Wir haben zwei feministische Ökonominnen zu den Folgen der Teuerung befragt. Wie sollte eine solidarische Geldpolitik aussehen?
Die Teuerung wird weitreichende gesellschaftliche Folgen haben, ist Gabriele Michalitsch überzeugt. Lea Susemichel hat bei der Ökonomin und Politikwissenschafterin nachgefragt, warum ein Teuerungsausgleich den Falschen nutzt und welche Maßnahmen es stattdessen bräuchte.
an.schläge: Im Februar lag die Inflation in Österreich bei 10,9 Prozent, Lebensmittel haben sich enorm verteuert. Was sind die sozialen und politischen Folgen der Preissteigerungen?
Gabriele Michalitsch: Soziale Spaltungen vertiefen sich weiter und die Grundlagen von Demokratie werden weiter ausgehöhlt, wodurch sich autoritäre Tendenzen letztlich verstärken. Warum? Weil die Inflation bei Miete, Energie und Lebensmitteln besonders ausgeprägt ist, trifft sie die ärmeren Menschen deutlich stärker als die Reichen, die ja nur einen geringen Teil ihres Einkommens für das Lebensnotwendige ausgeben. Soziale Ungleichheit und Armut nehmen also zu, wie sich zum Beispiel auch an der stark gestiegenen Zahl von Privatkonkursen oder den enorm erhöhten Lebensmittelausgaben der Caritas zeigt. Wenn nicht mal mehr ein Mindestmaß an Gleichheit gegeben ist, wenn immer mehr Menschen sozial ausgeschlossen werden und damit auch an basalen politischen Prozessen nicht mehr teilhaben können, weil sie sich etwa keine Zeitung oder kein Internet mehr leisten können, dann schwindet die Demokratie. Allein die Bedrohung, sozial an den Rand gedrängt zu werden – und die geht weit in die sogenannte Mittelschicht hinein –, erzeugt Angst, Druck, Frustration, was wiederum leicht in Aggression mündet. Es führt zu Enttäuschung gegenüber einem System, in dem die Betroffenen scheinbar nicht zählen, und zu Gleichgültigkeit gegenüber Demokratie. Die politischen Kräfte, die diesen destruktiven Affekten ein Ventil bieten und etwa gegen Asylwerber*innen oder Muslim*innen oder welche Gruppe auch immer kanalisieren, werden Zulauf haben. Wir kennen solche Tendenzen seit langem, sie werden sich verstärken, radikalisieren und gegen das demokratische System wenden.
Wer profitiert von Inflation? Und welche geschlechtsspezifischen Aspekte gibt es?
Weil die Preiserhöhungen von vielen Unternehmen über ihren Kostensteigerungen liegen, profitieren natürlich etliche Unternehmen, ganz besonders Energieversorger. Denken Sie nur an den Verbund, der seinen Gewinn 2022 gegenüber dem Vorjahr auf rund 1,7 Milliarden verdoppelt hat. Es gibt Sonderdividenden für Aktionäre. Heuer soll der Gewinn sogar noch höher ausfallen. Trotz Übergewinnsteuer. Das liegt natürlich auch daran, dass die österreichische Variante der Besteuerung von Übergewinnen weit hinter der von den EU-Möglichkeiten zurückbleibt. Der gesamte Unternehmenssektor profitiert außerdem von den sinkenden Reallöhnen. Und nicht zuletzt werden Unternehmen mit etwa neun Milliarden gestützt. Ohne Gegenleistung werden damit Zuschüsse von bis zu vier Millionen Euro pro Unternehmen vergeben.
Die geschlechtsspezifischen Aspekte liegen darin, dass Frauen sehr wenig Kapital haben und folglich kaum etwas von gestiegenen Unternehmensprofiten. Im Gegenteil, Frauen sind oft Geringverdienerinnen und überproportional armutsgefährdet, besonders als Pensionistinnen. Damit trifft sie die Inflation aber stärker als Bezieher hoher Einkommen. Und als primär für den Haushalt Verantwortliche müssen sie die geringere Kaufkraft durch Anpassungen des Kaufverhaltens und mehr Eigenleistungen ausgleichen – also mehr unbezahlte Arbeit.
Sie kritisieren den Teuerungsausgleich. Warum?
