Viktoria Schnaderbeck wird nicht nur von queeren Nachwuchs-Fußballerinnen verehrt. Die Ex-Kapitänin des Österreichischen Nationalteams hat mit Clara Gallistl über die Zukunft des Fußballs, lesbische Sichtbarkeit im Sport und Frauen im ÖFB gesprochen.
„Ich will mich jetzt nicht in einen konservativen Haufen hineinziehen lassen“, sagt Viktoria Schnaderbeck. Erst vor Kurzem hat die ehemalige Kapitänin des österreichischen Fußball-Nationalteams das Ende ihrer Spielerinnenkarriere bekanntgeben und ist aus London zurück nach Österreich gezogen. Schnaderbeck hat es sich mit einem Cappuccino am Esstisch gemütlich gemacht, während ihre Verlobte Anna Markhus im Home-Office arbeitet und ihr Vater draußen den Rasen mäht.
Viktoria Schnaderbeck genießt ihre neue Unabhängigkeit, das spürt man sofort. Die Abwehrspielerin gehört zu jener Generation Profis, die den Frauen-Fußball in Österreich erfolgreich gemacht haben. Das Erreichen des Halbfinales bei der EM 2017 löste einen Hype aus, der dem Team um Trainerin Irene Fuhrmann bei der diesjährigen EM in England Rückenwind verschaffte. Nun steht die Qualifikation zur WM 2023 an.
Nach elf Jahren bei Bayern München und weiteren vier bei Arsenal London und Tottenham Hotspurs kennt Schnaderbeck den Druck und die Geschwindigkeit der deutschen und englischen Liga.
an.schläge: Wie würdest du das Kräfteverhältnis der europäischen Ligen beschreiben?
Viktoria Schnaderbeck: Die englische Liga ist sicher am attraktivsten. Zuschauermäßig wird sich da sehr viel tun nach der EM. Spielerisch haben Frankreich und Spanien vermutlich die besten Teams. Italien zieht nach. Deutschland und England haben die besten ausgeglichenen Ligen.
Welche Rolle spielt die österreichische Liga in Europa?
St. Pölten ist mit Abstand die beste Mannschaft. Sie haben sich in der Champions League etabliert. Dann ist das Gefälle relativ groß. Einzelne Mannschaften ziehen jetzt nach. Es ist schade, dass das so langsam geht. Wenn große Clubs wie Salzburg oder Rapid in die Liga einsteigen, ist das gut, weil diese Clubs eine bessere Infrastruktur und ein größeres Budget haben.
Der Austragungsort der beiden letzten Heimspiele des Nationalteams wurde international kritisiert. In Sport am Sonntag drückten Fans, Spielerinnen und sogar die englische Teamchefin ihre Enttäuschung darüber aus, dass in Wiener Neustadt gespielt wurde. Eine Frage der Wertschätzung?
Die Entscheidung über den Spielort beruht eher auf Vorurteilen als auf Fakten. Man wusste schon früh, dass das Spiel gegen England ein richtig cooles Spiel wird. Die Entscheidung zeigt mir, dass man nicht daran glaubt, dass die Frauen ein Stadion vollkriegen, dass wir ein attraktives Spiel leisten. Warum glaubt man, dass nicht 20.000 Leute ins Stadion kommen? Das basiert auf keinen Fakten und zeigt eine klare Haltung. Mit so einem Denken wirst du nie Veränderung erzielen.
Wie fühlt es sich an, wenn ÖFB-Sportdirektor Peter Schöttel sagt: „Wir schauen uns das einmal an?“
Wie viel Entwicklung muss denn noch passieren, damit wir in ein großes Stadion dürfen? Müssen wir zuerst Weltmeisterinnen werden? Bei so einer Aussage ist die unterschwellige Botschaft klar. Ich habe ein gutes Verhältnis zu Peter Schöttel und Bernhard Neuhold (Geschäftsführer ÖFB, Anm.). Da sind solche Entscheidungen schon enttäuschend. In der ganzen Mannschaft herrscht ein Gefühl der Frustration und Ärger. Man fühlt sich auch hilflos, weil man wenig Einfluss hat.
Die neue Kapitänin Carina Wenninger sagt, der Wunsch auf ein größeres, besser gelegenes Stadion wurde seitens der Mannschaft an den ÖFB herangetragen. Wie kann man sich die Kommunikation im ÖFB vorstellen? Hast du dich als Kapitänin mit David Alaba und Marko Arnautovic ausgetauscht, wenn es um den ÖFB ging? Wie eng ist die Zusammenarbeit des Nationalteams mit dem Männerteam?
In unseren Prämienverhandlungen waren wir aktiv im Austausch. Die Männer haben sich committed, zugunsten unserer Prämien auf einen Teil ihrer Mediengelder zu verzichten. Die Wege sind nicht lang und auch sehr persönlich. Es hat den Wunsch gegeben, marketingmäßig mehr gemeinsam zu machen, auch um das Eis zu brechen. Das ist aber nicht zustande gekommen, wäre aber natürlich super. Als Zeichen der Solidarität muss jetzt der nächste Schritt kommen. Der Druck für die Verantwortlichen ist ziemlich groß.
