alltägliche grenzerfahrungen
Es ist 2017 und ein insgeheimer Neujahrswunsch meinerseits war, dass wir die Debatte um die Ereignisse in der Silvesternacht 2015/16 in Köln hinter uns lassen, solange sie rassistisch und antifeministisch geführt wird. Wie es im Leben oft der Fall ist, ging mein Wunsch nicht in Erfüllung, stattdessen beschert uns die Stadt erneut Neujahrskopfschmerz.
Diesmal, weil die örtliche Polizei über Twitter bekanntgab, Racial Profiling zu praktizieren – und die Gruppe Verdächtigter, die rund um den Hauptbahnhof eingekesselt und kontrolliert wurden, mit dem zuvor nur intern benutzten Begriff „Nafris“ zusammenfasste. Wer das sein soll? Da sind sie sich nicht ganz einig. Nordafrikanische Intensivtäter heißt es hier, nordafrikanische Männer dort. Mit Nordafrika meinen sie konkret Ägypten, Libanon, Libyen, Marokko, Syrien und Tunesien. Nein, ich habe mich nicht vertippt. Wer im Erdkundeunterricht aufgepasst hat, der sollte auffallen, dass Syrien überhaupt nicht auf dem afrikanischen Kontinent liegt, sondern in Asien. Ist für die Sammlung jedoch irrelevant, denn es geht um rassistisches Selektieren und die Dämonisierung von als arabisch und männlich wahrgenommenen Personen, nicht um einen Geografie-Wettbewerb. Die knapp tausend Kontrollierten standen unter Generalverdacht – aufgrund ihres Phänotyps, wie die Polizei später einräumte. Offensichtlicher können sie ihren Rassismus nicht mehr präsentieren.
Der Begriff „Nafri“ etablierte sich prompt im Politiker_innensprech. Deutsche fragen sich weiterhin, welche seit Jahrhunderten bestehenden Diskriminierungsformen sie eigentlich noch zu Importprodukten relativieren können, um von der von ihnen ausgehenden Gewalt abzulenken. Ich habe schon jetzt keinen Bock mehr auf dieses Jahr, in dem nicht Rassismus, Patriarchat und der deutsche Waffenhandel als Katalysatoren für Terroranschläge diskutiert werden, sondern Politiker_innen lieber Grundrechte missachten.
Hengameh Yaghoobifarah ist Redakteurin beim „Missy Magazine“, Kolumnistin bei der „taz“ und schreibt als @habibitus auf Twitter über –istische Zustände in Deutschland.