entdeckungen im alltag
„Ich finde, diese Schuhe sehen bei dir am besten aus,“ sagte die Stimme hinter mir. Sie hatte Recht. Die Verarbeitung war gut, und der Schuh verlieh mir das gewisse, hippe Etwas. Ebenfalls nicht ganz unwichtig war der Preis, diese Schuhe kosteten immerhin 30 Euro weniger als die anderen, die ich anprobiert hatte. Nur eine Sache störte mich, und sie hatte mit den Schuhen nichts zu tun: das „Du“ der Verkäuferin. Zwar hatte ich bemerkt, dass in diesem Geschäft alle KundInnen geduzt wurden, aber es gefiel mir trotzdem nicht. Ja, ich weiß, auch Werbungen schwedischer Möbelhäuser oder deutscher Elektrohandelsketten duzen auf Plakaten ihre KundInnen, aber eben nur auf Plakaten, nicht, wenn man die Geschäfte betritt und tatsächlich dort einkauft. Allerdings duze ich auch nicht gerade wenige. Nicht nur Familienmitglieder oder FreundInnen, sondern auch deren FreundInnen, selbst wenn ich ihnen zum ersten Mal begegnete. Ich duze die meisten meiner KollegInnen und Chefs bei der Arbeit und grundsätzlich alle Leute beim Sport. Ich duze alle auf der Universität, obwohl ich vom Alter her den Lehrenden näherstehe als den Studierenden. Was hatte es mich deprimiert, als mich eine Studentin einmal gesiezt hatte! Und wie hatte ich mich geehrt gefühlt, als ich einmal über einen Freund einen semiprominenten Schauspieler kennenlernte, der mich gleich duzte, so als kenne er mich seit Jahren. Auch bei Friseuren habe ich schon spontan geduzt. Asymmetrisch Duzen ist gewissen Familien in gewissen Kreisen vorbehalten, wo Kinder ältere Verwandte siezen, aber von diesen geduzt werden. Oder Leuten, die ihr schwaches Selbstwertgefühl dadurch stärken, dass sie ihre angestellten Putzfrauen oder BabysitterInnen, die meist aus dem Ausland stammen, duzen und von diesen gesiezt werden wollen. In dieser Anrede schwingt ein Hauch von Beleidigung mit, ebenso wie bei Kindern, die wahllos alle Leute duzen, weil sie angeblich kein Sie lernen können. Die Schuhe habe ich übrigens gekauft.
Beate Hammond macht ihre Entdeckungen in Wien.