Walnuss-Eis, weibliches Kulturprekariat und Männermacht. ALEX. RIENER inszeniert MARLENE STREERUWITZ’ Roman „Jessica, 30.“ im Wiener Theater Drachengasse. LEA SUSEMICHEL traf Regisseurin und Autorin zum gemeinsamen Gespräch.
an.schläge: Alex. Riener, wie inszeniert man einen Roman, der nur aus Introspektion und innerem Monolog besteht?
Alex. Riener: Ich bin nicht alleine vom Roman ausgegangen, es gibt ja bereits eine dramatisierte Fassung. Eine reduzierte, auf wesentliche Motive beschränkte Bühnenversion, in der es aber eine zusätzliche Figur gibt. Allerdings bleibt es bei Monologen. Mein Zugang war, dass ich diese „Jessica, 30“ einerseits als konkrete Person, das heißt als Individuum gelesen habe. Andererseits wird dadurch, dass ihr Alter im Titel angegeben wird, auch auf eine Generation verwiesen, und die Figur trägt ganz viele Facetten dieser Generation in sich. Und diese unterschiedlichen Facetten werde ich dadurch zeigen, dass es nicht nur eine Darstellerin gibt, sondern ein ganzes Ensemble, das Jessica in unterschiedlichen Formen verkörpern wird. Insgesamt stehen 14 Frauen auf der Bühne – es gibt das elfköpfige Ensemble, zwei Besetzungen für Jessica und eine für Veronika.
Wer ist Veronika? Die Figur kommt im Roman nicht vor.
Marlene Streeruwitz: Die Mutter. Es war mir sehr wichtig, dass man einmal eine positive Mutter-Tochter-Beziehung in die Literatur einspeist.
Wie sieht die aus?
Streeruwitz: Freundlich. Good enough. Die Töchter werden ja generell über die Mütter ausgeschaltet, weil sie sich solange mit dieser Mutter-Tochter-Problematik beschäftigen müssen. Das ist gesellschaftlich vorgeschrieben und kommt nicht aus einer Innenschau dieser Beziehung. Und diese Beschäftigung kostet die Frauen sehr viel Kraft und Zeit. Das wird im Stück aufgelöst, indem es eine kleine Fürsorglichkeit und Freundlichkeit füreinander gibt.
Als Tochter würde ich sagen, dass sich das durchaus auch aus der Innenperspektive der Beziehung ergibt …
Streeruwitz: Das ist Ihre persönliche Erfahrung als Tochter. Sie müssen mir als Autorin schon zugestehen, dass ich das anders sehe.
Sie behaupten also, Mutter-Töchter-Konflikte würden als gesellschaftliches Problem konstruiert und pathologisiert, das jungen Frauen Ressourcen raubt und sie von Wichtigerem abhält?
Streeruwitz: Ja. Davon, zu sich selbst zu kommen. Es ist eine – etwa durch diverse Fernsehserien – hysterisierte Beziehung, die Töchter zu einer Auseinandersetzung zwingt, die reine Zeitverschwendung ist. Junge Frauen werden so buchstäblich im Haus gehalten. Sie können nicht richtig loslegen, was dann zu tausend Behinderungen führt. Die Dissertation wird dann doch nicht so schnell fertig etc. Es schränkt ihre Bewegungsfreiheit ein.
Auf die Beziehung von Müttern und Töchtern wird grundsätzlich nie positiv Bezug genommen. Im „Falter“, dieser Maturazeitung für kleine Buben, stand in einer Restaurantkritik, dass man in ein bestimmtes Lokal nicht mehr gehen könne, weil da die Mütter mit ihren Töchtern die Bude vollquatschen. Dürfen wir jetzt nicht einmal mehr öffentlich gemeinsam auftreten?
Warum haben Sie sich für das Stück „Jessica, 30“ entschieden, Alex. Riener? Weil es feministisch ist? Oder weil es exemplarisch prekäre, metropolitane Lebens- und Arbeitsverhältnisse im Neoliberalismus zeigt?
Riener: Für mich ist zunächst einmal der Rhythmus der Sprache zentral. Wenn ich mit dem Sprachduktus nichts anfangen kann, interessiert mich das Stück nicht, wie spannend es inhaltlich auch sein mag. Bei der Inszenierung in Graz 2005 wurde der Part der Veronika in einzelne Sequenzen geteilt. Ich lasse ihn als Gesamttext, weil ich denke, dass der Sprachfluss, der Rhythmus der Sprache nicht unterbrochen werden sollte.
Auf der inhaltlichen Ebene hat mich in erster Linie tatsächlich die prekäre Lebenssituation von Jessica interessiert, weil das ja auch etwas sehr Theaterimmanentes ist, wenn man sich beispielsweise die unbezahlten Hospitanzen im Theaterbetrieb ansieht.
Grundsätzlich gibt es bei mir immer einen ganz persönlichen, spezifischen Zugang. Aber ich denke, dass man nur etwas machen sollte, was auch mit einem selbst zu tun hat.
Sind Sie irgendwie in die Inszenierung eingebunden, Frau Streeruwitz?
Streeruwitz: Nein. Zumindest diese Mutterproblematik haben wir nicht. Das ist auch langweilig für beide Seiten.
Riener: Man muss sich von seinem Baby lösen können. Ich muss nach der Premiere auch loslassen und meinen Schauspielern vertrauen.