Durch Spielerinnen wie dich wird Queerness im Sport sichtbarer. Darüber freuen sich vor allem junge, lesbische Spielerinnen. Du wirst von manchen sogar als „Queer Icon“ bezeichnet.
Das freut mich natürlich sehr. Selber würde ich mich nie als „Icon“ bezeichnen, aber es freut mich, wenn sich junge Spielerinnen durch mich bestärkt fühlen.
Wie wichtig ist lesbische Sichtbarkeit im Profi-Fußball?
Erstens ist es wichtig, dass man sich selbst wohlfühlt. Als ich noch jung war, habe ich gemerkt, dass ich mich zu Frauen hingezogen fühle. Ich habe das aber lange nicht akzeptieren können. Es ist wichtig, dass man zu sich selbst steht. Das Zweite ist dann, wie man damit umgeht. Die einen sagen, ich möchte das nicht nach außen tragen. Die anderen sagen, ich möchte gerne ein Zeichen setzen. In meinem Fall ist das so und ich kenne auch viele Spielerinnen aus anderen Nationen, die sehr aktiv sind, was die Community betrifft.
Wie wirkt sich Homophobie auf Spieler:innen aus?
Das kann extrem hemmen. Wenn du vom Fußball oder von Daheim mitkriegst: Schwulsein ist schlecht, Anderssein ist schlecht, dann fühlt man sich als Versager und Außenseiter. Das hemmt die Entwicklung im Fußball, aber auch in anderen Bereichen.
Im Männerfußball ist Homophobie leider verbreitet. Ist das im Frauenfußball anders?
Es gibt tatsächlich sehr wenig. Die Fankultur ist im Frauenfußball anders. Die Geschichte der Hooligans gehört zu einer bestimmten Gruppe Menschen. Bei uns geht es immer um die Sache: den Fußball.
Ein Gedankenexperiment: Wenn bei deinem Heimatverein die eigenen Fans ein homophobes Spruchband hochziehen würden: Wie würdest du als Kapitänin reagieren?
Ich würde es melden, handeln und fordern, dass der Verein etwas unternimmt. Ich würde es in der Mannschaft ansprechen und eine Sportpsychologin dazu holen. Man muss sich als Verein klare Maßnahmen überlegen. So etwas darf nie toleriert werden.
Zurück zum österreichischen Fußball: Welches Potenzial ist durch die herausragende Leistung des Nationalteams entstanden?
Es gibt das Potenzial, aber es braucht Leute, die voll daran glauben. Nur eine Frauenmannschaft zu machen, reicht nicht. Das Schöne wäre, dass du nicht nur für den Sport etwas leisten, sondern auch gesellschaftlich ein Zeichen setzen kannst.
Für welches Jahr ist Equal Pay im Nationalteam realistisch?
Ich glaube, wenn es möglich ist, dann in den nächsten fünf Jahren. Unsere Erfolge sind derzeit konstant besser als die der Männer.
Rapid hat beschlossen, 2023 ein Frauenteam zu etablieren. Als Fan muss ich jetzt nochmal fragen: Welche Rolle könnte Rapid in der Bundesliga einnehmen?
Je mehr Mannschaften auf hohem Niveau in Österreich spielen, desto besser. Vereine wie Rapid und Salzburg haben eine etablierte Fankultur, stabile Strukturen, Partner. Für so jemanden ist es immer leichter, Frauen zu inkludieren. Wenn Austria gegen Rapid spielt, würde das viele Fans anziehen. Aus London weiß ich, dass Fans dann ins Stadion gehen, weil sie Arsenal-Fans sind, und nicht, weil sie Arsenal-Frauen-Fans sind. Da geht es um die Ehre.
LASK-Trainer Didi Kühbauer ist kürzlich mit einem frauenverachtenden Sager aufgefallen. 90minuten-Chefredakteur Georg Sander stellt einen Zusammenhang zwischen der machistischen Grundhaltung des Männerfußballs und der stagnierenden Anzahl der Kickerinnen in Österreich her. Siehst du das auch so?
Es hat nicht nur Einfluss auf die Spielerinnen, sondern auch auf die Fans. Die denken sich: Er hat recht, Mädchen sind so. Das wird dann gestreut in der Familie und im Freundeskreis. Die Trainer sehen ihre Verantwortung oft nicht.
Was muss sich am Männerfußball verändern?
Das System ist sehr korrupt. Es geht um Macht und Geld. Die Frage ist, ob die Fans hier weiter mitgehen wollen. Es braucht Leute, die ihre Verantwortung über den Fußball hinaus wahrnehmen. •
Clara Gallistl ist Strategin für Community Building und war zuletzt als Referentin im Staatssekretariat für Kunst und Kultur (BMKÖS) tätig. Privat setzt sie sich als Vorstandsmitglied der Queer Football Fans Österreich für Gleichstellung im Fußball ein. Der von ihr initiierte Mitgliederantrag zur Einsetzung eines SK Rapid Frauenteams erreichte bei den Rapid Mitgliedern 95% Zustimmung. Ab 2023 werden Frauen in Rapid-Trikots auflaufen.