In LGBTIQ-Interessensverbänden geben häufig Männer den Ton an. Inhaltliche Konflikte spitzen sich nun vielerorts zu. Von BRIGITTE THEIßl und FIONA SARA SCHMIDT
„Wenn über Samenspenden für lesbische Frauen berichtet wird, dann schafft es ausnahmsweise das Wort ‚Lesbe’ in die Medien“, sagt Ewa Dziedzic sichtlich genervt. Die Grüne Bundesrätin ist seit vielen Jahren politisch aktiv und kämpft für frauenpolitische Anliegen und LGBTI-Rechte, seit kurzer Zeit ist sie auch Bundessprecherin der Grünen Andersrum in Österreich. Die LGBTI-Vertretung der Partei feiert heuer ihr zwanzigjähriges Jubiläum, trotz zahlreicher Erfolge während dieser Periode sei man „noch immer weit entfernt von einer Gleichstellung“, sagte Dziedzic bei ihrem Einstand.
Diskriminierungsgeschichte. Der gesellschaftspolitische Aufbruch in Österreich hat eine junge Geschichte: Erst die Strafrechtsreform unter Bundeskanzler Bruno Kreisky brach in Österreich mit althergebrachten Normen und Zwängen, 1971 wurde Homosexualität legalisiert. Zuvor galt sie laut Strafgesetzbuch aus dem Jahr 1852 als „Verbrechen der Unzucht wider die Natur“, bis in die späten 1990er-Jahre war die „Werbung für Unzucht mit Personen des gleichen Geschlechtes“ noch ein Strafbestand. Auch wenn in Österreich mittlerweile seit zwanzig Jahren die Regenbogenparade über den Wiener Ring zieht und die mit Regenbogenfahnen beflaggte Bundeshauptstadt eine „Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche und transgender Lebensweisen“ eingerichtet hat – eine längt überfällige rechtliche Gleichstellung auf allen Ebene des (Zusammen-)Lebens konnte bisher nicht erkämpft werden, insbesondere ÖVP und FPÖ klammern sich an das bürgerliche Ideal der heterosexuellen Ehe zwischen Mann und Frau.
Regenbogen-Politik. Nicht erst seit dem Songcontest-Sieg von Conchita Wurst ergibt sich auf der Ebene der Repräsentation und jener der gesetzlich verankerten Rechte somit eine Schieflage. Für Reiseveranstalter_innen etwa sind insbesondere schwule Männer* eine gefragte Zielgruppe. „Die Männer sind die Sichtbareren und Zahlungskräftigeren, sie sind damit für die Wirtschaft interessanter“, sagt Ewa Dziedzic. „Wien atmet schwule und lesbische Geschichte wie kaum eine andere europäische Metropole. Schwule Kaiser, Kriegsherren und Komponisten von gestern ebenso wie schwule und lesbische Wiener/innen von heute“, ist auf der Website von Wien Tourismus für die schwul-lesbische Zielgruppe zu lesen. Unter den Shopping-Tipps für Männer finden sich die Luxus-Adressen der inneren Stadt, das touristische Angebot „Nur für Lesben“ bleibt hingegen überschaubar. Diese stärkere Sichtbarkeit von Schwulen setzt sich auf Veranstaltungen der LGBTIQ-Community fort. Ewa Dziedzic war bis vor Kurzem im Verein CSD Vienna aktiv, der die Vienna Pride und das „Pride Village“ veranstaltet, das heuer allerdings nicht stattfindet. Lange Jahre war sie im Verein hauptsächlich von Männern umgeben. Dziedzic kämpfte nicht nur für mehr Präsenz von Frauen, sondern auch gegen den Vorwurf der zunehmenden Kommerzialisierung der Veranstaltung – aufgrund der budgetären Situation wurde im Pride Village von Beginn an auf die Kooperation mit Gastronomiebetrieben der LGTB-Szene gesetzt, reine Frauenlokale fehlten. „Das heißt, alle Gastrobetriebe waren in schwuler Hand und zogen im Pride Village ihr Publikum an. Es spiegelte sich also eine strukturelle Benachteiligung von Frauen eins zu eins wieder“, sagt Dziedzic.
