Die Zeit, die Folgen der Klimakrise zu bremsen, wird immer knapper, politisch gibt es aktuell mehr Rückschläge als Erfolge. Wie kann eine Klimabewegung die Wende schaffen? Lea Susemichel und Brigitte Theißl haben bei Aktivistin Lena Schilling nachgefragt.
an.schläge: Deutschland hat mit der Unterstützung Österreichs in letzter Minute das umfassende Aus für den Verbrennungsmotor verhindert und will auch auf E-Fuels setzen. Wie schwer ist dieser Rückschlag?
Lena Schilling: Die klimaschädliche Verkehrspolitik ist ein Mitgrund dafür, warum wir die Klimaziele nicht erreichen werden. Der Verkehr ist in Österreich der Sektor, in dem die Emissionen in den letzten dreißig Jahren am stärksten angestiegen sind. Jedes Jahr haben wir einen Höchststand an neu zugelassen Autos in Österreich, und das liegt nicht an der Unwilligkeit von Menschen, zur Lösung der Klimakrise beizutragen, sondern an politischen Entscheidungen. Zwischen 2000 und 2020 wurden 500 Kilometer an Schienen abgebaut und über 300 Kilometer Autobahnen zugebaut. Wenn Nehammer sagt, Österreich sei ein Autoland, dann nur, weil die ÖVP es dazu gemacht hat.
Wo sehen Sie angesichts solcher Rückschläge die zentralen Herausforderungen? Welche politischen Forderungen sollten klimapolitisch aktuell im Vordergrund stehen?
Solche Rückschläge dürfen nicht hingenommen werden! Wir müssen die Politiker*innen zur Verantwortung ziehen und öffentlich konfrontieren. Die Zeit des Appellierens ist vorbei! Ganz konkret gibt zwei Bereiche, in denen vorgestern schon notwendige Transformationen hätten passieren müssen, nämlich in der Frage der Mobilität und der Energie. Einerseits fehlen in Österreich dringend notwendige Gesetze wie das Klimaschutzgesetz und das Erneuerbare-Wärme-Gesetz, aber vor allem fehlt es an Transparenz darüber, wie unsere Klimaziele überhaupt eingehalten werden sollen. Wir hören seit Jahren schöne Worte und leere Versprechen, was fehlt, ist ein effektiver Plan.
Der politische Kampf um die Klimakrise ist vor allem auch ein Kommunikationskampf, in dem „die Klimakleber“ skandalisiert werden statt die Klimakatastrophe. Was lässt sich dem entgegensetzen? Geht es vor allem um gute PR und das richtige Framing, um politisch etwas bewirken zu können? Von den erschreckenden Fakten lassen sich viele offenbar nicht beeindrucken.
Wir brauchen Aktionen, die diejenigen, die tatsächlich an den Krisen schuld sind, adressieren. Wir haben das gerade aktuell bei der European Gas Conference gesehen. Es gibt Lobbyisten von fossilen Großkonzernen, die hinter verschlossenen Türen, also unter Ausschluss der Öffentlichkeit, über die Zukunft der Energieversorgung diskutieren. Während sie unsere Zukunft verscherbeln wollten, haben hunderte Aktivist*innen die OMV blockiert, demonstriert und sogar das Dinner der Lobbyisten gesprengt. Nur deshalb gab es überhaupt eine Debatte darüber. Framing und Kommunikation sind leider essentielle Tools, um in medialen Debatten überhaupt durchzukommen. Davon können die Scientists for Future vermutlich ein Lied singen. Wenn seit über dreißig Jahren Wissenschafter*innen warnen, rufen und appellieren, fehlt uns nicht das Wissen, sondern der politische Wille.
Die Letzte Generation hat sehr viel Medienaufmerksamkeit bekommen – aber auch sehr viel Häme und Aggression. Klimaaktivist*innen taugen Konservativen zum idealen Feindbild, während die großen Demos von Fridays for Future freundlichen Applaus erhielten. Sind die Strategien der Letzten Generation vielleicht sogar kontraproduktiv für die Bewegung?