Streeruwitz: Mir ist schon wichtig, dass der Text ernst genommen wird. Das Vergnügen bei diesem Stück besteht ja darin, dem Text zu folgen. Aber darauf vertraue ich und das reicht mir.
Früher haben Sie mehr Theaterstücke als Romane geschrieben. Warum hat sich das geändert?
Streeruwitz: Erstens ist Prosa die größere Herausforderung. Zweitens sind Theaterstücke einfach expliziter feministisch. Und werden deshalb nicht genommen. Im Theater stellt sich durch die Konstellation der Figuren sofort heraus, dass ich es ernst meine mit dem Feminismus.
In einem Interview mit „Der Standard“ stellen Sie die These auf, dass die neoliberale Globalisierung auch Männer zunehmend in eine „weibliche Position“ drängt. Heißt das, dass Diskriminierung aufgrund des Geschlechts an Bedeutung verliert und stattdessen die soziale Zugehörigkeit entscheidender wird?
Streeruwitz: Geschlecht ist durch die Verwirtschaftlichung außer Kraft gesetzt. Geld ist das eigentliche Geschlecht. Die Frage ist nun, wie die Hegemonien ihre Besitzstandswahrung betreiben. Das muss man sich allerdings immer für den jeweiligen Kontext ansehen, das ist beispielsweise in Deutschland anders als in Österreich. In Wien gibt es die vollkommene Außerkraftsetzung. Das ist an der Bundesheer-Diskussion ganz wunderbar zu sehen, da gibt es überhaupt kein Männlichkeitskonstrukt, das gerettet werden muss, es steht alles zur Disposition. Männer haben keine Pflichten mehr, die sich aus ihrer Männlichkeit ergeben, während den Frauen immer noch gesagt wird, wie sie zum Beispiel ihre Kinder erziehen sollen. Männlichkeiten bröseln zunehmend weg. Männer folgen nur noch Konventionen, je nachdem welcher Elite sie angehören oder nicht angehören. Das ist etwas sehr Hohles und Gespenstisches. Ich hätte fast Lust, über solche Figuren ein Theaterstück zu schreiben. Die Auseinandersetzungen und Diskussionen widmen sich nur den Frauen, aber nicht den Männern und ihren Entwürfen bzw. Nicht-Entwürfen. Deshalb bleiben auch die „rekonstruierten“ Männer – es gibt ja auch nette Männer – komisch und seltsam unbestimmt. Sie müssen ja in dieser Wiener Gesellschaft irgendwie weiter existieren. Man muss sich zum Beispiel nur anschauen, wie verschämt Männer immer noch gestehen, dass sie in Karenz sind.
Auf Ihrer Homepage sagen Sie, dass der 8. März 2011 ein Tag der Wut und der Trauer für Sie ist. Gibt es anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Frauentags wirklich überhaupt keinen Grund zu feiern?
Streeruwitz: Wir haben es hier schon nicht gut, aber wir haben es nicht schrecklich. Doch global gesehen, angesichts der gesamten Gewaltsituation, in der Frauen sich befinden, gibt es keinen Grund zu hüpfen. Es ist schwierig, eine Balance zu finden, die aushaltbar ist. In der wir diese globale Gesamtsituation nicht vergessen, nicht hochmütig werden, in der wir aber trotzdem die eigene Situation vorantreiben und uns hier durchkämpfen. Ich würde lieber gegen Gewalt demonstrieren als ein Fest feiern.
Ist „Jessica, 30.“ für Sie ein feministisches Stück? Nicht unbedingt in dem Sinne, dass Jessica eine feministische Figur ist, sondern dass es der Blick auf sie ist?
Riener: Der Blick auf sie ist es auf jeden Fall. Für mich ist das Stück dennoch nicht vordergründig feministisch. Aber ich sehe das durchaus positiv, das macht für mich gerade die Kraft des Textes aus. Er beschäftigt sich mit Frauen, aber in die Situation von Jessica könnte durchaus auch ein Mann geraten …
Streeruwitz: Aber er würde nicht mit einem Politiker im Bett landen und diese Erfahrungen machen …
Riener: Ja natürlich, was dann in weiterer Folge passiert, unterscheidet sich, da haben Männer weiterhin ganz andere Lobbys etc. Aber zentral ist für mich: Auch Frauen, die von sich behaupten, mit Feminismus nichts am Hut zu habe, können sich mit bestimmten Aspekten der Figur identifizieren. Das ist für mich ein ganz großes Plus. Denn vielleicht gibt es zumindest einen winzigen Prozentsatz im Publikum, der nach dem Theaterbesuch ein anderes Verhältnis zum Feminismus hat.
Marlene Streeruwitz ist Autorin und Regisseurin. Sie lebt in Wien, Berlin, London und New York.
Alex. Riener hat in Amsterdam und Wien Theaterwissenschaft studiert. Regieassistenz (u.a. von Barrie Kosky) im Theater und an der Oper im In- und Ausland. Seit 2007 eigene Regiearbeiten.
Jessica, 30. 4.–16. April, Di–Sa, 20.00 Eine Koproduktion von dielaemmer und Theater Drachengasse http://jessicadreissig.wordpress.com
Theater Drachengasse 1010 Wien, Fleischmarkt 22, www.drachengasse.at, www.dielaemmer.net