Mein Sohn hat einen Schulfreund zu Besuch. Ich wundere mich, als der Zweitklässler ein mitgebrachtes Tablet hervorholt und verkündet, jetzt allein sein zu wollen. Das könne er doch auch zu Hause, wende ich ein. Später erfahre ich von seiner Mutter, dass das nicht stimmt. Die Familie musste eine Freundin in die Wohnung aufnehmen, die andernfalls in einer Sammelunterkunft für Geflüchtete gelandet wäre. Es ist eng geworden und das Tablet ist ein wichtiger Rückzugsraum für das Kind, Alleinsein ein seltener Luxus. Dass das bei uns möglich sein sollte: ein Vertrauensbeweis. Ein guter Gesprächsanlass mit meinem Kind über verschiedene Lebensumstände und Bedürfnisse und ein Reflexionsanlass für mich.
Nicht nur, dass klar geäußerte Bedürfnisse von Kindern allzu oft ignoriert werden, weil man ihnen nicht zutraut, gute emotionale Gründe dafür zu haben – sie sollen „höflich sein“ und sich „gut benehmen“. An Kinder werden ganz andere, strengere Maßstäbe angelegt als an Erwachsene, denen (mediale) Fluchträume zugebilligt werden, ohne dass von „Verdummung“, „Medienüberflutung“ und „Isolation“ die Rede ist statt von Selbstsorge und Bedürfnisäußerung. Vor allem stimmen die immer noch angenommene Trennung von Welt und Zuhause und somit auch die meist gegenderten Zuständigkeiten für diese Räume nicht. Politik und Gesellschaft, Produktion und Geschlechterverhältnisse schlagen ganz unmittelbar aufs vermeintlich traute Heim durch und verlangen Kindern und denen, die mit ihnen leben und arbeiten, Verhaltensweisen ab, von denen in Astrid-Lindgren-Welten nichts zu finden ist. Wenn Frauen zum Handy und Kinder zu Minecraft greifen, sind sie nicht zwangsläufig medial verblödet. Sie nehmen die Räume, die sie kriegen können. Mit Kritik daran sollte man, zumal als Person, der die Welt offensteht, sehr vorsichtig sein.
Jasper Nicolaisen ist Hausmann und systemischer Therapeut in Berlin. Mit seinem Sohn und dessen Freunden zockt er am liebsten Mario Kart.