auch feministinnen altern
Ich vernehme, dass viele von der bärtigen Kunstfigur schon wieder genug haben: Conchita hier, Conchita da. Conchita mit Ulrike Lunacek im Europaparlament für Offenheit gegen Diskriminierung. Conchita mit Ban Ki-moon für den Weltfrieden. Conchita baut Brücken für den Song Contest und setzt sich sogar für Russland ein. Zu allem hat „die Wurst“ eine Meinung und wurde auch nach dieser gefragt, obwohl sie doch – wie sie selbst in bekannter Bescheidenheit äußerte – nur Show macht und eben nicht Herzchirurgie. Mit einer Aussage hat sie jedenfalls tausendprozentig Recht: Kaum etwas provoziert so viel Aufmerksamkeit und Reaktion wie eine Dame mit Bart. Nichts irritiert so sehr wie ein Oberlippenbart in einem Frauengesicht, bereits ein Hauch davon wird als störend wahrgenommen und von der Betroffenen deshalb meist auch sofort entfernt.
Mit fortschreitendem Alter sprießt auch bei mir der Oberlippenbart. Während ich also mit der Nagelschere mein Bärtchen trimme, denke ich an die „bärtige Frau“ Julia Pastrana. Ihr Leben war tragisch. Pastrana litt an Hypertrichose, einer Haarwuchsstörung, und war nicht nur im Gesicht, sondern am ganzen Körper behaart. Sie war ausgebildete Sängerin und Tänzerin und tourte als Attraktion durch das Europa des 19. Jahrhunderts, wo sie als „hässlichste Frau der Welt“, „Affenfrau“ oder „Bärenfrau“ präsentiert wurde. Sie war mit dem Mann verheiratet, der auch ihre Shows organisierte. Pastrana starb 1860 erst Mitte zwanzig an den Folgen der Geburt des gemeinsamen Sohnes. Ihr skrupelloser Mann ließ die tote Julia und das ebenfalls verstorbene Kind präparieren und stellte die beiden noch über ihren Tod hinaus zur Schau. Erst 2013 wurde der Leichnam Pastranas von Norwegen nach Mexiko überstellt und die tiefgläubige Katholikin konnte ihrem letzten Willen entsprechend in ihrer Heimat begraben werden. Könnte nicht Conchita über Julias Leben singen?
Christiane Erharter trägt im Sommer 2015 wieder Bart.