Das lässt sich nicht so einfach sagen. Ziviler Ungehorsam war schon immer ein wichtiges Mittel, um gesellschaftliche Errungenschaften zu erkämpfen. Erinnern wir uns an die Suffragetten, die Bilder nicht nur mit Tomatensuppe beschüttet, sondern zerhackt haben. Ich finde, die Frage ist: Wer wird durch die Aktionen adressiert und gegen wen richten sie sich? Die Chef-Blockierer kleben sich an ihre Sitze im Nationalrat, in der WKO und in der Industriellenvereinigung – sie müssen wir konfrontieren. Wir müssen Politik für die Vielen machen, gegen die Wenigen, die vom fossilen System profitieren, und wir müssen dabei die Menschen mitnehmen.
Was muss guter Klimajournalismus leisten? Wie viel Alarmismus braucht es? Oder sollte er besser lösungsorientiert und mutmachend sein?
Wo es um eine Krise in diesem Ausmaß geht, ist auch Alarmismus angebracht. Aber nicht, um den Menschen Angst zu machen, sondern um politischen Druck zu erzeugen. Noch ist viel zu gewinnen, aber nur, wenn sich die gesellschaftlichen Verhältnisse so verändern, dass nicht mehr der Profit der Konzerne das Ziel ist, sondern eine lebenswerte Zukunft für alle.
Die Grünen sind sowohl in Österreich als auch Deutschland längst etablierte Parteien und in der Regierung – die klimapolitischen Maßnahmen werden von Klimaaktivist*innen häufig als viel zu vorsichtig kritisiert. Braucht es eine eigene Klimapartei?
Ich weiß nicht, ob eine Partei die Lösung der Klimafrage ist. Wir brauchen Mehrheiten in einer Demokratie und müssen um Verschiebungen der Meinungen kämpfen. Es waren Bewegungen, die ausschlaggebend waren für Errungenschaften wie den Acht-Stunden-Tag, bezahlten Urlaub oder sogar das Frauenwahlrecht.
Wie lassen sich aus Ihrer Sicht Klassenkämpfe und der Kampf gegen die Klimakatastrophe verbinden?
Die Klimakrise ist die soziale Frage unserer Zeit und damit auch die Frage eines Klassenkampfs. Die Reichsten tragen am meisten zur Klimakrise bei, während die Ärmsten am meisten unter der Krise leiden werden. Konkret haben wir bei der Energiekrise gesehen, was es heißt, wenn sich manche Menschen das Heizen nicht mehr leisten können. In Städten sind auch heute schon die dicht besiedelten Gebiete ohne genügend Grünflächen die Orte, an denen die Menschen am meisten unter Hitze leiden. Seit 2018 haben wir in Österreich mehr Hitzetote als Verkehrstote. Wer sich keine neue Dämmung der Wohnung oder eine Klimaanlage leisten kann, hat halt Pech gehabt. Deshalb müssen Umverteilung und Arbeitszeitverkürzung auch Forderungen der Klimabewegung sein. Aber vor allem müssen Erbschaftssteuern, Vermögenssteuern und Reichensteuern dazu genutzt werden, die ökosoziale Transformation auch zu finanzieren.
Auswirkungen des Klimawandels sind bereits spürbar und werden sich in den kommenden Jahrzehnten verstärken: Tun wir aktuell genug, um uns vor den unausweichlichen Folgen zu schützen?
Nein, das tun wir definitiv nicht. Wir werden unsere Klimaziele mit dem heutigen Kurs sicherlich nicht erreichen und steuern zur Zeit auf eine Welt mit drei bis vier Grad Erhitzung zu. Was das bedeutet, will ich mir gar nicht vorstellen. In aller Deutlichkeit wird das in einer humanitäre Katastrophe enden. Man kann das Gefühl bekommen, viele Politikerinnen richten gerade schon die Konten ein, um die Strafzahlungen wegen des Nichterfüllens der Klimaziele zu begleichen. Es gibt einen Klimagipfel nach dem anderen, aber Entscheidungsträger*innen auf der ganzen Welt sind nicht bereit zu tun, was notwendig wäre. •
Lena Schilling ist 22 Jahre alt, Klimaaktivistin, Sprecherin von LobauBleibt, Autorin und studiert Politikwissenschaften.