Nachdem die Leiche der vermissten YouTuberin Gabby Petito gefunden wurde, war klar, dass sie ermordet wurde, und von ihrem Verlobten Brian Laundrie fehlt jede Spur. Warum ich das weiß? Weil mir meine Social-Media-Timeline stündliche Updates zum Fall Petito liefert.
True Crime hat sich als massentaugliches Genre etabliert, Filme, Serien, Dokumentationen, Podcasts und Blogs – allerorts werden Geschichten von real geschehenen Verbrechen einfach konsumierbar und unterhaltsam aufbereitet. Morde und Entführungen verdichten sich zu richtig guten Geschichten, dass hier reale Menschen und Schicksale involviert sind, rückt dabei in den Hintergrund.
Schon in meiner Kindheit lief „Aktenzeichen XY … ungelöst“ im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, ein Format, das ungelöste Fälle präsentierte und darauf abzielte, dass sich Zeug*innen melden. Doch erst als die US-Version „Unsolved Mysteries“ in meinem Netflix-Feed erschien, wurde mir klar, dass das alles keine Fiktion ist – reingekippt bin ich dennoch. Gut fühle ich mich dabei nicht, es ist schließlich das Leid anderer Menschen, das dem eigenen Entertainment dient – mit meinen moralischen Grundsätzen ist das kaum vereinbar. Trotzdem ziehen mich die Dokus an, Theorien zum neuesten Vermisstenfall bilden sich fast automatisch im Kopf. Das Genre funktioniert – leider zu gut.
Morde an Frauen stehen in True-Crime-Formaten besonders hoch im Kurs, doch es sind nicht jene Morde, die laufend in der eigenen Nachbarschaft passieren. Erst kürzlich erschütterte uns der Femizid an zwei Frauen in Wien, es waren bereits der 20. und 21. in diesem Jahr in Österreich. Bezeichnenderweise war zumindest eine von beiden in einem Verein für Frauenrechte tätig. Beide Frauen (und der Täter) hatten Wurzeln in Somalia. „Egal, kümmern wir uns um unsere Frauen“, so der rassistische Tenor in vielen Kommentarspalten, als sich herausstellte, dass die Opfer Schwarz waren. Wer die Opfer sind, spielt nicht zuletzt für das Medieninteresse eine entscheidende Rolle.
Während die Weltöffentlichkeit auf den Fall von Gabby Petito blickte, wurde auch der Mord an Sabina Nessa, einer Lehrerin und Woman of Color in London bekannt – er erhielt allerdings weit weniger Schlagzeilen. Morde und Vermisstenfälle von weißen Frauen sind für Medien weitaus interessanter als jene von BIPOC-Frauen. „Missing White Woman Syndrome“, so ein Begriff aus der Mediensoziologie, der beschreibt, dass im Falle von Vermissten über junge weiße Frauen aus der Mittelschicht überproportional berichtet wird. Weiße Frauen gelten in unserer Gesellschaft als unschuldig und schützenswerter, Gewaltverbrechen werden dementsprechend als weit tragischer wahrgenommen. In Wyoming, wo Gabby Petito verschwand, wurden im vergangenen Jahrzehnt auch 710 indigene Personen als vermisst gemeldet, wie ein Bericht der University of Wyoming zeigt – eine Meldung in den Medien ist das kaum jemals wert. Dass sie nach dreißig Tagen noch immer vermisst werden, ist doppelt so häufig der Fall wie bei weißen Personen.
Die Aufmerksamkeit für Verbrechen an jungen weißen Frauen hat aber auch eine weitere Schattenseite. Die Würde der Opfer wird verletzt und die Konsequenzen, die diese Art der Sensationsberichterstattung für die Hinterbliebenen hat, sind drastisch. Das Leben der Opfer wird in die Öffentlichkeit gezerrt und jede Kleinigkeit beäugt. Und viele Medien schlachten parallel auch noch die Geschichten der Täter aus, die ebenso faszinieren. Wir erfahren Details aus ihrer Kindheit, bekommen Einblicke in ihre Psyche geliefert und finden sie dadurch mitunter so spannend, dass sie beinahe als Helden und Vorbilder gefeiert werden – wir erinnern uns an Täterkulte wie jenen rund um den US-amerikanischen Serienmörder Ted Bundy.
Nachdem auch ich immer wieder auf eine True-Crime-Serie hineinkippe, wird mir umso mehr bewusst, dass es eine kollektive Anstrengung braucht, um diese Formate einordnen und reflektieren zu können. Denn Morde an Frauen sind keine spannende Unterhaltung, sie sind Ausdruck brutaler patriarchaler wie rassistischer Strukturen. •