Ein „Volkskanzler“ Kickl bleibt uns erspart. Es war gefühlt die erste gute politische Nachricht dieses Jahr. Stattdessen regiert seit Anfang März eine ÖVP-SPÖ-NEOS-Bundesregierung mit drei feministischen Ministerinnen und einem – Skandal! – linken Finanzminister. Auch in Deutschland wird die AfD nicht in der Regierung sitzen – noch nicht. Große Teile der Zivilgesellschaft beider Länder atmen auf. Nur dass das, was sich jetzt wie ein Happy(-ish) End anfühlt, leider keines ist. Es ist nicht einmal eine längere Atempause und auch nicht die große Ruhe vor dem Sturm. Die aktuellen politischen Verhältnisse sind bereits Teil des Sturms, der sich lange Jahre in der Mitte der Gesellschaft zusammengebraut hat und nur stärker werden wird. Denn auch wenn die neue Regierung keine Rechtsextremen in ihren Reihen hat, sind die Aussichten gerade auch angesichts des budgetären Sparzwangs alles andere als rosig: Es wird weiterhin keine Erbschafts- und Vermögenssteuer in Österreich geben, keine dringend nötige Gesamtschule, der Familiennachzug von Asylwerbenden soll komplett gestoppt werden. Laut Bundeskanzler Stocker ist es ganz egal, dass damit geltendes EU-Recht gebrochen wird: Austria first. Auch Merz, der im Wahlkampf mit rechtsextremen Forderungen punkten wollte und Sozialabbau forcieren will, fordert einen sogenannten Asylstopp, also Asylwerbende direkt an den Grenzen abzuweisen. Auch das wäre europarechtlich unzulässig. Was soll’s.
Was man auch nicht vergessen darf: Beinahe 29 Prozent in Österreich und beinahe 21 Prozent in Deutschland haben die FPÖ und AfD gewählt. Die allermeisten dieser Menschen werden in den nächsten Jahren ihre Meinungen wohl nicht ändern. Viel eher deuten politische Analysen und Wahlstatistiken darauf hin, dass sogar mehr Menschen in Zukunft rechts wählen werden. Vielleicht sind wir dieses Mal noch mit blauem Auge davongekommen. Zumindest sitzt kein Kickl oder Donald Trump an der Spitze der österreichischen oder deutschen Regierung. Minderheitenrechte werden nicht abgeschafft, die Sozialstruktur des Staates nicht demontiert. Trans Menschen dürfen beispielsweise noch immer ihren Geschlechtseintrag ändern – in den USA sollen sie hingegen nur noch jenes Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, in offiziellen Dokumenten stehen haben können. Auch der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen wird in Österreich in den kommenden Jahren wohl nicht eingeschränkt werden – eine Entkriminalisierung ist aber mit der Volkspartei nicht möglich. Es gibt immerhin noch keine Liste an Wörtern, die man in Forschungsanträgen und Behörden nicht mehr verwenden darf, wie in den USA, wo rund 200 Wörter, darunter „Frauen“, „weiblich“, „Minderheiten“ oder „Klimakrise“ künftig zu vermeiden sind.
Beispiele wie Bayern, Hessen und Niederösterreich („Genderverbot“) zeigen aber, dass die Strategien der neuen globalen Rechten längst auch hier angekommen sind. Transfeindlichkeit wird ohnehin salonfähig – auch in Österreich, auch in progressiven Kreisen.
Die Grundsteine für so viele Grausamkeiten, die in den nächsten fünf, zehn oder zwanzig Jahren auf uns zukommen werden, sind bereits gelegt. So greifen die Mechanismen der Spaltung auch in linken Kontexten immer mehr. Gemeinsam als großes, schlagkräftiges Bündnis Demonstrationen zu veranstalten, ist für linke Gruppierungen eine Unmöglichkeit geworden. Anstatt einer guten Portion Reibung, Diskurs und Debatte, die der kritischen Selbstreflexion und Weiterentwicklung helfen sollten, gibt es gegenseitiges Anschweigen, Canceln und die nächste Splittergruppe. Selbstverständlich sollten auch Linke Konflikte führen können und selbstverständlich muss daraus am Ende nicht immer eine harmonische Allianz entstehen. Dennoch sollten wir uns ab und an fragen, wer denn unsere Gegner*innen sind. Wir sollten wieder mehr miteinander reden, versuchen, einander zuzuhören und etwas mehr Wohlwollen füreinander aufbringen, bevor wir sämtliche Brücken zwischen uns niederbrennen. Denn die Strukturen, die wir dann in den nächsten Monaten und Jahren hoffentlich aufbauen können, werden wir dringend brauchen.