TBIQ. Katharina Kacerovsky, die ebenfalls bei den Grünen aktiv ist, ist aktuell im Vorstand des CSD Vienna vertreten – die Männerdominanz dort ist ungebrochen. „Im ersten Jahr, in dem ich im Vorstand vertreten war, sind meine Vorschläge untergegangen – oder besser gesagt wurde ich nicht wirklich ernst genommen, übergangen und in den Informationsfluss nicht regelmäßig miteinbezogen“, erzählt Kacerovsky. Aufgrund des immensen Kostendrucks bei der Veranstaltung des Pride Village vor dem Wiener Rathaus würden viele Dinge untergehen. Wie politisch ist die Veranstaltung noch? – diese Frage müsse gestellt werden. Kacerovsky setzt sich dafür ein, möglichst viele Initiativen und Menschen in die Gestaltung miteinzubeziehen: „Es sind nicht nur Frauen unterrepräsentiert, sondern z. B. auch Transgender, Bisexuelle, Intersexuelle und Queers – die sich einfach nicht mehr angesprochen fühlen.“
Generationenfrage. Trans- und Interpersonen und Menschen, die sich geschlechtlich nicht binär verorten, in Homosexuellen-Politiken zu inkludieren, ist auch ein zentrales Anliegen der queerconnexion der Wiener Homosexuellen Initiative (HOSI). Die HOSI setzt sich seit 1979 für die Rechte von Schwulen und Lesben in Österreich ein, die politische Ausrichtung der Organisation sorgt intern immer wieder für Konflikte. „Es gibt schon länger Diskussionen, den Verein auf LGBTIQ bzw. queere Themen auszuweiten. Einige Mitglieder der HOSI sehen sich aber als Vertreter von Lesben und Schwulen und meinen, für Trans- und Interpersonen gebe es ja eigene Vereine“, erzählt Marlene Pillwein von der queerconnexion, einer Gruppe innerhalb der HOSI. „Ich sehe das anders, auch wenn HOSI ausgeschrieben Homosexuelleninitiative heißt, finde ich, dass man die Themen nicht trennen kann und sie großen Einfluss aufeinander ausüben.“ Der HOSI steht aktuell ein Obmann vor, auch wenn in den Statuten zu lesen ist, dass die Positionen der Obleute geschlechterparitätisch zu besetzen seien. „Gemeint sind damit vermutlich Cis-Männer und Cis-Frauen“, sagt Pillwein, die sich mit dem Begriff lesbisch nicht identifizieren kann. Die inhaltlichen Konflikte scheinen – ähnlich wie innerhalb der Frauen*bewegungen – auch Generationenkonflikte zu sein, was laut Pillweins Erfahrungen jedoch „nur bedingt“ stimme. Den Vorwurf, dass der Zugang der queerconnexion ein sehr akademischer und damit auch ein klassistischer wäre, weist sie zurück. „Es kann sich auch nichts ändern, wenn man immer nur bei den bekannten Begriffen bleibt“, sagt Pillwein. Bei Schulworkshops verwendet sie ganz selbstverständlich Begriffe wie pansexuell. In den Klassen treffe sie immer wieder auf Schüler_innen, die sich bereits intensiv mit solchen Begriffen und den dahinterstehenden Konzepten auseinandergesetzt haben. Die allgemeine Öffentlichkeitsarbeit der HOSI stehe aber vermutlich vor anderen Herausforderungen, räumt die 25-Jährige ein.
Mehrfachdiskriminierung. Den schwierigen Umgang mit unterschiedlichen politischen Interessen und den Herausforderungen, die sich durch intersektionale Perspektiven ergeben, kennt auch Ewa Dziedzic. „Wenn du schon Frau und Migrantin bist, überlegst du dir dreimal, noch öffentlich eine dritte Kategorie aufzumachen. Dann bin ich in drei Kategorien verwoben, die in unserer Gesellschaft benachteiligen“, sagt die Grüne Politikerin. Mit „ViennaMix“ gründete sie gemeinsam mit anderen Personen einen Verein für migrantische LGBTs. „Das war für mich eine der spannendsten Erfahrungen: Wie Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen, aus verschiedenen Schichten, Religionen, ethnischen Zugehörigkeiten, Geschlecht, sexueller Identität (nicht alle waren geoutet), zusammenkommen, es gab eine beeindruckende Dynamik im Verein.“ Nach drei Jahren trat sie jedoch als Obfrau zurück, ein halbes Jahr später löste sich der Verein auf – Frauen seien nach der Reihe ausgeschieden, übrig blieb „ein türkischer Männerverein“. Um bestehende Muster zu durchbrechen, setzt Dziedzic mittlerweile auf kleine Maßnahmen, die sich als äußerst wirksam erweisen würden: Frauen leiten eine Sitzung, Männer schreiben das Protokoll.