Jüdinnen und Juden fühlen sich an linken und feministischen Orten ausgegrenzt, sagt Alisa Offenberg von der Jüdischen Hochschüler*innenschaft. Milano Leeb hat mit ihr über Antisemitismus gesprochen.
In Wien gab es einen Brandanschlag auf den jüdischen Teil des Zentralfriedhofs, antisemitische Vorfälle steigen derzeit massiv an. Sind Jüd*innen in Österreich nicht sicher?
Absolut nicht, und das nicht erst seit dem 7. Oktober. Es liegt allerdings an der gesamten österreichischen Gesellschaft, daran etwas zu ändern. Seit dem 7. Oktober zeigt sich jedoch ein besonders aggressiver, israel-bezogener Antisemitismus in allen Teilen der Gesellschaft, der Jüdinnen und Juden alleine lässt und isoliert. Es ist erschreckend, wie sehr die Solidarität in dieser Zeit ausbleibt. Wir werden bedroht auf den Straßen, in akademischen Institutionen und in sozialen Medien. An Universitäten und in linken Kreisen, die zuvor noch als Safe Spaces wahrgenommen wurden, breitet sich ein ausgrenzendes Klima aus und signalisiert Jüdinnen und Juden, dass sie dort keinen Platz haben.
Aktuell gibt es eine breite Debatte um Antisemitismus in der Linken. Muss auch linker Feminismus Antisemitismus stärker zum Thema machen? Definitiv. Viel zu lange wurde Antisemitismus als rein rechtes Problem angesehen. Antisemitismus entwickelt ständig neue Formen und macht sich so in allen Räumen breit. Dadurch fühlen wir uns als Jüdinnen immer mehr verdrängt aus progressiv-linken und feministischen Kreisen, zu denen wir uns noch vor Kurzem zugehörig fühlten. Menschen, mit denen wir gemeinsam auf die Straße gegangen sind, relativieren nun die Gräueltaten der Hamas im Namen von Anti-Kolonialismus und Anti-Imperialismus. Feministische Verbände schweigen, wenn es um die systematische Vergewaltigung von israelischen Frauen am 7. Oktober geht und sprechen stattdessen dem jüdischen Staat das Existenz- und Selbstverteidigungsrecht ab. Es kann nicht sein, dass die Solidarität mit Betroffenen sexualisierter Gewalt dann aufhört, wenn sie sich gegen Frauen in Israel richtet.
Feminismus muss ein sicherer Ort für alle Frauen sein, auch für Jüdinnen. Was fordert ihr als jüdische Hochschüler*innenschaft?
Wir fordern, dass alle linken Gruppierungen die Massaker der Hamas vom 7. Oktober verurteilen und Solidarität mit allen von Antisemitismus Betroffenen zeigen, egal ob in Europa oder in Israel. Wer toten Jüdinnen und Juden gedenkt, aber zur aktuellen Bedrohung schweigt, kann kein:e Verbündete:r im Kampf gegen Antisemitismus sein. Man kann sich mit den Betroffenen solidarisieren, das barbarische Massaker verurteilen und trotzdem die berechtigten Ansprüche des palästinensischen Volkes auf nationale Selbstbestimmung unterstützen. Außerdem muss Betroffenen endlich zugehört werden und antisemitische Muster müssen hinterfragt werden.