So ist es also, das Leben in der Pandemie. Wegen meiner Behinderung gehöre ich zur Risikogruppe. Ich war von Anfang an vorsichtig. Grundsätzlich fand ich die Ausgangsbeschränkungen gar nicht so schlimm. Dazu muss man wissen, dass ich durch meine Behinderung viel Erfahrung mit Isolation habe. Oft habe ich in Gedanken die Augen verdreht, wenn jemand mir nach kurzer Zeit in Isolation sein Leid klagte. Das, was wir während der Pandemie als Gesellschaft erleben, erleben Menschen mit Behinderung ständig. Sicherlich nicht immer in Form von Quarantäne, aber glaubt mir: Mit Isolation kennen Crips sich aus. Das fiel besonders in meinem Freundeskreis auf: Meinen nichtbehinderten FreundInnen schien die Quarantäne viel schwerer zu fallen als jenen mit Behinderung. Viele von uns müssen sich in der Grippe-Saison zurückziehen, Menschenmengen vermeiden, Masken tragen und Treffen mit FreundInnen absagen, um eine Ansteckung zu verhindern. Soziale Isolation gehört zu einer Behinderung dazu. Unzählige Male konnte ich nicht an Veranstaltungen aller Art teilnehmen, weil diese nicht barrierefrei sind. Den Frust, den viele im Bezug auf die Corona-Maßnahmen verspüren, kenne ich zu gut – er ist ein ständiger Begleiter. Ich kann gut verstehen, dass diese Zeit für alle herausfordernd ist, und trotzdem bin ich wütend: Dieselben Menschen, die meine Wut auf die systematische Diskriminierung, der ich ständig gegenüberstehe, nicht ertragen, sie unter den Teppich kehren und mir sagen, ich solle dankbar sein für die Fortschritte der Barrierefreiheit in den letzten Jahren, sind die, die jetzt lautstark ihrem Ärger Luft machen. Es gibt da aber einen entscheidenden Unterschied: Für die Pandemie ist wirklich niemand direkt verantwortlich, aus ihr müssen wir tatsächlich das Beste machen. Für systematische Diskriminierung und soziale Ungleichheit tragen wir sehr wohl die Verantwortung – denn sie sind menschengemacht.
Yuria Knoll ist wütend und Meisterin der Isolation.