vielleicht verstehen wir humorlosen Kampfemanzen auch einfach nur den selbstironischen Witz nicht, der sich hinter all dem Schimpfen gegen „linksgrüne Social Justice Warriors“ (O-Ton Thurnher) verbirgt.
Der Regisseur Volker Schlöndorff verteidigt den ebenfalls mit Belästigungsvorwürfen konfrontierten Dustin Hoffman in der „Zeit“ als „Kantinenclown“, und „Krone“-Kolumnist Michael Jeannée berichtete – was für ein witziger Zufall –, einst genau wie Hoffman eine minderjährige Sekretärin zu Fußmassagen gedrängt zu haben.
Peter Pilz (und viele andere) können sich an übergriffiges Verhalten nicht mehr erinnern, aber wenn es Zeug_innen gibt, wird es schon stimmen, sorry (und baba). Auch wir Feministinnen relativierten und schwiegen bislang zu oft, sei es aus falsch verstandener Solidarität oder aus Selbstschutz, um das eigene Wunschbild von uns und den Menschen, mit denen wir uns umgeben, zu bestätigen. Sexismus und sexualisierte Gewalt sind nicht nur Sache eines Trump oder Strauss-Kahn: Der Typ aus dem Urlaub, mit dem man getanzt und geknutscht hat. Der linke Politiker, den man gewählt hat. Der Schauspieler, der in der Lieblingsserie mitspielt. Der kluge Journalist, mit dem man so angeregt diskutiert hat. Der Chef, von dem man sich eine Beförderung wünscht. Der Bruder der Freundin beim Geburtstagsessen, der langjährige Vereinsvorsitzende. Auf blöde Sprüche folgt im Alltag gerne ein „Darf ich so was denn überhaupt noch zu einer Feministin wie dir sagen (kicher)“, um dann im Nachhinein darüber zu verzweifeln, nicht angemessen reagiert zu haben. Doch verzweifeln hilft nicht, es erfordert solidarische Reaktionen gegen Sexismus, für uns selbst und andere, die sich in der Situation nicht wehren können. Männer, die sich gegenseitig deutlich machen, wenn ein Spruch daneben ist – auch wenn keine Frau dabei ist. Nicht, weil sie fürchten, dass es nicht „politisch korrekt“ ist oder Konflikte mit weiblichen Kolleginnen nach sich ziehen könnte, sondern weil sie es selbst nicht in Ordnung finden. Weil sie mit emanzipierten Müttern aufgewachsen sind, weil sie in Mainstream-Serien mit den Protagonistinnen geheult haben, weil sie ihren Freundinnen zugehört haben. Wir werden uns eines Tages wundern, was damals vor 2017 noch alles möglich war.