entdeckungen im alltag
In ihrer Praxis bin ich schon seit zwei Jahren. Die lebhafte, brünette Frauenärztin S. ist sachlich, nett und immer zu gestresst für lange Gespräche. Über mich weiß sie aber Bescheid: Ich bin 32, komme aus Belarus, habe ein 13-jähriges Kind und außerdem einen ausgeprägten Kinderwunsch.
Anfangs hieß es von ihrer Seite, ich müsse mein Übergewicht und den hohen Blutdruck reduzieren, danach könne man über eine weitere Schwangerschaft sprechen. Nach zwei Jahren bin ich also vierzig Kilo leichter, der Blutdruck ist gesunken, andere Wehwehchen ebenfalls reduziert. Die Frau Doktor rät mir trotzdem weiterhin von einer Schwangerschaft ab, nennt jedes Mal einen neuen Grund. „Wir müssen Sie weiter beobachten“, lautet ihr Urteil nach einem nicht ganz optimalen Befund. „Ich rate Ihnen von einer Schwangerschaft definitiv ab.“ „Wäre es gefährlich für mich?“ „Nein.“ „Etwa für das zukünftige Kind?“ Wieder nein. Ich frage überrascht, warum mir dann trotzdem so kategorisch abgeraten wird.
Und da kommt es raus. Meine vorher stets distanzierte Frauenärztin hält plötzlich eine leidenschaftliche Rede: „Deutschland ist ein wunderschönes Land, Sie haben hier so viele Möglichkeiten bekommen. Sie müssen hier nicht unbedingt auch noch Kinder gebären!“ Das ist es also. Ich bin für Sie einfach eine Migrantin, die mit ihren Kindern Berlin zu überschwemmen droht und auf Kindergeld hofft, statt arbeiten zu gehen?
Ich verstehe endlich. Meine Frau Doktor kennt mich nicht als Feministin, Journalistin, Universitätsabsolventin, politische Aktivistin. Das einzige, was sie von mir weiß: mit 19 Jahren das erste Kind, Zugezogene, Kinderwunsch. Und da treten wohl reflexartig die Vorurteile von der ungebildeten, unemanzipierten Migrantin auf.
Ob es sich lohnt, sie darüber aufzuklären, dass ich etwas anderes bin, als eine aufs Gebären fixierte Ausländerin? Und ob es verlässliche Methoden gibt, eine Frauenärztin zu finden, die meine persönlichen Grenzen nicht überschreiten wird? Ich weiß es nicht.
Jeanna Krömer koordiniert russischsprachige Online-Projekte wie AMPHI-Magazine und FEM.FM, macht gerne jede feministische Sache mit und ist per Skype: jeanna.kroemer zu erreichen.
7 Kommentare zu „neuland: Kinderwunsch“
Hallo,
ich bin ehrlich gesagt etwas geschockt. Und kann umgekehrt das Gleiche berichten: meine Ex-Frauenärztin hat jahrelang versucht mich zu einem Kind zu drängen. Mit Sätzen wie: “Sie sind doch verheiratet und im besten Alter!”. Selbst nach deutlicher Ansage dass wir uns momentan keine Kinder wünschen hörte das nicht auf.
Daher muss ich sagen: beide Aussagen sind absolut NICHT hinnehmbar. Und ich hoffe, du sagst deutlich deine Meinung wechselst dann die Ärztin. Ich wüsste nicht, was da sonst noch helfen sollte.
Viele Grüße: Mama007
Danke für diesen Kommentar!
Allerdings würde ich diese Ärztin nicht nur aufgrund von Rassismus wechseln, sondern auch aufgrund von Dickenfeindlichkeit. Denn nicht nur Migrantinnen können und dürfen Kinder bekommen, sondern auch dicke Frauen.
Hier ist ein Artikel zum Thema: http://argedickeweiber.wordpress.com/2012/05/04/dicke-frauen-dicke-mutter/
dicke feministische Grüße
Patricia
wtf?
Da würde ich aber auch bei der Ärztekammer vorsprechen. Das ist. wow.
“Ob es sich lohnt, sie darüber aufzuklären, dass ich etwas anderes bin, als eine aufs Gebären fixierte Ausländerin?”
Auch nicht besser. Du bist also die “gute Ausländerin” die nicht aufs Gebähren fixiert ist und nicht eine von den “Anderen” also den “bösen Ausländerinnen, die aufs Gebähren fixiert sind”. Du begegnest einer Diskriminierung also mit einer Diskriminierung. Schlau ist anders.
Gruß
@netzhocker
ÄHM??? Ich hab das wohl nicht ganz verstanden. Wenn Du nicht politisch aktiv wärst und gebildet wäre diese Art von haarsträubendem Rassismus ok?????? Da fällt mir nichts mehr zu ein.
Mich würde sehr interessieren, wie die Unterhaltung nach dieser ungeheuerlichen Offenbarung weiter gegangen ist.
Ouch. Wuerdest du das bitte der zustaendigen Aerztekammer o.ae. melden?