Ein Kommentar von LEA SUSEMICHEL
Ich will mitmachen, dachte ich spontan. Die Tageszeitung „Der Standard“ hatte „zur größten Diskussion des Landes“ aufgerufen und politisch Andersdenkende paarweise zum persönlichen Streitgespräch geladen. Anlass war eine internationale Aktion gewesen, zu der auch „Deutschland spricht“ gehörte, wofür gleich eine ganze Reihe deutscher Medien mobilisiert hatte. Anhand eines Fragenkatalogs zu Aufreger-Themen (Feminismus, Islam, Rauchen …) wurden möglichst kontroverse Diskussionspaare zusammengeführt, die sich diesen Herbst trafen, um im Vieraugengespräch miteinander zu debattieren und danach über ihre Erfahrungen und Erkenntnisse zu berichten. Viele Tausende machten mit und berichteten später oft von guten Gesprächen, berührenden Begegnungen und unerwarteten Gemeinsamkeiten.
Ich jedoch habe schlussendlich doch gekniffen und mich nicht angemeldet – eine Entscheidung, die offenbar viele Frauen getroffen haben. Das Geschlechterverhältnis der Teilnehmenden in Deutschland und Österreich war fast identisch unausgewogen: 68,3 Prozent Männern (68,6 Prozent in Österreich) standen nur 29,9 Prozent Frauen (29,6 Prozent in Österreich) gegenüber.
Vermutlich liegt das nicht allein daran, dass Frauen darauf konditioniert sind, nicht offensiv in Meinungsverschiedenheiten zu gehen und eher vermittelnd als kämpferisch aufzutreten. Dass sie solch einer „Feindbegegnung“ keinen Samstagnachmittag opfern wollen, dürfte auch damit zu tun haben, dass unerquickliche Diskussionen mit dem sexistischen AfD/FPÖ-Onkel, der neuerdings die Frauenrechte entdeckt hat, ohnehin zu ihrem Alltag gehören. Und die Verweigerung einer Auseinandersetzung, bei der ein stumpf antifeministisches Gegenüber menschenverachtende Dinge sagt, sollte in Analogie zur Erkenntnis „Faschismus ist keine Meinung“ wohl legitim sein. Genauso wie sich von Rassismus und Homofeindlichkeit Betroffenen nicht vorwerfen lässt, dass sie sich nicht mit irgendwelchen Arschlöchern zusammensetzen und von ihnen beleidigen lassen wollen.
Häufig krankt die Anklage der viel beschworenen „Meinungskriege“, die durch respektvollen Dialog auf Augenhöhe überwunden werden sollen, nämlich daran, dass dabei linke und rechte Positionen dreist gleichgesetzt werden. Mag sein, dass es sture Selbstgerechtigkeit auf beiden Seite gibt. Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen – das tun jedoch nur die Rechten. Und diesen feinen moralischen Unterschied sollte man tunlichst nicht unter den Tisch fallen lassen, wenn man daran etwas ändern will. Mitunter ist es deshalb die bessere Strategie, Dialog zu verweigern, statt ihn zu suchen. Denn einen bestimmten Bevölkerungsanteil, der ein geschlossen rechtsextremes Weltbild vertritt, gibt es leider einfach. Diese, in Sozialen Medien höchst aktive und diskursbestimmende, Gruppe lässt sich argumentativ nicht erreichen. Die einzig sinnvolle Entgegnung ist die Ächtung und konsequente Skandalisierung ihrer Geisteshaltung, damit sie sich nicht weiter verbreitet.
Doch daneben gibt es natürlich auch RechtswählerInnen, die zugänglich bleiben. Angesichts der globalen politischen Weltuntergangsstimmung ist der Aufruf, sich aktiv in politische Überzeugungsarbeit zu stürzen, durchaus plausibel. Es sollten deshalb möglichst auch FeministInnen offensiver in die Auseinandersetzung gehen. Auch wenn das, was wir anzubieten haben, auf den ersten Blick nicht so attraktiv ist wie die Aussicht auf eine grenzgeschützte EU als Gated Community der Privilegierten. Denn vielleicht führt Geschlechtergleichstellung irgendwann tatsächlich einmal dazu, dass mir persönlich eine Frau den Job wegschnappt oder ich mir durch Vaterkarenz eine Karrieremöglichkeit vermassele. Womöglich verlangt mir eine echte Refugee-Welcome-Politik wirklich Opfer ab, beschert mir Steuergerechtigkeit höhere Abgaben und bringt mich ernstgemeinter Klimaschutz zukünftig um billige Flugreisen. Doch Gesellschaften mit großer (Geschlechter-)Gleichheit sind langfristig dennoch fraglos für alle besser und auch der Kampf für globale Gerechtigkeit und Klimaschutz ist schlicht alternativlos, wenn wir den apokalyptischen Kollaps verhindern wollen.
Wir sollten also unbedingt an der diskursiven Strahlkraft unserer Visionen feilen, an unseren Geschichten und politischen Narrativen, um sie attraktiver zu machen. Die besseren Argumente haben wir jetzt schon. Kneifen wir also nicht, bringen wir sie vor, wo wir nur können.