leben mit kindern
Es heißt immer, der große Schrecken kommt, wenn den Eltern verleugnete eigene Verhaltensweisen im Kind zurückgespiegelt werden. Hatten wir alles schon: Naseweise Belehrungen über Tischmanieren für Gäste, Zurechtweisungsorgien für die Puppe, Anzeichen für unsportliche Trägheit – all diesen kurzen Schauermomenten eines verspäteten Spiegelstadiums habe ich schon schluckend, aber gefasst ins Auge gesehen. Aber mindestens genauso schlimm – wenn nicht gar schlimmer – ist, wenn die Tochter Verhaltensweisen spiegelt, die sie nur von anderen Menschen übernommen haben kann, weil ich sie entschieden ablehne. Dazu zählt etwa der Marken-Wetteifer. Gut – dass irgendwann in der Schulzeit so eine Phase einsetzt, lässt sich selbst aus der eigenen Biografie nicht ganz wegdiskutieren. Aber in der Kinderkrippe? Unter Stöpseln, die noch nicht zwischen den Begriffen für Strumpf- und Unterhose unterscheiden können? Glücklicherweise kann die liebe Tochter auch den Unterschied zwischen dem original „Hello Kitty“-Emblem und x-beliebigen stilisierten Katzengesichtern nicht so recht erkennen. Aber die Tatsache, dass es damit eine große Wichtigkeit hat, sehr wohl. Das führt dann dazu, beobachten zu müssen, wie sich Zweijährige minutenlange Schreiduelle liefern, bei denen sie versuchen, einander durch penetrantes Hinweisen auf eigene einschlägig logofizierte Kleidungsstücke zu übertrumpfen. Das alles mit dem zu einer Fratze verzerrten süßlichen Lächeln, das sie im Zusammenhang mit „Hello Kitty“ als sozial angemessen erfahren haben. Welch unheimliche Mechanismen der Kinderwelt, in die die Kleine offenbar unausweichlich mimetisch reingezogen wird … Wer das Dschungelcamp für eine perfide inszenierte Übersteigerung hält, kann hier authentische Vorbilder sehen, die im double bind von Zusammenhaltsimperativ und Beliebtheitswettbewerb stecken, den sie an vorgegebenen Nichtigkeiten austragen. Wenn ich den Satansbraten finde, der das in unserer Kindergruppe ausgelöst hat, würge ich den eigenhändig mit meinem Fred-Perry-Schal …
Beat Weber ist eine Autoren-Leihgabe der Zeitung „MALMOE“.