Die Popjournalistin Tine Plesch trat stets gegen die männerdominierte Musikszene und den „als Sexyness getarnten Sexismus“ auf. „Rebel Girl“ bündelt ihre zentralen Texte. Von PHILIPPA SCHINDLER
„Zack: Kam der blöde Tod.“ Im November 2004 starb Tine Plesch unerwartet an den Folgen eines septischen Schocks. Mit ihrem Tod ging dem Popjournalismus eine scharfsinnige Stimme verloren. Angetrieben von der Frage, wie sich Frauen – ob als Produzentinnen oder Konsumentinnen – hier verorten können, definierte Tine Plesch die Koordinaten der Poplandschaft neu, unter anderem als Moderatorin beim Nürnberger Freien Radio „Z“, als Journalistin und als Mitherausgeberin des popkritischen Magazins „testcard“. Ihren Beiträgen ist es mit zu verdanken, dass Gender kein weißer Fleck mehr in linksalternativen Medien ist. In „Rebel Girl. Popkultur und Feminismus“ erscheint eine Auswahl von Tine Pleschs Artikeln nun endlich in gebündelter Form. Herausgekommen ist eine Textsammlung, die ihre Wege noch einmal geht – und dabei viel Neues entdeckt.
Vorfahrtsstraßen. Popkultur, das war immer schon ein Spiegelbild gesellschaftlicher Zustände, war Tine Plesch überzeugt. Unabänderlich sind die Produktionsweisen der Popindustrie in das patriarchal-kapitalistische Gesellschaftssystem eingebunden. Und was am Ende rauskommt, ist in den allermeisten Fällen männlich codiert.
Tine Plesch thematisiert diese Schräglage: Ihrer Ansicht nach können Frauen nur dann im Popbusiness erfolgreich sein, wenn sie mit den Regeln einer normierten Weiblichkeit konform gehen. Ob Madonna, Britney Spears oder Christina Aguilera – den Chartmusikerinnen ist gemeinsam, dass sie „in halbvergessen geglaubten Sex-Objekt-Posen“ den heteronormativen, männlichen Voyeurismus bedienen. An der Männerdominanz der Musikszene ändert dann auch die Genre-Bezeichnung „Frauenband“ wenig, mit der explizit auf die Existenz weiblicher Künstlerinnen aufmerksam gemacht werden soll. Denn da sitzen Frauen, so Tine Plesch, „ungefragt und mit den besten Absichten versehen mal wieder am Katzentisch“.
Seitenstraßen. Auch die Indie-Musikszene macht es sich mit der Haltung bequem, dass es, solange es den Kapitalismus gibt, eben auch zwangsläufig die Unterdrückung der Frauen gebe. Selbst die als politisch korrekt gefeierten Subkulturszenen, wie Hardcore oder Straight Edge, entpuppen sich bei genauerer Betrachtung als vornehmlich weiße Männerwelt.
Diese Kluft zwischen politischem Anspruch und gelebter Realität kritisiert Tine Plesch in vielen ihrer Texte. Sie deutet aber auch auf Verschiebungen – nicht nur im Pop – hin und zeigt auf, dass sexistische Zustände bereits von vielen Künstler_innen angegriffen werden. Mit Witz und Ironie, so analysiert Plesch, machen sich Popsong-Lyrics über die alte Rollenverteilung lustig: „Für ’ne Frau gut“, singt etwa die Punkband Hans-A-Plast, und als „Pärchenlüge“ bezeichnen die Lassie Singers das heterosexuelle Konzept der Zweierbeziehung. Zum Schreien komisch sind diese Artikel, in denen die schlagfertige Tine Plesch zeigt: Kritik muss nicht immer humorlos sein.
Plesch wendet sich auch so sensiblen Themen wie zum Beispiel Gewalt gegen Frauen in Popsongs zu. Stinksauer nimmt sie dann die Texte deutscher Rapper auseinander und deklariert affirmative Plattenbesprechungen einmal mehr als Ergebnis eines verkommerzialisierten (männlichen) Popjournalismus.
Ausfahrten. „Ich will, dass erstmal die Frauen sprechen“, schreibt Tine Plesch. Ihrer Meinung nach muss es mehr Schriftstellerinnen, Journalistinnen, Musikerinnen geben – schlichtweg mehr Frauen, die sich trauen, den Pop für sich mitzugestalten. Ermutigendes Beispiel ist die Autorin Dorothy Parker, deren Werke zwar in keinem literarischen Kanon auftauchen, die aber den US-amerikanischen Männerverein um Hemingway und Fitzgerald mit ihrem spitzzüngigen Humor ganz schön aufgemischt hat. Auch die auf der Riot-Grrrl-Action-Philosophie basierende Idee der Ladyfeste verteidigt Tine Plesch als eine sinnvolle Art der Selbstermächtigung.
„Rebel Girl“ holt ins Bewusstsein, dass es – trotz Einheitsbrei und Kommerzialität – „das Rebellische im Pop“ noch immer gibt. Dass wir nicht den Kopf in den Sand stecken dürfen, sondern weitermachen müssen, ganz gleich welchen Geschlechts. In diesem Sinne appelliert Tine Plesch im letzten Satz von „Rebel Girl“: „Dranbleiben.“
Tine Plesch: Rebel Girl. Popkultur und Feminismus. Editiert von Evi Herzing, Hans Plesch und Jonas Engelmann
Ventil Verlag 2013, 15,40 Euro