Wie schon ausgeführt: Der „Teuerungsausgleich“ ist schlicht eine Subvention für Profite. Zwar stützen die diversen Ausgleichsmaßnahmen das unterste Einkommensdezil deutlich und begünstigen die unteren Einkommensgruppen insgesamt relativ stärker als die oberen, aber ist ein Teuerungsausgleich für das oberste Einkommensdrittel sozial notwendig und ökonomisch sinnvoll? Wie ist zu verstehen, dass Unternehmen zumindest partiell von der Teuerung profitieren und zugleich enorme finanzielle Unterstützung bekommen? Und am Ende bleibt die alles entscheidende Frage: Wer bezahlt? Den größten Teil, insgesamt etwa zwei Drittel der Bundessteuern zahlen die Beschäftigten über die Einkommensteuer und die Konsument*innen über die Umsatzsteuer, während die Unternehmen über die Körperschaftsteuer nur etwa zehn Prozent beitragen. Mit der schrittweisen Senkung der Körperschaftsteuer seit Jahresbeginn wird sich dieser Beitrag weiter verringern, sodass die Erwerbstätigen, aber letztlich auch Arbeitslose oder Pensionist*innen, nicht nur ihren eigenen Teuerungsausgleich, sondern auch den für Unternehmen bezahlen.
Warum sind Zinserhöhungen das falsche Mittel gegen die Inflation?
Zinserhöhungen verteuern Kredite. Damit drücken sie auf die Nachfrage. Zunächst kommen alle unter Druck, die Kredite mit flexiblem Zinssatz haben. Für Unternehmen verteuern sich Investitionen, also wird weniger investiert und das drückt weiter auf die Konjunktur. Wir haben folglich wie zuletzt in der Ölkrise der 1970er-Jahre Stagflation zu erwarten, also fehlendes Wirtschaftswachstum samt steigender Arbeitslosigkeit bei hohen Inflationsraten. Außerdem bringen die Zinserhöhungen Instabilität in den Finanzsektor, weil mit den steigenden Zinsen der Kurs der alten Anleihen fällt und das bedeutet Verluste für die Banken, die diese Anleihen in großer Zahl halten. Wir können das ja gerade beobachten, zuerst der Kollaps der Silicon Valley Bank und dann die Credit Suisse. Wie schon 2008 wird mit enormer – vorerst nur Schweizer – Staatshilfe eine als systemrelevant geltende Bank gerettet. Am Ende zahlen wieder die Steuerzahler*innen. Das nächste Problem besteht darin, dass die Staatsschulden teurer werden. Nun ist der öffentliche Schuldenstand im Zuge der Pandemie allgemein massiv gestiegen – und im Zuge der aktuellen Aufrüstung steigt er weiter. Ich fürchte also eine neue Welle radikaler Austeritätspolitik, die das Sozialsystem weiter schwächt, soziale Polarisierung verstärkt und schließlich auch Autoritarismus. Besonders hart wird es wohl wieder einmal für die ärmsten Länder, die die gestiegenen Zinsen nicht tragen können. Dann wird es sogenannte Rettungsprogramme des IWF geben, mit denen die Reste des öffentlichen Sektors zerstört werden. Es wird also wieder die Ärmsten der Armen besonders treffen.
Welche konkreten politischen Maßnahmen wären Ihrer Meinung nach am sinnvollsten, um die Preissteigerungen zu stoppen?
Preisobergrenzen für die Grundnahrungsmittel und Energie und Mietpreisdeckel. Die Energiepreise sind zwischenzeitlich wieder stark gesunken, aber abgesehen von einigen Appellen, die Vergünstigungen an die Verbraucher*innen weiterzugeben, geschieht nichts. Hier bräuchte es viel stärkere regulatorische Eingriffe. EU-weit wurde zum Beispiel gerade der Strommarkt re-reguliert, aber das fatale Merit-Order-Prinzip, nach dem der teuerste Anbieter den Preis bestimmt, wurde nicht angetastet. Die Regulation orientiert sich an den Interessen der jeweiligen Unternehmen, das müsste sich grundlegend ändern. Und selbstverständlich muss man auch die grundsätzliche Frage stellen, wie weit menschliche Existenzgrundlagen Gegenstand von Profit sein sollen, wie weit Energieversorgung oder Wohnraum sozialisiert werden muss. Es braucht insgesamt eine solidarische Politik, die sich am Leben ausrichtet. •