Julischka Stengele
Abgestorben, Winterzeit. Die Gefühle sind begraben, es herrscht emotionaler Frost. Stimmt auch nicht so ganz, denn dafür spüre ich zu genau: Es geht mir schlecht und zwar schon lange. Das erzählen mir unter anderem der beißende Rauch und die schwarzverkohlten Töpfe in meiner Küche. In den letzten paar Monaten habe ich so oft mein Essen anbrennen lassen wie vielleicht zuvor in meinem ganzen Leben zusammengenommen. Ach ja, mein Leben. Ich bin nicht auf der Höhe. Ich bin auf dem absteigenden Ast.
Midlife-crisis ist ein Wort, das so klingt, als müsste man es nicht ernst nehmen. Im Gegenteil, eher wie eine Bezeichnung für einen Zustand, den man belächelt. Zu lächeln habe ich momentan allerdings nicht besonders viel. Ich fühle mich wie ein liegengebliebenes Auto auf einem großen leeren Parkplatz außerhalb der Stadt, von dem nichts herunterführt, auf dem nichts blüht. Hier harre ich aus, in diesem dead end für Menschen in ihrer Lebensmitte, die kein Haus haben und auch keins mehr bauen werden. Der Zug für Mindestpension – abgefahren. Eigentumswohnung hier, Erbe dort, Anstellung, Kinder, Hund, Lebenspartnerschaft und Zukunftspläne – das haben andere gemacht. Wann das alles passiert ist? Ich habe ehrlich keine Ahnung.
Das Einzige, das bei mir weitergeht, ist die anhaltende Prekarität in jeder Säule meines Lebens. Die langen Finger der pandemischen Kralle rühren zusammen mit Armut, Alter, Einsamkeit und Krankheit jenes graue Gemisch an, mit dem sie jede Hoffnung auf Veränderung asphaltieren. Die vermeintlichen Perspektiven aus meinen Zwanzigern – fancy freelancer life, Bildungsaufstieg, #yolo, queere Wahlfamilie und alternative Fürsorgenetzwerke – wurden von der Realität der Vierziger längst überfahren.
In der hänge ich jetzt hier fest, auf diesem Parkplatz, zusammen mit den stark limitierten Gestaltungsmöglichkeiten für mein eigenes Leben, und warte darauf, dass mich irgendwann vielleicht mal wieder jemand abholt.
Julischka Stengele ist Ü40, queer und Single, empfiehlt das aber niemandem.